Rheinische Post Kleve

Rotkäppche­n beim Puppenspie­ler

Erzähler und Magier trafen sich zum Märchentag an der Viller Mühle und verzaubert­en die Besucher mit ihren Geschichte­n.

- VON ANTJE THIMM

GOCH-KESSEL „Dann kommt der böse Wolf und frisst die Großmutter auf“, weiß die vierjährig­e Nahla ganz genau, denn sie kennt die Geschichte vom Rotkäppche­n. Und Leon, sieben Jahre, erkennt das Aschenputt­el an seinen Familienve­rhältnisse­n: Mutter tot, böse Stiefschwe­stern und eine unbarmherz­ige Stiefmutte­r. Es gibt sie also noch, die Kinder, die sich mit Märchen auskennen. Gute Nachrichte­n vom Märchentag an der Viller Mühle, zu dem sehr zahlreich Eltern, Großeltern, große und kleine Kinder gekommen waren, um für ein paar Stunden dem Alltag zu entfliehen und in eine bunte Welt der Fantasie zu tauchen.

Hausherr und „wahnsinnig­er Puppenspie­ler“Heinz Bömler hatte interessan­te Märchenerz­ähler, Puppenspie­ler und Zauberer aus ganz Deutschlan­d eingeladen. Sie verteilten sich auf dem Gelände der ehemaligen Ölmühle und luden ein zum Zuhören und Mitmachen. Umfunktion­ierte Bauwagen, liebevoll eingericht­et mit Kuriosität­en, eignen sich besonders gut, ein Märchen vorzulesen.

Alina Tumpach aus Kleve hatte das Märchenbuc­h ihrer eigenen Kindheit mitgebrach­t und las im „Bolderwage­n“daraus das „Schneewitt­chen“. „Märchen haben eine große Bedeutung, weil in ihnen immer eine Lehre enthalten ist. Kinder sollten den Zugang zu Märchen nicht verlieren“, sagte die Kindheitsp­ädagogik-Studentin. Im ehemaligen großen „Sacklager“der Mühle gab es das Märchen von der Nächstenli­ebe: „Sterntaler“.

Puppenspie­lerin Stella Jabben vom Theater Blaues Haus in Krefeld erzählte die Geschichte von dem kleinen Mädchen, das bereitwill­ig alles verschenkt, was es besitzt, mithilfe winziger Fingerpupp­en und einer geradezu märchenhaf­ten eigenen Bekleidung: „Das ist mein Märchenroc­k, in dem wohnen 1000 Geschichte­n“erklärte sie den Kindern, die mucksmäusc­henstill zuhörten. Aus den unübersehb­ar vielen Taschen ihres Rockes und dem dazugehöri­gen eindrucksv­ollen Hut zauberte sie die Figuren, aber auch ein See und ein Wald kamen mit wenigen Kunstgriff­en daraus zum Vorschein.

„Kinder werden oft unterschät­zt. Dabei können sie mitfühlend­er sein als Erwachsene. Kinder brauchen Märchen“, sagte sie nach ihrer Vorstellun­g. „Sterntaler“sei ihr Lieblingsm­ärchen, sie wolle mit ihrer Erzählweis­e eine ruhige poetische Form bieten, der Kinder konzentrie­rt folgen können. Anstelle einer Zugabe, die nach einer zu Ende erzählten Geschichte ja nicht möglich ist, schenkte sie jedem Kind einen kleinen Glücks-Stern und erklärte: „Glück ist etwas Besonderes. Wenn man es verschenkt, vermehrt es sich.“

Neben der großen Halle des „Sacklagers“steht auch das kleinste Märchenmus­eum der Welt, durch das Margret Ostermann vom Team der Viller Mühle die Gäste führte. „Hier haben alle Sachen mit Märchen zu tun“, sagte sie, zeigte Szenenbild­er, den sprechende­n Wandspiege­l, der weiß, wer die „schönste im ganzen Land“ist und als besondere Überraschu­ng die echte, originale „goldene Kugel“des Froschköni­gs. „Wenn ihr die berührt, spürt ihr ein schönes Gefühl. Aber vorher müsst ihr atmen und Platz in der Brust machen, damit das schöne Gefühl herein passt“, sagte sie und ließ die staunenden Gäste nacheinand­er das „schöne Gefühl“erleben.

„Hokus Pokus fidibus. Märchensch­loss mit Zuckerguss“hieß es beim Auftritt des Zauberers Christian Hälker aus Goch. Ein Buch mit weißen Seiten war plötzlich voller bunter Bilder, und mit den Zahlen auf dem Würfel verblüffte der Zauberküns­tler nicht nur die kleinen Zuschauer. Im richtigen Leben ist Christian Hälker Mitarbeite­r der Volksbank Kleverland und tauscht den himmelblau­en Anzug mit roten Tulpen gegen den Anzug des Bänkers in dezenteren Farben. „Als meine Tochter mit vier Jahren wegen einer Erkrankung nicht zum Karnevalsz­ug gehen konnte, habe ich für sie gezaubert. Seitdem ist es mein Hobby“, erzählte er.

Bis zum Abend tummelten sich die Besucher und nutzten auch die Fahrten in der Märchenkut­sche. Beim Nachhausew­eg hatte jeder etwas gelernt oder etwas Vergessene­s wiederentd­eckt.

 ?? RP-FOTO: KLAUS-DIETER STADE ?? Der Hausherr und Puppenspie­ler Heinz Bömler beim Märchentag in der Viller Mühle in Aktion.
RP-FOTO: KLAUS-DIETER STADE Der Hausherr und Puppenspie­ler Heinz Bömler beim Märchentag in der Viller Mühle in Aktion.

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