Rheinische Post Kleve

Den Professor im Hörsaal duzen?

- VON CHARLOTTE GEISSLER

Über die Anrede von Dozenten und Studenten gibt es keine Regeln. Zurückhalt­ung ist hilfreich.

BONN „Du Professor“, das hört man an deutschen Unis eher selten. Siezen ist die Normalität, Duzen eine Besonderhe­it. Im Ausland sieht das mitunter anders aus, Studenten, Dozenten, Professore­n werden teils allesamt beim Vornamen gerufen. Das schaffe eine bessere Atmosphäre,

„Das Rollenverh­ältnis lässt sich durch Duzen nicht ändern“

Jan Seifert

Mitarbeite­r an der Universitä­t Bonn

heißt es, und das helfe dann beim Lernen.

Jan Seifert, wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r der Abteilung für Germanisti­sche Linguistik an der Universitä­t Bonn, steht solchen Ideen eher skeptisch gegenüber. „Das Rollenverh­ältnis lässt sich durch Duzen nicht ändern“, sagt Seifert, der unter anderem zum Sprachgebr­auch zwischen Studierend­en und Lehrenden forscht.

Das Du sei auch ein Problem bei Prüfungen. „Es lässt den Eindruck entstehen, der Student hätte einen Vorteil und suggeriert Nähe zwischen Studenten und Professore­n, die es nicht gibt“, sagt Seifert. Eine persönlich­e Ebene lasse sich im universitä­ren Prüfungsbe­trieb nicht aufrechter­halten. Das Duzen könne dann die eigene Unbefangen­heit beeinfluss­en. „Kann man jemanden, den man duzt, durch eine Prüfung fallen lassen?“, fragt Seifert.

Wegen dieser Problemati­k komme Duzen an der Uni eher vor, wenn keine Prüfung damit verbunden ist, sagt Seifert. In Laboren mit Kleingrupp­en entstehe eher persönlich­e Nähe als in der klassische­n Lehrsituat­ion. „In Laboren gibt es oft ein engeres Miteinande­r und oft auch jüngere wissenscha­ftliche Mitarbeite­r wie Doktorande­n, die mit den Studenten gemeinsam an einem Projekt arbeiten“, sagt Seifert.

Duzende Dozenten seien häufig jünger, vermutet Seifert, vielleicht gebe es auch Alt-68er, die aus der Tradition heraus duzen. Belastbare Zahlen zum Duzen an der Hochschule gibt es aber keine. Die Anrede an der Universitä­t ist eher unerforsch­t, auch von den Hochschule­n selbst und von der Hochschulr­ektorenkon­ferenz gibt es keine Leitlinien, ob Dozenten besser duzen oder siezen. Der Campus-Knigge, ein Buch mit vielen Tipps für Studienanf­änger, thematisie­rt unter seinem Eintrag „Anrede“das Duzen und Siezen gar nicht erst. Das Siezen an der Uni wird darin nicht infrage gestellt.

Die Anrede sei für die Stimmung im Kurs aber eigentlich auch nicht entscheide­nd, meint Seifert. Viele Studenten empfänden das Duzen nicht einmal als angenehm. „Manche finden Duzen anbiedernd, aber anderen wiederum gefällt es“, sagt Seifert. Auch das Auftreten, der Altersunte­rschied und das Hierarchie­gefälle spielten für die Kommunikat­ion in Seminaren eine Rolle. Und manchmal könne der Dozent die Stimmung auch nur kaum beeinfluss­en, so der wissenscha­ftliche Mitarbeite­r. Er habe mitunter äußerst verschiede­ne Parallelku­rse.

Dass Dozenten duzen, wird sich in Deutschlan­d vermutlich nicht durchsetze­n. Anderersei­ts ist Duzen an der Uni insgesamt eine neue Entwicklun­g. Auch unter Studenten sei das lange Zeit Normalität gewesen, geduzt worden seien nur ehemalige Schulkamer­aden, sagt Seifert. „Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, aber das Duzen kam erst nach 1968. Erst Mitte der 70er war es normal, dass sich Studenten untereinan­der duzen.“

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FOTO: DPA Auch ohne Duzen können das Verhältnis zu den Lehrenden gut sein und die Vorlesung spannend.

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