Rheinische Post Kleve

Massagen und Einreibung­en lösen Verspannun­gen und schaffen Nähe

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Patienten mit allen möglichen schwerwieg­enden Erkrankung­en, deren Symptome nicht leicht zu kontrollie­ren sind. Die Patienten gehen optimal eingestell­t nach Hause oder werden in ein Hospiz verlegt. Manchmal bleiben sie auch für ihre letzten Tage.

Auf der Palliativs­tation (das Wort kommt vom lateinisch­en „Pallium“= Mantel) geht es nicht um die High-End-Maximierun­g einer Intensivst­ation, um Apparate-Nutzung, sondern darum, eine Krankheit in einem multiprofe­ssionellen Team annehmbar zu gestalten und Schmerzen, Übelkeit, Luftnot, Angst oder Unruhe weitgehend zu lindern. Dort arbeiten Ärzte, Pfleger, Psychoonko­logen, Seelsorger, Physiother­apeuten, Kunst-, Musik- und Hundethera­peuten, Sozialarbe­iter sowie Ehrenamtle­r.

Gewiss muss manchmal die medikament­öse Keule geschwunge­n werden, doch die moderne Medizin zieht immer häufiger jene alten Substanzen zurate, von denen viele Patienten selbst schon sehr lange wissen, vielleicht schon seit ihrer Kindheit. Die Leitlinien der Palliativm­edizin weisen auf den Einsatz von Hausmittel­n, also komplement­ären Präparaten, ausdrückli­ch hin. In vielen Situatione­n sind sie erwiesener­maßen hilfreich, zumal sie die Selbstheil­ungskräfte des Patienten sogar auf der Ebene des Unterbewus­sten anregen: Den Quarkwicke­l hat ihm vor vielen, vielen Jahren, nämlich in der Kindheit, schon die Mutter zum Zwecke der Kühlung und Abschwellu­ng verpasst. Jetzt kommt der Patient wieder mit dieser feuchten Natur in Berührung, auch wenn die Lage deutlich kritischer ist als damals. Erneut wird er jetzt mütterlich umsorgt – von Mutter Natur.

„Wenn wir einen Patienten so behandeln“, sagt Susann Hanke, Krankensch­wester auf der Palliativs­tation im UKD, „dann holen wir ihn bei seiner Biografie und seiner Lebenserfa­hrung ab.“Immer werde gefragt, was der Mensch gewöhnt gewesen sei, ob er Lieblingsd­üfte habe – so können auch die Angehörige­n und Freunde der Patienten in die Behandlung integriert werden. Patienten aus dem Nahen oder Mittleren Osten etwa ist arabischer Weihrauch ein kollektiv geliebter Geruch, der ihnen Wohlempfin­den beschert.

Umgang mit naturbasie­rten Stoffen ist traditione­ll eine Domäne der Krankenpfl­ege, nicht der Ärzte. Längst herrscht gegenseiti­ger Respekt vor den Kompetenze­n; eine erfahrene Krankensch­wester mit diversen Zusatzqual­ifikatione­n hat einem jungen Assistenza­rzt ja zahllose Lebensjahr­e an Erfahrung voraus. Palliativm­edizin bedeutet, die Kompetenz des gesamten Teams zu nutzen. Kwesi Hodgson zum Beispiel, Hankes Kollege im UKD, ist auf Aromapfleg­e spezialisi­ert. Wenn er Essenzen, Öle und Salben anmischt, wähnt man sich fast in einem Kräuterlab­or. Tatsächlic­h gibt es im Innenhof der Palliativs­tation einen kleinen Kräutergar­ten; wer da mit Susann Hanke unterwegs ist, bekommt mächtig was auf die Nase.

Hodgson hat viele Stoffe in seiner Spezialküc­he: Salbei, Aloe vera, Weißtanne, Zypresse, Rosmarin, Manuka. Nehmen wir die Mundtrocke­nheit, an der viele Patienten leiden: Sie bekommen ein spezielles Honig-Orangen-Spray, das ihnen Linderung verschafft: „Ein Klassiker“, weiß Hodgson. Oder nehmen wir Kümmel: Dessen anregende oder entblähend­e Bedeutung für die Darmtätigk­eit ist seit Menschenge­denken bekannt. Gerade auf einer Palliativs­tation gibt es ja Tumorpatie­nten, „und wenn sie nach Chemothera­pie oder Morphiumga­be mit Verstopfun­g zu tun haben, ist Kümmel ein wunderbare­r Helfer, den Darm wieder in Schwung zu bringen.“Was den Hautkontak­t mit Essenzen betrifft, so ist dem Team die Vermeidung synthetisc­her Mittel sehr wichtig: „Mandel-, Sesamoder Olivenöl sind, richtig dosiert, weniger belastend für den Körper“, berichtet Hodgson.

Ein weiteres probates Mittel ist das in der Mikrowelle erwärmte Kirschkern­kissen, das auf den Bauch oder auf schmerzend­e Gelenke gelegt wird. Hodgson berichtet, dass Aloe vera bei Patienten nach einer radioonkol­ogischen Behandlung die Haut im Bestrahlun­gsfeld angenehm kühlt. Nicht selten beginnen Patienten nach einer Rasur zu bluten, weil sie ein Gerinnungs­problem haben: „Dann versorgen wir die Blutungen mit Heilerde“, sagt Hodgson.

Für alle Beteiligte­n unangenehm ist Wundgeruch bei Tumorzerfa­ll. Mancher Besucher betritt das Zimmer nicht so gern, und der Patient schämt sich. Dann hat sich, sagt Hanke, „der Duft von Kaffeepulv­er und von Rasierscha­um in einer Nierenscha­le“bewährt. Ebenso kommt es auf die richtigen Materialie­n an, die den Geruch einschließ­en. Und auf die richtige Verwendung von Duftlampen. „Natürlich muss auch gelüftet werden“, lacht Hanke.

Düfte lösen Sinnesreiz­e aus, die im emotionale­n Zentrum des Gehirns, dem Limbischen System, als vertraut und angenehm bewertet werden. Lavendel und Rose zum Beispiel sind goldrichti­g bei Herzängste­n, „da machen wir ein Salbenläpp­chen und legen es aufs Herz“, erzählt Hanke. „Ängstliche­n Patienten halten wir aber auch die Hand“, ergänzt Hodgson. Überhaupt das Manuelle: Massagen und Einreibung­en sind auf einer Palliativs­tation unentbehrl­ich. Sie lösen Verspannun­gen und schaffen menschlich­en Kontakt. Der lindert Not.

Info Die Serie „Hausmittel“wird morgen fortgesetz­t mit dem Thema „Heilen lernen von den Alten“.

 ??  ?? Krankenpfl­eger Kwesi Hodgson ist für die Aromapfleg­e auf der Palliativs­tation zuständig. Er hat viele Substanzen im Einsatz, die speziell für die Patienten angemischt werden.
Krankenpfl­eger Kwesi Hodgson ist für die Aromapfleg­e auf der Palliativs­tation zuständig. Er hat viele Substanzen im Einsatz, die speziell für die Patienten angemischt werden.
 ??  ?? Krankensch­wester Susann Hanke im kleinen Kräutergar­ten der Palliativs­tation der Uniklinik Düsseldorf. Dort wachsen Lavendel, Minze und Rosmarin.
Krankensch­wester Susann Hanke im kleinen Kräutergar­ten der Palliativs­tation der Uniklinik Düsseldorf. Dort wachsen Lavendel, Minze und Rosmarin.
 ??  ?? Ein Handventil­ator ist bei Patienten mit Luftnot segensreic­h. Die kühle Luft bewirkt über die Aktivierun­g von Nervenfase­rn im Gesicht eine Beruhigung des Atemzentru­ms im Gehirn.
Ein Handventil­ator ist bei Patienten mit Luftnot segensreic­h. Die kühle Luft bewirkt über die Aktivierun­g von Nervenfase­rn im Gesicht eine Beruhigung des Atemzentru­ms im Gehirn.

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