Heilen lernen von den Alten
Gesunde Geschichten: Bewohner des Düsseldorfer Dorothee-Sölle-Hauses berichten von ihrem Leben mit Hausmitteln.
DÜSSELDORF Gerlinde Knobloch schlägt ihr dickes Notizbuch auf. „Wir hatten früher ja nicht immer Medikamente“, sagt die Seniorin. Die 89-Jährige wohnt im Dorothee-Sölle-Hauses Düsseldorf-Oberkassel. Sie und drei weitere Senioren sitzen rund um einen großen Tisch im Altenheim und erinnern sich, wie früher bei ihnen daheim geheilt wurde. Alternative Mittel aus der Natur hätten sie benutzt, Hausmittelchen also. Ihre Tipps und ihr Wissen über das Heilen mit Hausmitteln geben die Senioren gerne weiter. Manche sind heute noch bekannt.
Bienenhonig bei Erkältungen, heiße Zitrone bei Migräne, Baldriantee bei Schlaflosigkeit oder Kamillentee bei Magenschmerzen gehören zu den wohl bekannten Naturheilmethoden. Manche Hausmittel sind vielseitig einsetzbar. „Mit essigsaurer Tonerde kann man sich von Kopf bis Fuß einreiben, die ist für alles gut“, betont Gerlinde Knobloch.
Franzbranntwein könne man ebenfalls bei fast allen Leiden einsetzen. Friedhelm Dahlmann ist schon 92 Jahre alt und sitzt im Rollstuhl. Er verwendet den Schnaps selbst täglich: „Ich reibe jeden Morgen und Abend meinen Fuß mit Franzbranntwein ein, das riecht nicht nach Schnaps, sondern positiv. Dadurch erreichen die Knochen Stabilität.“Bei Knochenerkrankungen helfe auch Heilerde, sagt der Senior. „Vom Sport lädierte Knochen, die angeschwollen und entzündet sind, kann man mit Heilerde einreiben, und ein paar Tage später ist es besser.“
Auch Arnika könne nach einem Knochenbruch helfen, erklärt Elsa Druskat. „Als ich einen Gips vom Fuß abbekommen habe, habe ich den Fuß gründlich mit Arnika eingerieben und bin dann auf einen Berg gewandert, kein Problem.“Arnika sei sowieso für viele Leiden ein wunderbares Mittel, auch als Arnika-Schnaps, da sind sich alle Senioren einig. „Leider kann man Arnika jetzt nicht mehr sammeln gehen“, sagt Knobloch, „schließlich steht er unter Naturschutz.“Immerhin findet man Arnika als Salbe, Gel oder Tinktur häufig in der Apotheke.
Eine bekannte Heilpflanze, die als Hausmittel viele verschiedene Anwendungen findet, ist die Kamille. Aus den Blüten könne man Kamillenkissen machen, sagt Margrit Höffges. Die 83-Jährige hat etwas Mühe beim Sprechen, aber auch jede Menge Wissen weiterzugeben. „Man tut Kamillenblüten in ein Stofftaschentuch oder in einen Waschlappen und macht das warm. Dann kann man sich das Kissen an den Kopf halten und dann einen Schal drumbinden, das hilft bei Ohren- oder Zahnweh.“Wer so ein Kamillenkissen an den Kopf gebunden hatte, war bei ihnen früher als „Blütenkopf“bekannt, erzählt Höffges und schmunzelt.
Die Seniorin kennt noch ein weiteres Einsatzgebiet für die Kamille: Augenleiden. „Wir haben früher immer in Kamillentee Watte getunkt und auf das Auge gehalten“, sagt Höffges. Aber das ist noch längst nicht alles. „Kamillenblüten in Wein gekocht helfen auf den Bauch gerieben bei Bauchschmerzen“, erklärt Druskat. Insgesamt halten die Senioren viel von verschiedenen Kräutern und Heilpflanzen. Brennnesseltee etwa sei sehr gesund. Und auch Fenchel, Wermut und Schafgarbe seien als Tee gut gegen Magenbeschwerden und bei Blähbauch, meint Gerlinde Knobloch. Spitzwegerich helfe bei Schnitten und kleineren Verletzungen an den Fingern. Oder der Echte Augentrost, der – wie der Name sagt – gut für die Augen ist.
Von Holunder ist Knobloch ebenfalls überzeugt. „Holunder hilft gegen Halsschmerzen, Schnupfen und Fieber“, sagt Knobloch und nickt. Druskat erzählt eine Geschichte aus ihrer Kindheit: „Bei uns gab es Holundersülze bei Erkältung. Und deshalb haben wir immer noch mehr krank gespielt, damit wir das bekommen haben. Die Holundersülze war köstlich.“
Denn nicht nur Kräutertees können heilende Wirkung entfalten. Auch Quark, Zwiebeln, Zitronen und Kartoffeln finden als Hausmittel Verwendung. Kartoffeln sind beispielsweise ein Heilmittel für Halsweh – gegessen werden sie allerdings nicht. „Man tut eine heiße Kartoffel in einen Strumpf, mit Schale. Dann zerdrückt man sie im Strumpf und hält ihn an den Hals, bis die Kartoffel kalt wird“, erklärt Höffges und macht die Bewegung vor. Heilen durch Wärme sei das dann.
Zitrone und Zwiebel sind für die äußere Anwendung geeignet. „Bei einem Bienenstich hilft es, den Stachel zu entfernen und dann Zwiebeln und Zitrone auf die Stichstelle zu halten“, sagt Höffges. Auch bei Wespenstichen soll die Behandlung funktionieren. Eine weiteres Mittel hier sind Quarkwickel. „Man streicht den Quark auf die entzündete Stelle und legt ein Tuch darüber, wickelt das ein. Das lässt man so über die Nacht. Der Quark zieht das Gift raus, und der Stich wird besser“, erklärt Knobloch.
Verschiedene Wickel seien sowieso gut für das Heilen, finden die Senioren. Für Erkältungen haben sie viele Tipps parat. Kalte Wadenwickel helfen bei Fieber, meint Höffges. Aber auch Heil- und Dampfbäder seien gut bei Erkältungen und Grippe, sagt Druskat. Man könne die Krankheit so rausschwitzen.
„Pferdefett hilft gegen alle Knochensachen und -leiden, bei Verstauchungen beispielsweise“, sagt Knobloch. Man müsse die entsprechende Stelle dann mit der Salbe einreiben. „Pferdefett riecht nicht gut“,
räumt sie ein, „es riecht aber auch nicht wirklich schlecht, das muss man sagen.“
Dahlmann ist Fan von Hausmitteln, Naturheilmitteln und homöopathischer Behandlung. Von Kneipp-Therapien, wie etwa der Wasserkur und dem Wassertreten, hält er sehr viel. Seine Familie sei auf Arnika und Eukalyptus eingeschworen gewesen. Das liege unter anderem an einer Erfahrung, die er in seiner Kindheit gemacht hat und die ihn tief geprägt hat, erzählt der 92-Jährige. „Als ich fünf Jahre alt war hatte ich Knochen-TBC, also Tuberkulose. Mein Fuß eiterte schrecklich. Der Arzt meinte, dass man ihn abnehmen muss. Ein Heilpraktiker empfahl eine Ernährungsumstellung.“
Der Fuß müsse nicht abgenommen werden, das Kind solle sich von jetzt an nur anders ernähren: „Apfelsinen und nichts anderes sollte ich essen. Also haben meine Eltern kistenweise Apfelsinen herangeschafft“, sagt Dahlmann. „Nach drei Monaten platzte dann der Fuß auf, und der Eiter floss raus. So habe ich meinen Fuß nicht verloren.“