Rheinische Post Kleve

„Merkels Autorität hat Schaden genommen“

Niedersach­sens Ministerpr­äsident ruft die Koalition in Berlin zur Ordnung und lehnt Hardware-Nachrüstun­gen für Dieselauto­s ab.

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HANNOVER Stephan Weil empfängt in seinem großzügige­n Büro in der Staatskanz­lei. Der Ministerpr­äsident wird gehört in Berlin, in der SPD hat er viel Einfluss. Die Koalitions­krise nervt ihn zunehmend.

Herr Weil, ist es ein Erfolg der SPD, dass Hans-Georg Maaßen den Verfassung­sschutz verlassen muss? Weil Es ist gut, dass Herr Maaßen nicht mehr Chef des Verfassung­sschutzes ist und es war gut, dass die SPD so insistiert hat. Nicht gut ist, dass Maaßen zum Innenstaat­ssekretär befördert wird. Das wirft ein schlechtes Licht auf die Haltung von Seehofer und die Durchsetzu­ngskraft von Merkel.

Wie sollte es beim Verfassung­sschutz jetzt weitergehe­n?

Weil Die Bundesregi­erung hat die Aufgabe, das Vertrauen in den Verfassung­sschutz wiederherz­ustellen. Es handelt sich dabei um eine enorm wichtige Behörde, gerade in Zeiten aufstreben­der Extremiste­n auf allen Seiten. Demokratie ist eine zarte Pflanze, die geschützt werden muss. Wir brauchen einen starken Verfassung­sschutz.

Sie haben sich einst für eine Neuauflage der großen Koalition eingesetzt, bisher gibt sie angesichts der vielen Streitigke­iten aber ein desolates Bild ab. Ist das noch zu retten? Weil Ich hoffe das sehr. Union und SPD haben ein gemeinsame­s Interesse, vernünftig­e Politik für die Bürgerinne­n und Bürger zu machen. Wir haben eine erstarkte AfD und eine erhebliche Verunsiche­rung in der Bevölkerun­g. Gerade in einer solchen Situation ist gute Regierungs­arbeit zwingend nötig. Dazu muss aber die CSU ihren permanente­n Krisenmodu­s endlich verlassen.

Aber wie? Indem die Kanzlerin Seehofer ziehen lässt?

Weil Das muss Angela Merkel entscheide­n. Klar ist aber, dass die Autorität der Kanzlerin durch die Konflikte mit der CSU-Spitze erhebliche­n Schaden genommen hat. Bestimmte Dinge darf sich eine Kanzlerin nicht bieten lassen.

Die AfD hat in Ostdeutsch­land viel Rückhalt. Sorgen Sie sich, dass die CDU nach den ostdeutsch­en Landtagswa­hlen in 2019 vereinzelt mit der AfD koalieren könnte?

Weil Davor kann ich die CDU nur warnen. Sollte eine demokratis­che Partei wie die CDU jemals ein Regierungs­bündnis mit der AfD eingehen, würde diese Partei einen historisch­en Fehler begehen und womöglich viel Schuld auf sich laden. Glückliche­rweise kann ich solche Bestrebung­en derzeit nicht erkennen.

In dieser Woche jährt sich der Dieselskan­dal zum dritten Mal. Neben den Softwareup­dates werden Hardwarena­chrüstunge­n gefordert. Unterstütz­en Sie das?

Weil Die Automobili­ndustrie hat große Fehler gemacht, da gibt es nichts zu beschönige­n. Und ich kann den Ärger jedes einzelnen Betroffene­n verstehen. Aber wir müssen uns an die Fakten halten. Hardwarena­chrüstunge­n an Dieselfahr­zeugen sind nicht das Allheilmit­tel, von dem viele träumen. Wir dürfen den Autofahrer­n keine Hoffnungen machen, dass damit alles rasch besser werden könnte. Das ist einfach nicht der Fall.

Aber die Bundesumwe­ltminister­in, selbst Genossin, verlangt Nachbesser­ungen auf Kosten der Hersteller. Hat sie das noch nicht verstanden? Weil Wollte man eine solche Nachrüstun­g richtig machen, brauchte es je Modell und Motorentyp eine Entwicklun­g der optimalen Motorenste­uerung; diese müssten allesamt zugelassen werden. Der technische und zeitliche Aufwand wäre bei Millionen Fahrzeugen extrem groß, von den Kosten für die Hersteller ganz abgesehen. Wir würden bei Hardwarena­chrüstunge­n wohl erst nach etwa drei Jahren Effekte bei der Luftqualit­ät messen können. Die Luft aber wird schon jetzt von Jahr zu Jahr besser. Ich halte es für falsch, in rückwärtsg­ewandte Maßnahmen zu investiere­n, wenn dann Zeit und Geld fehlt, die Dieselflot­te insgesamt zu erneuern. Hardware-Nachrüstun­gen sind aus meiner Sicht vor allem bei Bussen und Spezialfah­rzeugen sinnvoll.

Die SPD debattiert darüber, was Hartz IV nachfolgen sollte. Sind Sie auch dafür, zunächst erstmal die schärferen Sanktionen gegen junge Hartz-IV-Bezieher abzumilder­n? Weil Immer härtere Sanktionen erzielen selten den gewünschte­n Effekt. Das gilt in der Außenpolit­ik wie in der Sozialpoli­tik. Insofern

würde ich es begrüßen, wenn junge Hartz-IV-Bezieher nicht strenger behandelt würden als ältere...

...und das System insgesamt abgeschaff­t würde?

Weil Nein, das würde zu weit gehen. Gleichwohl sind Hartz IV und das Arbeitslos­engeld Regelwerke, die mittlerwei­le fast eineinhalb Jahrzehnte alt sind. Der Arbeitsmar­kt ist heute in einer völlig anderen Verfassung als damals.

Hinzu kommt oftmals die gesellscha­ftliche Ächtung.

Weil Leider ist das so. Ich nehme wahr, dass Menschen punktuell eine herablasse­nde Behandlung in Jobcentern erfahren. Die Verwaltung täte sehr gut daran, gerade in diesen Einrichtun­gen überall menschlich und freundlich aufzutrete­n. Das fängt bei neu verfassten Anträgen in einer leichten, zugänglich­en und angenehmer­en Sprache an. Und mancherort­s muss sich vielleicht auch das Verhalten der Sachbearbe­iter verändern. Damit ließe sich schon einiges an Vertrauen in den Staat und seine Behörden zurückgewi­nnen.

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FOTO: LAIF Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil in der Staatskanz­lei in Hannover.

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