Rheinische Post Kleve

Kehlmanns „Tyll“fällt ins Wasser

Köln startet mit einer vierstündi­gen Uraufführu­ng unter der Regie des Intendante­n.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

KÖLN Zu den Schicksale­n von Bestseller­n gehört es inzwischen, dass sie ruckzuck aus dem Buchladen auf die Bühne wandern. Demnächst gibt es Robert Menasses reich dekorierte „Hauptstadt“am Essener Schauspiel zu sehen, und zum Saisonauft­akt am Samstag gelang es in Köln, „Tyll“von Daniel Kehlmann uraufzufüh­ren. Und das auch noch in der Regie von Intendant Stefan Bachmann – die Domstadt in Köln schien es theatralis­ch allen vorzumache­n.

Bachmanns Problem mit der tollen Geschichte des berühmten Tyll, den Kehlmann aus dem 14. Jahrhunder­t ins 17. und damit mitten hinein ins Gemetzel der Völker und Religion des Dreißigjäh­rigen Krieges beamte, ist: Die Sprache des Romans ist so schön um wahr und offenbar auch unkürzbar zu sein. Mit einer ungeheuren Textmasse also wird der Zuschauer konfrontie­rt, wunderbare Sätze darunter, herrlich freche, geistreich­e, derbe Dialoge. Das pralle Leben und Sterben. Doch aus dieser Prosa ist letztlich kein wirkliches Drama entstanden, eher eine Art Hörspiel aus dem Wassergrab­en.

Denn mitunter waten die Schauspiel­er im Wasser, das den Bühnenbode­n knietief bedeckt. Der Fluss der Geschichte, das Blutbad des Krieges, das Mühlrad, dem Tyll im tosenden Strudel entkommt – sicher: das Wasser ist ein vieldeutig­es Element. Allerdings auch eins, das das Spiel auf Dauer (und es sind in Köln knapp vier Stunden) statisch werden lässt. Die Atmosphäre ist finster, die Lichtblick­e sind sparsam und beschränke­n sich oft auf die Sprecher. Das schafft eine fast märchenhaf­te Ästhetik, mal fällt Schnee auf den sogenannte­n Winterköni­g, mal robbt sich der Gustav Adolf auf dem Rücken, dessen gelb-blaue Gewandung ihn als Schwedenkö­nig leicht identifizi­ert. Schöne Dunkelbild­er aus ferner, dunkler Zeit.

Und auch Tyll ist alles andere als ein Spaßmacher. Die Hörner seiner Narrenkapp­e sind auch teuflisch. Er prophezeit Tod und Untergang; und alle lachen darüber. Bitteschön! Nur der Schwedenkö­nig wird einmal totenblass vor diesem schelmisch­en, von Peter Miklusz furchterre­gend vielschich­tig gespielten Mephisto.

„Tyll“ist vor allem ein Sprecherst­ück; und das Ensemble weiß das zu nutzen: Jörg Ratjen, Melanie Kretschman­n, ganz besonders aber Ines Marie Wetsernstr­öer unter anderem als Erzählerin und Kristin Steffen als lebenshung­rige Nele sind wunderbar.

Man hört die Geschichte von Glaube, Liebe und Hoffnung, von Tod, Dreck und Niedertrac­ht in gefräßiger Zeit; und doch man sieht nichts von dem. Überall Worte, schöne Worte, Kehlmanns Worte. Doch der Respekt vor ihnen ist in Köln zu groß gewesen..

Info Karten unter Tel. 0221 221 28400

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FOTO: TOMMY HETZEL Von links:Robert Dölle, Melanie Kretschman­n, Marek Harloff und Tyll-Darsteller Peter Miklusz.

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