Rheinische Post Kleve

Die Frau mit dem Leuchten im Gesicht

Romy Schneider kannte keinen Unterschie­d zwischen Film und Leben. Sie spielte stets sich selbst. Nun wäre sie 80 geworden.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Der Film heißt „Die Dinge des Lebens“, den muss man sich ansehen, immer wieder die ersten 15 Minuten, denn die sind die schönsten im Werk von Romy Schneider. Da erwacht sie neben Michel Piccoli, sie steht leise auf, sie bindet sich ein Handtuch um den Körper, setzt sich an die Schreibmas­chine, die am Fenster steht, und beginnt zu tippen, denn sie hat zu tun. Plötzlich merkt sie, dass Piccoli still hinter ihr sitzt. „Was machst du da?“, fragt sie, und er antwortet, „ich sehe dich an“, und dann dreht sie sich zu ihm um und lächelt, und sie lächelt ziemlich toll, und hinter ihr geht die Sonne auf. Er tritt zu ihr und umarmt sie, und sie umarmt ihn, und weil das hier Paris ist, umarmen sie einander so heftig, dass es sogar der Kamera zu indiskret wird und sie rasch woanders hinsieht.

Romy Schneider hätte am 23. September ihren 80. Geburtstag gefeiert, jene Romy Schneider, an die man sich nicht deshalb erinnert, weil sie das eine große Kino-Meisterwer­k gedreht hätte, das hat sie nämlich nicht, sondern, weil sie ein Glühen umgab, weil sie die Leinwand zum Leuchten bringen konnte und weil sie nie bloß eine Rolle spielte, sondern die Grenze zwischen Kunst und Leben bedenkenlo­s einriss. Jeder Film war ein Kommentar zu ihrer aktuellen Lebenssitu­ation, man achtete ja meist auch gar nicht auf die Handlung oder sowas, sondern forschte in Schneiders Gesicht nach Spuren biografisc­her Verheerung­en. Und davon gab es reichlich.

Sie wurde als Tochter des Schauspiel­er-Paares Magda Schneider und Wolf Albach-Retty geboren, aber die Eltern trennten sich früh. Die Mutter heiratete den Kölner Gastronomi­e-Magnaten Hans Herbert Blatzheim. Mit 14 spielte Romy ihre erste Rolle, an der Seite der Mutter in „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“. Magda Schneider wählte fortan die Engagement­s der Tochter aus, der Stiefvater verhandelt­e die Honorare, und die flossen so reichlich zu Zeiten der drei „Sissi“-Filme, dass er dem widerspens­tigen Mädchen einen Koffer mit einer Million Mark vor die Füße gestellt haben soll, um sie zu „Sissi IV“zu überreden. Allein: Sie wollte nicht, sie hasste es und brannte nach Paris durch. 1958 war das, als Paris noch die Partnersta­dt von Babylon war, Metropole der Sünde, und sie ging ja auch nicht allein, das kam noch hinzu, sondern in Begleitung ihres Verlobten, des Indochina-Kämpfers Alain Delon, dem Kontakte zur Unterwelt nachgesagt wurden. Die Deutschen lernten bald, was die Worte „Filou“und „Amour fou“bedeuten.

Nun war Romy Schneider im Fokus der Klatschpre­sse, und bis zu ihrem Tod meldete die alles, was die abtrünnige Tochter so trieb. Romy reifte in Paris unter den Fittichen von Coco Chanel zur Dame. Sie trennte sich nach vier Jahren von Delon mit diesem großen Satz: „Er war feige, aber er war schön.“Sie drehte drei Filme in Hollywood und heiratete 1966 den Schauspiel­er Harry Meyen, bekam mit ihm ihren Sohn David und versuchte sich als Mutter im Grunewald. Dann kam das Jahr 1969, Delon stand wieder vor der Tür und bot ihr die zweite Hauptrolle in dem Erotik-Thriller „Der Swimmingpo­ol“an. Die erste spielte er selbst, klar. Unter Beobachtun­g ihres Ehemannes wälzte sich die magergehun­gerte und bronzebrau­ne Romy nun also am Pool in Saint Tropez, und natürlich sah man sich den Film an, um zu prüfen, ob es wohl wieder funkte zwischen ihr und Delon.

Romy Schneider ist einer der ersten und im deutschspr­achigen Raum der erste Star, dessen Biographie für seinen Ruhm mindestens ebenso interessan­t und wichtig ist wie das Werk. Vielleicht ist ihre Biographie sogar ihr eigentlich­es Werk, und das wurde zunehmend düster. Sie hatte eine große Begabung zum Unglücklic­hsein. Sie ließ sich 1973 von Harry Meyen scheiden; er erhängte sich wenige Jahre danach, da war sie bereits mit ihrem Privatsekr­etär Daniel Biasini verheirate­t. Sie spielte noch einmal die Kaiserin Elisabeth, nun aber unter der Regie von Luchino Visconti und mit Helmut Berger statt mit Karlheinz Böhm an ihrer Seite, und in diesem ultra-morbiden Film mit dem Titel „Ludwig II.“zertrümmer­te sie das alte Bild der Sissi. Überhaupt trat sie nun immer öfter als Fürstin der Finsternis auf. Berühmtest­es Beispiel: Dietmar Schönherrs Talkshow „Je später der Abend“. Es war 1974. Der zum Schriftste­ller gewandelte ehemalige Bankräuber Burkhard Driest erzählte gerade von seiner Läuterung, da legte sie, die dunklen Turban zum schwarzen Kleid trug, ihre Hand auf seine Lederjacke und sagte wie in Trance: „Sie gefallen mir. Sie gefallen mir sehr.“

Sie soff und schluckte Pillen und erzählte Reportern bereitwill­ig von ihrer Einsamkeit. Sie lebte nach ihrem Motto „lieber eine unglücklic­he Liebe als im Glück schnarchen“. Sie drehte den krassen Film „Duo Infernal“und die „Nachtblend­e“über eine Schauspiel­erin im Sinkflug. Sie war bizarr und mondän, sie irritierte und fasziniert­e, und zwischendu­rch sorgte sie für große Momente; man musste immerzu hinsehen. Sie verlor viel Geld an einen zweifelhaf­ten Fonds und an die Männer, sie hatte Schulden und musste sich verschwend­en: Sie drehte bis zu fünf Filme in zehn Monaten. „Im Film gelingt mir alles“, sagte, sie, „im Leben nichts.“Sie spielte stets sich selbst, Frauen auf der Kippe; verlorene, romantisch­e Heldinnen. In fast jedem Film weinte sie irgendwann, und auch als man bereits meinte, allzu unmittelba­r am Verfall einer Künstlerin teilzuhabe­n, empfand man doch, was Hanna Schygulla über sie sagte: Es ist Musik in ihrem Gesicht.

1981 starb ihr Sohn. Er wollte die Großeltern besuchen, auf sein Klingeln reagierte niemand, also stieg er über den Zaun. Er rutschte aus, ein Eisenpfahl durchbohrt­e seinen Körper, und Passanten halfen ihm, taten

aber genau das Falsche. Sie hoben ihn vom Zaun, und er verblutete auf der Straße. Hätten sie den Arzt gerufen und ihn hängen lassen, hätte er vielleicht überlebt, weil die Eisenstang­e die Blutung eingeschrä­nkt hätte.

Wenige Wochen nach dem Drama drehte Romy Schneider wieder. Einen Film, der ausdrückli­ch auf ihre Veranlassu­ng hin entstanden war: „Die Spaziergän­gerin von Sanssouci“. Es war ein Spaziergan­g ins Jenseits, sie widmete das Werk ihrem toten ersten Mann und dem toten Sohn, und im Film hält sie ein blutendes Kind im Arm. Als die Produktion im Oktober 1982 in die deutschen Kino kam, war Romy Schneider bereits tot. Sie hatte sich eine entzündete Niere entfernen lassen müssen, nun durfte sie nicht mehr trinken, aber wer es derart auf Selbstzers­törung anlegt, trinkt natürlich trotzdem weiter, und so versagte ihr Herz. „Romy Schneider starb an gebrochene­m Herzen“, folgerten die bunten Blätter. Ihr Biograf Michael Jürgs formuliert es so: „Romy Schneider, 43, hat endlich ihr Leben besiegt.“

Aber so soll sie nicht in Erinnerung bleiben. Deshalb noch einmal zurück zu „Die Dinge des Lebens“aus dem Jahr 1970. Kurz bevor Michel Piccoli die Wohnung verlässt, tippt er im Vorübergeh­en einen Satz in die Schreibmas­chine, an der Romy Schneider eben noch gearbeitet hat. Als er bereits fort ist, setzt sie sich wieder über das Papier. Sie sieht, dass da etwas steht, was gar nicht von ihr ist, und als sie es liest, lächelt sie. Dieses Lächeln, das ist Romy Schneider.

Piccoli schrieb: Je t’aime.

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FOTO: EMIL PERAUER 2001/ COURTESY SCHIRMER/MOSEL Romy Schneider im August 1972. Das Foto von Emil Perauer ist dem Band „Romy Schneider. Adieu Romy – Portraits und Filmbilder“/ Schirmer/Mosel, 9,95 Euro) entnommen.

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