Neue Mauer im Kopf
Die Kluft zwischen Ost und West wird wieder größer – vor allem politisch.
Wer heute 30 Jahre alt ist oder jünger, kennt den Unterschied zwischen Westund Ostdeutschland nur aus den Geschichtsbüchern und aus den Erzählungen der eigenen Eltern. Doch aktuell droht die Kluft zwischen Ost und West wieder größer zu werden. In den Köpfen wächst eine neue Mauer. Eine am Wochenende veröffentlichte Emnid-Umfrage zeigt, dass die AfD in den ostdeutschen Bundesländern mit 25 Prozent nun knapp vor der CDU liegt (24 Prozent). Die viel zitierte Spaltung des Landes hat auch einen geographischen Verlauf entlang der früheren deutsch-deutschen Grenze. Auch im Westen gibt es Unzufriedenheit mit der Koalition, Unbehagen über den Zustand der inneren Sicherheit und Ängste um den Wohlstand. Dort aber ist das Zutrauen in das politische Establishment, das dem Land seit mehr als sieben Jahrzehnten trotz vieler Krisen am Ende Wohlstand, Freiheit und Frieden beschert, tief verankert. Die AfD hat keine Chance, Mehrheitspartei zu werden.
Nun hilft es nicht, den Ostdeutschen vorzuwerfen, sie verstünden nichts von Demokratie. Damit wird man die Zahl derjenigen, die nicht mehr bereit sind, sich an einer konstruktiven politischen Auseinandersetzung zu beteiligen, nur vergrößern. Wirtschaftlich und strukturell steht der Osten trotz niedrigerer Löhne und mehr Arbeitslosigkeit nicht schlecht da: Die Renten sind höher, die Wohnungen preiswerter, und in den Schulrankings hat Sachsen den Bayern den Rang abgelaufen. Aber politisch droht der Osten abgehängt zu werden. Wenn sich der Rechtsruck verstetigt, wird das fatale Folgen haben und einen erneuten wirtschaftlichen Abstieg nach sich ziehen: International arbeitende Firmen und Forschungseinrichtungen könnten sich aus dem Osten zurückziehen. Die Spaltung zwischen Ost und West würde sich erst recht vertiefen.