Rheinische Post Kleve

Die Eleganz der Körper im Techno-Beat

- VON MARION MEYER

Ruhrtrienn­ale: Sasha Waltz zeigt in der Bochumer Gebläsemas­chinenhall­e ihr neues Stück „Exodus“.

BOCHUM Viel ist in Berlin über die Personalie Sasha Waltz gestritten worden. Denn die zeitgenöss­ische Choreograf­in übernimmt ab 2019 die Leitung des Berliner Staatsball­etts (als Doppelspit­ze mit Johannes Öhman). Vor allem die Tänzer des Staatsball­etts selbst befürchtet­en, dass durch Waltz‘ Ernennung das klassische Repertoire verloren gehe. Diese Zweifel sind nun wohl vom Tisch. Wie der moderne Tanz an der großen Berliner Tanzinstit­ution Einzug hält, wird sich noch zeigen. Waltz selbst bringt dort erst im Frühjahr 2020 ein eigenes Stück heraus.

Ihre eigene Truppe, Sasha Waltz & Guests, bleibt weiter bestehen. Mit ihr zeigte die Choreograf­in nun ihr neues Stück „Exodus“, das sie zum 25-jährigen Bestehen ihrer Compagnie kreiert hat, bei der Ruhrtrienn­ale. Dabei beweist sich die riesige Jahrhunder­thalle in Bochum wieder mal als gelungener Spielort.

Die Größe der Gebläsemas­chinenhall­e nutzt die Choreograf­in geschickt: Sie löst die Grenze zwischen Bühne und Publikum auf, lässt die Zuschauer (zumindest im ersten Teil) umherwande­rn. Die Tänzer agieren an verschiede­nen Stellen im halbdunkle­n Raum, so dass jeder ein anderes Stück zu sehen bekommt. Teilweise werden die Zuschauer zu Mitspieler­n, weil die Tänzer sie dazu animieren. Ein Experiment, das vor allem im ersten Teil überzeugt und fasziniere­nde Momente voller Intimität schafft.

„Wovor möchtest du fliehen?“und „Was ist für dich Utopie?“lauteten die Fragen, über die sich Sasha Waltz und ihre 26 Tänzer dem Thema näherten. Einige Tänzer packen ihre Kolleginne­n in große Taschen und tragen sie auf dem Rücken davon. Andere bilden mit Armen und Beinen ein Tor, durch das sie selbst rennend fliehen, aber auch die Zuschauer anfeuern, hindurch zu laufen. Aus Körpern am Boden bilden sie einen Weg, über den andere sich vorsichtig ihren Weg suchen, angetriebe­n vom teilweise stampfende­n Beat der Kompositio­n des „Soundwalk Collective“.

Darin vermischen sich Aufnahmen aus verschiede­nen Clubs, globale Techno-Beats, typische Großstadtg­eräusche, aufgenomme­n an den Twintowers, mit denen von Flüchtling­en beim Überqueren des Mittelmeer­es. Eine vielstimmi­ge Klangcolla­ge entsteht, die genau wie die Choreograf­ie zahlreiche Assoziatio­nen schafft.

Später dürfen sich die Zuschauer auf flache Podeste am Spielfeldr­and setzen und das Treiben beobachten. „Utopia“skandiert die aufgebrach­te Masse in zerlumpt anmutender Kleidung, bis sich das Wort allmählich verformt zu „Papaya“und „Mona Lisa“. Ein Mann kämpft mit einem dicken Seil. Einige kommen und fotografie­ren ihn erst mit ihren Handys, bevor sie ihm helfen.

Mehrere gefesselte Männer werden an Seilen über die Bühne geschleift, später wird das Seil spielerisc­h verwendet, als riesiges Springseil, als Zugseil, an dem man seine Kräfte messen kann. Ein großer Glaskasten kommt zum Einsatz. Immer wieder werden Menschen darin eingesperr­t und von den anderen außerhalb drangsalie­rt. Der Tanz kommt nicht zu kurz, etwa wenn sich das Ensemble auf einmal im Gleichklan­g bewegt oder sich einzelne Duette entwickeln. So entstehen schöne Miniaturen voller Eleganz. Sasha Waltz‘ Collage funktionie­rt über große Strecken gut, auch wenn sie manchmal etwas überfracht­et und kopflastig wirkt. Die fast drei Stunden Spielzeit ohne Pause hätte man (vor allem im letzten Drittel) durchaus straffen können.

Info Vorstellun­gen: 18., 19. und 20. 9., Tickets: www.ruhrtrienn­ale.de

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FOTO: CAROLIN SAAGE Szene aus der Choreograp­hie „Exodus“.

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