Den Professor im Hörsaal duzen?
Über die Anrede von Dozenten und Studenten gibt es keine Regeln. Zurückhaltung ist hilfreich.
BONN „Du Professor“, das hört man an deutschen Unis eher selten. Siezen ist die Normalität, Duzen eine Besonderheit. Im Ausland sieht das mitunter anders aus, Studenten, Dozenten, Professoren werden teils allesamt beim Vornamen gerufen. Das schaffe eine bessere Atmosphäre,
„Das Rollenverhältnis lässt sich durch Duzen nicht ändern“
Jan Seifert
Mitarbeiter an der Universität Bonn
heißt es, und das helfe dann beim Lernen.
Jan Seifert, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung für Germanistische Linguistik an der Universität Bonn, steht solchen Ideen eher skeptisch gegenüber. „Das Rollenverhältnis lässt sich durch Duzen nicht ändern“, sagt Seifert, der unter anderem zum Sprachgebrauch zwischen Studierenden und Lehrenden forscht.
Das Du sei auch ein Problem bei Prüfungen. „Es lässt den Eindruck entstehen, der Student hätte einen Vorteil und suggeriert Nähe zwischen Studenten und Professoren, die es nicht gibt“, sagt Seifert. Eine persönliche Ebene lasse sich im universitären Prüfungsbetrieb nicht aufrechterhalten. Das Duzen könne dann die eigene Unbefangenheit beeinflussen. „Kann man jemanden, den man duzt, durch eine Prüfung fallen lassen?“, fragt Seifert.
Wegen dieser Problematik komme Duzen an der Uni eher vor, wenn keine Prüfung damit verbunden ist, sagt Seifert. In Laboren mit Kleingruppen entstehe eher persönliche Nähe als in der klassischen Lehrsituation. „In Laboren gibt es oft ein engeres Miteinander und oft auch jüngere wissenschaftliche Mitarbeiter wie Doktoranden, die mit den Studenten gemeinsam an einem Projekt arbeiten“, sagt Seifert.
Duzende Dozenten seien häufig jünger, vermutet Seifert, vielleicht gebe es auch Alt-68er, die aus der Tradition heraus duzen. Belastbare Zahlen zum Duzen an der Hochschule gibt es aber keine. Die Anrede an der Universität ist eher unerforscht, auch von den Hochschulen selbst und von der Hochschulrektorenkonferenz gibt es keine Leitlinien, ob Dozenten besser duzen oder siezen. Der Campus-Knigge, ein Buch mit vielen Tipps für Studienanfänger, thematisiert unter seinem Eintrag „Anrede“das Duzen und Siezen gar nicht erst. Das Siezen an der Uni wird darin nicht infrage gestellt.
Die Anrede sei für die Stimmung im Kurs aber eigentlich auch nicht entscheidend, meint Seifert. Viele Studenten empfänden das Duzen nicht einmal als angenehm. „Manche finden Duzen anbiedernd, aber anderen wiederum gefällt es“, sagt Seifert. Auch das Auftreten, der Altersunterschied und das Hierarchiegefälle spielten für die Kommunikation in Seminaren eine Rolle. Und manchmal könne der Dozent die Stimmung auch nur kaum beeinflussen, so der wissenschaftliche Mitarbeiter. Er habe mitunter äußerst verschiedene Parallelkurse.
Dass Dozenten duzen, wird sich in Deutschland vermutlich nicht durchsetzen. Andererseits ist Duzen an der Uni insgesamt eine neue Entwicklung. Auch unter Studenten sei das lange Zeit Normalität gewesen, geduzt worden seien nur ehemalige Schulkameraden, sagt Seifert. „Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, aber das Duzen kam erst nach 1968. Erst Mitte der 70er war es normal, dass sich Studenten untereinander duzen.“