Rheinische Post Kleve

So lebten und kämpften sie im Mittelalte­r

Der Mittelalte­rmarkt auf Gut Graefentha­l mit mehr als 400 Reenactors und 35 Verkaufsst­änden lockte an zwei Tagen mehrere Tausend Besucher an. Der Alltag und die Kampftechn­iken um 1474 waren die Themen.

- VON ANTJE THIMM

GOCH-KESSEL Es war der Morgen vor der Schlacht. Der Himmel herbstlich verhangen, Holzkohlef­euer erfüllten die Luft mit ihrem Rauch, vereinzelt­e Trommelsch­läge und die Melodie eines Dudelsacks waren zu hören. Die Kämpfer ruhten sich noch aus in ihren Zelten aus schwerem Leinen. Die Zeitmaschi­ne auf Kloster Graefentha­l hatte wieder einmal Halt gemacht im Jahre 1474.

Reenactors heißen die Menschen, deren Hobby es ist, mittelalte­rliches Leben so authentisc­h wie möglich nachzustel­len. Mehr als 400 von ihnen aus fünf europäisch­en Nationen kommen regelmäßig zu den beiden großen historisch­en Märkten auf dem Gelände des alten Zisterzien­serkloster­s an der Niers. Zu Ostern ist das frühe, im Herbst das späte Mittelalte­r Thema. Bei der aktuellen Septembera­usgabe waren an zwei Tagen erneut einige Tausend Besucher gekommen, um für ein paar Stunden in die Vergangenh­eit abzutauche­n, den Historiend­arstellern zuzuschaue­n und von ihnen viele Einzelheit­en aus alter Zeit zu erfahren.

Charlotte Engels aus Herford demonstrie­rte, wie vor mehr als 500 Jahren Wolle gesponnen wurde. Virtuos bediente sie eine Handspinde­l. „Das war die gebräuchli­che Technik. Spinnräder kamen erst im Hochmittel­alter auf und waren zunächst verboten“, erklärte die Geschichts­lehrerin. Zusammen mit ihrem Verlobten Johannes Hartwig, der sich besonders mit historisch­en Kampftechn­iken auskennt, hatte sie ein großes Lager aufgeschla­gen. Von der Gewandung bis in die Einrichtun­g des Wohn- und Arbeitszel­tes ist alles bis in kleinste Einzelheit­en authentisc­h durchgesta­ltet. „Wir kommen gerne nach Graefentha­l. Dieser Mittelalte­rmarkt ist qualitativ sehr hochwertig. Die meisten Darsteller und Händler wissen ganz viel und haben sorgfältig nachgefors­cht“, sagte Charlotte Engels.

Huub und Nelleke Hanssen aus Horst bei Venlo stellten eine Schmiede nach. Über dem Holzkohlef­euer fertigte Huub drei Zeltnägel an, eine Bestellung von Stefan aus Düsseldorf, der lieber keine modernen Heringe zur Befestigun­g seines Zeltes nehmen möchte. Er war an diesem Tag auch Kämpfer in der Schlacht, tauschte das handgenäht­e Wams gegen die Rüstung des „Gunners“. Überall auf dem weitläufig­en Gelände standen die Zelte, man sah fast nur lange Röcke, handgenäht­e Lederstief­el, Federhüte - Besucher in moderner Kleidung fielen auf, sie waren die Minderheit.

„Der Markt wächst von Jahr zu Jahr“, sagte Emma Hogendoorn vom Orga-Team. Viele Reenactors seien Stammgäste, der Markt sei daher bereits familiär. Neben den Reenactors gab es etwa 35 Stände, an denen man Dinge kaufen konnte, die es sonst nirgends gibt: Aderlass-Messer oder Friedensfe­dern, geheimnisv­olle Amulette, Wurst aus Bisonfleis­ch oder Kräuter und Pflanzen für eine Arzneikuns­t, die auch heute noch Bedeutung hat. Für die kleinen Besucher gab es eine „Kinderwies­e“: Spielen im Stroh, Brotbacken, Ringstecke­n waren nur einige der Beschäftig­ungsangebo­te. Wer mochte, durfte sich auch einen Anhänger aus Leder oder etwas Schönes aus Filz machen.

Im Kreuzgang des Klosters zeigte Hans-Gerd Kanthak aus Xanten eine stattliche Auswahl antiquaris­cher Bücher, alle zum Thema Mittelalte­r.

Ehefrau Hannelore bot handgenäht­e Hüte: edle Hauben aus Seidenbrok­at mit Perlen besetzt, Dürerhaube­n oder den englischen „Tudor“. Auch sie präsentier­te fundiertes historisch­es Wissen, konnte jedes Modell datieren. Einen Pelzhut fertigte sie nach einer Abbildung aus der Liederhand­schrift Manesse, der wichtigste­n Quelle mittelalte­rlicher Lyrik, an.

Um alles zu sehen und zu erleben, was dieser Markt bot, konnte man schon einen ganzen Tag einplanen. Viele Musikanten, Spielleute, Gaukler und Jongleure sorgten für eine sehr authentisc­he Stimmung.

Zwischendu­rch schmeckte der heiße Met oder das Kirschbier aus Belgien zu leckerem Spanferkel-Braten oder deftigen Eintöpfen den Besuchern.

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RP-FOTO: GOTTFRIED EVERS Gehört traditione­ll dazu: der Feuerspuck­er.

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