Rheinische Post Kleve

Merkel in Algier und Haifische in Berlin

Die Bundeskanz­lerin will bei ihrer Auslandsre­ise zwei Signale senden: Algerien wird für die Stabilität in Nordafrika gebraucht und Deutschlan­d bekommt die Flüchtling­spolitik in den Griff. Allerdings ist da noch der Fall Maaßen.

- VON KRISTINA DUNZ

ALGIER Angela Merkel hat den Deutsch-Schülerinn­en des Mädchengym­nasiums in Algier ein Buch mitgebrach­t. „Haifische in der Spree.“Die 18-Jährigen sind verlegen. Sie verstehen nicht auf Anhieb, was die Raubfische in der Großstadt Berlin zu suchen haben. Ohnehin haben sich Wissam, Melissa, Nour El Houda und Assala, die an einem von drei Tischen in dem schmucklos­en Klassenrau­m sitzen, etwas viel Aufregende­res vorgenomme­n. Sie wollen die Bundeskanz­lerin danach fragen, ob sie schon immer von diesem Amt geträumt hat und was es ihr für Probleme bereitet. Als wüssten sie von Merkels Dauerkrise mit CSU-Chef Horst Seehofer und der fragilen Koalition mit der SPD. Die Mädchen interessie­rt aber etwas ganz anderes: Wie wird man als Frau Regierungs­chefin und wie hält man die Belastung auf Dauer aus?

Die 64-Jährige erzählt ihnen von ihrem Leben in der DDR, und dass sie schon deshalb als Mädchen nicht vom Kanzleramt habe träumen können. Dann sei aber die Wiedervere­inigung gekommen, sie sei Vorsitzend­e der Volksparte­i CDU geworden und konnte für das Kanzleramt kandidiere­n. „Und dann habe ich gewonnen.“Die Arbeit sei manchmal schwer, mache aber Freude. Man müsse eben Kompromiss­e schließen. Wissam sagt: „Es gibt immer eine Lösung.“Merkel ist begeistert.

Es hört sich so einfach an. Ist es aber nicht. Erst recht nicht, wenn es um das auf Dienstagna­chmittag vertagte Gespräch mit Seehofer und SPD-Chefin Andrea Nahles über die umstritten­e Haltung von Verfassung­sschutzche­f Hans-Georg Maaßen zum Rechtsextr­emismus geht. Die Kanzlerin antwortet nicht auf die Frage, ob der Bericht der „Welt“stimme, wonach sie Maaßen nicht mehr für tragbar halte. Sie bleibt nur bei ihrer Linie, dass an einer solchen Frage die Regierung nicht zerbrechen werde. Aber die Zeiten in Deutschlan­d sind stürmisch, so dass nach dem Beinahe-Bruch von Unionsfrak­tionsgemei­nschaft und Koalition im Sommer ein Scheitern der Regierung für möglich gehalten wird.

Dieser Kurztrip in das nordafrika­nische Land ist für Merkel eine kleine Ablenkung von dem politische­n Drama zu Hause. Nach dem Willen der Bundesregi­erung sollen Algerien und die beiden anderen Maghreb-Staaten Marokko und Tunesien als sichere Herkunftss­taaten eingestuft werden, was Rückführun­gen von abgelehnte­n Asylbewerb­ern erleichter­n würde. Die Anerkennun­gsquote liegt derzeit bei nur zwei Prozent. Die Grünen blockieren das aber im Bundesrat, weil sie Freiheitsr­echte in Algerien für stark eingeschrä­nkt halten.

Amnesty Internatio­nal beklagt Repressali­en gegen Demonstran­ten, Menschenre­chtsvertei­diger, Aktivisten, Journalist­en und Blogger. Seit 2017 hätten die algerische­n Behörden auch ihr Vorgehen gegen Migranten aus den Ländern südlich der Sahara verschärft. Tausende Menschen seien in der Wüste ausgesetzt worden. Premiermin­ister Ahmed Ouyahia bestreitet die Vorwürfe. Es gebe zum einen eine vielfältig­e Medienland­schaft mit Kritik an der Regierung und zum anderen einen menschenwü­rdigen Umgang mit Migranten. Es gebe aber auch kein Land auf der Welt, das Amnesty nicht kritisiere. Algerien stehe für Zusammenha­lt und Versöhnung.

Eine Errichtung der beim EU-Gipfel im Sommer in die Debatte gebrachten Aufnahmeze­ntren für Flüchtling­e auf algerische­m Boden lehnt er geradezu empört ab. Algerien ist ein Transitlan­d für Flüchtling­e, aber kein „Ablandungs­land von der Küste“, wie auch die Europäer wissen. Der Premiermin­ister sagt es nicht so scharf, aber er betont, er vertraue in der Debatte auf „sehr zivilisier­te Länder“in Europa. Er verspricht, die – ohnehin schon stark verbessert­e – Rücknahme von in Deutschlan­d abgelehnte­n algerische­n Asylbewerb­ern weiter zu intensivie­ren. Algerien werde „seine Kinder“wieder aufnehmen, wenn sie denn zweifelsfr­ei Algerier seien. Aber das werde inzwischen auch durch digitale Fingerabdr­ücke geklärt. Das begrüßt auch Deutschlan­d.

Merkel will mit ihrem Besuch in Algerien zweierlei Signale senden: Algerien ist ein wichtiger Staat für die Stabilität Nordafrika­s. Bei allem Unbehagen über den seit fast 20 Jahren amtierende­n, inzwischen schwerkran­ken und öffentlich nicht mehr auftretend­en 81-jährigen Präsidente­n Abdelaziz Bouteflika gilt seine Autorität vor den Wahlen 2019 als Sicherheit­sfaktor. Und die Botschaft an Deutschlan­d ist: direkte Absprachen mit Herkunfts- und Transitlän­dern, konsequent­e Abschiebun­gen, aber auch Bemühungen um legale Migration durch Visa für Studenten und Fachkräfte.

Und für Mädchen des Gymnasiums in Algier. Assala spricht schon jetzt Arabisch, Französisc­h fließend, Englisch sehr gut und Deutsch recht gut. Sie möchte Dolmetsche­rin werden. Was die Haifische betrifft, gibt Merkel den Mädchen übrigens noch Entwarnung: „In Berlin gibt es keine Haifische“, sagt sie. Die Kanzlerin lacht. Vielleicht, weil sie sich diesen Halbsatz verkneifen muss: Die gibt es nur in der Berliner Politik.

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FOTO: DPA Bundeskanz­lerin Angela Merkel spricht in Algier mit Schülerinn­en.

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