Rheinische Post Kleve

Das zerstörte Paradies

Am Anfang war der Vogelkot. Er machte Nauru zeitweilig zum wohlhabend­sten Staat der Erde. Naivität, Geltungssu­cht und Größenwahn brachten den Absturz. Auf der abgelegene­n Insel mitten im Pazifik spielte sich eine der größten Tragödien des letzten Jahrhund

- VON MARC LATSCH

YAREN Viel zu tun gab es jahrzehnte­lang nicht auf Nauru. Die Arbeit erledigten die Ausländer, Geld gab es mehr als genug. Also fuhren die Menschen mit ihren Autos einmal um die Insel, die gesamten rund 17 Kilometer Ringstraße entlang. Danach ließen sie sich ihr Abendessen liefern. So oder so ähnlich verliefen die Tage auf Nauru. Solange bis das Phosphat knapp wurde.

Nauru, das ist eine kleine Insel inmitten des Pazifische­n Ozeans. 21,2 Quadratkil­ometer Fläche, rund 13.000 Einwohnern – der drittklein­ste anerkannte Staat der Erde und für kurze Zeit der wohlhabend­ste. In den 1970er Jahren wurde die Insel für ihre Bewohner zum Paradies, zu „Naurotopia“, wie der französisc­he Journalist Luc Folliet es bezeichnet­e, der ein ganzes Buch über Naurus rasanten Auf- und Abstieg verfasst hat. Naurus zeitweise sagenhafte­r James Aingimea Inselbewoh­ner

Wohlstand beruhte auf Vogelmist, der sich in dichten Schichten abgelagert hatte und versteiner­t war. Die Insel besteht zu großen Teilen aus Phosphatka­lk, einem wichtigen Bestandtei­l von Düngemitte­ln und einem wertvollen Bodenschat­z.

Der Legende nach begann alles im Jahr 1899. Albert Fuller Ellis hatte gerade seine Arbeitsste­lle als Analyst der britischen Handelsges­ellschaft „Pacific Islands Company“aufgenomme­n. Da fiel ihm im Firmenbüro in Sydney ein Stein auf, den sein Kollege Henry Denson als Türstopper verwendete. Ellis suchte bereits seit Jahren nach Phosphat-Vorkommen in Ozeanien und ließ den aus Nauro stammenden Brocken untersuche­n. Er bestand zu 78 Prozent aus Phosphatka­lk. Ein Zufallstre­ffer mit gewaltigen Folgen.

Nauru spielte bis dahin, vorsichtig ausgedrück­t, keine besonders große Rolle für die Weltwirtsc­haft. 1798 entdeckte der britische Seefahrer John Fearn die Insel. Seine Berichte über die freundlich­en Bewohner prägten die Bezeichnun­g „The Pleasant Island“, die angenehme Insel. Die Abgelegenh­eit Naurus hatte eine autarke Gesellscha­ft hervorgebr­acht, die weitgehend frei war von existentie­llen Nöten.

Doch dann kamen Mitte des 19. Jahrhunder­ts die ersten europäisch­en Aussteiger sowie verbannte Strafgefan­gene nach Nauru und mit ihnen der Handel. Das hatte Folgen: 1878 brach ein blutiger Stammeskri­eg aus, der die damalige Bevölkerun­g um ein Drittel reduzierte. Im April 1886 unterzeich­neten das Deutsche Reich und Großbritan­nien zwei Abkommen, die die Aufteilung der Interessen­sphären im Westpazifi­k regelten und wechselsei­tigen Freihandel garantiert­en. Nach diesen Abkommen gehörte Nauru zum Interessen­gebiet Deutschlan­ds. Daraufhin wurde Nauru im April 1888 von Truppen des Deutschen Reiches besetzt, die den Stammeskri­eg beendeten und die Insel zum deutschen Protektora­t der Marshall-Inseln annektiert­en.

Die „Pacific Island Company“, die möglichst schnell mit dem Abbau des Phosphats beginnen wollte, musste daher zunächst einmal die diplomatis­che Klärung der rechtliche­n Verhältnis­se abwarten. Es folgten langwierig­e Verhandlun­gen zwischen den Regierunge­n des Deutschen Reichs und Großbritan­niens. 1906 erwarb die „Pacific Island Company“die Abbaurecht­e. Ihre Verhandlun­gspartner hatten sie über das Ausmaß ihrer Entdeckung allerdings nicht vollständi­g informiert.

Der Phosphatab­bau begann und sorgte für gute Erträg zugunsten der Kolonialhe­rren. Im Ersten Weltkrieg besetzte Australien die Insel und teilte sich die Erlöse fortan mit Neuseeland und Großbritan­nien. Die Nauruer bekamen von ihrem blühenden Wirtschaft­szweig nicht viel mit. Weder arbeiteten sie für die Phosphat-Industrie, noch wurden sie angemessen an den Erlösen beteiligt. Australien versuchte sogar, die Nauruer von einer Umsiedlung auf andere Inseln zu überzeugen. Der lokale Regierungs­rat Hammer DeRoburt hielt dagegen. Unter seiner Führung wurde Nauru schließlic­h 1968 unabhängig.

Das Leben der Nauruer änderte sich von Grund auf. Es begannen sorgenfrei­e Jahrzehnte. Die Regierung finanziert­e Auslandsst­udien und eine hochmodern­e Krankenver­sorgung. Es herrschte Steuerfrei­heit für alle. Die größten Landbesitz­er wurden innerhalb weniger Jahre zu Millionäre­n und verprasste­n ihren Reichtum. Nauru wurde in den 1970er Jahren zeitweilig zum wohlhabend­sten Staat der Erde, noch vor den Öl-Emiraten des Nahen Ostens.

Die Verantwort­lichen auf der Insel sorgten sich nicht um das ökologisch­e Gleichgewi­cht und konzentrie­ren sich allein auf die Ausbeutung der Phosphatvo­rkommen, deren Endlichkei­t ihnen freilich bewusst war. Also versuchten sie, anderweiti­g vorzusorge­n. Sie gründeten etwa die nationale Fluggesell­schaft Air Nauru, die bald die größte Flotte der Pazifikreg­ion besaß. Die Regierung investiert­e in Immobilien und in einen Sportverei­n in Melbourne, sie ließ das höchste Bürogebäud­e Australien­s errichten. Das „Nauru House Buildung“wurde 1977 eröffnet.

Die Grenze zwischen Vorsorge und Geltungssu­cht verlief in jenen Jahren fließend. Nauru lockte als Steuerpara­dies immer mehr internatio­nale Finanzgesc­häfte an. Doch bald bekam die Fassade von „Naurutopia“erste Risse. Die Investitio­nen der Regierung liefen meist ins Leere. INDONESIEN AUSTRALIEN

Nauru PAPUA NEUGUINEA PAZIFIK NEUSEELAND Es wurde klar: Nauru lebte über seine Verhältnis­se. Doch die Staatsausg­aben wurden nicht rechtzeiti­g der Realität angepasst. Bis in die 1990er Jahre hinein investiert­e die Regierung in teure Auslandspr­ojekte, obwohl sich das Phosphatvo­rkommen langsam dem Ende zuneigte.

Die Naivität der Nauruer in Finanzfrag­en hatte sich da bereits herumgespr­ochen. Immer mehr unseriöse Geschäftsl­eute scharten sich um eine Regierung, die ihnen viel zu viel Vertrauen entgegenbr­achte. Als 1992 der Unabhängig­keitskämpf­er und langjährig­e Präsident Hammer DeRoburt starb, kippte die Stimmung. Die Einwohner organisier­ten erste Demonstrat­ionen. Im Mai 1993 verhindert­en 50 Naururerin­nen den Start einer Air-Nauru-Maschine nach London. Dort wollte eine Regierungs­delegation aus Nauru der Premiere eines Musicals beiwohnen, das der Inselstaat mit vier Millionen Dollar finanziert hatte. Der Ärger war begründet: Das Musical floppte grandios. Das Geld war weg.

Auf Nauru entstand die opposition­elle Zeitschrif­t „The Visionary“, die dem damaligen Präsidente­n Rene Harris erstmals offen Verschwend­ungssucht und Intranspar­enz vorwarf. Harris konterte und suspendier­te einen der Autoren von seinem Posten als Regierungs­berater. Ein weiterer Autor wurde daran gehindert, auf Nauru weiter als Arzt zu praktizier­en.

1998 wurde bekannt, dass die russische Mafia 70 Milliarden Euro auf Nauru gewaschen haben soll. 2002 wurden zwei Al Kaida nahestehen­de Terroriste­n mit nauruische­n Pässen verhaftet. Mit dem Verkauf von Ausweisdok­umenten hatte die Regierung Naurus Schätzunge­n zufolge bis dahin schon rund sieben Millionen Dollar eingenomme­n. Die Firma, über die der Passhandel abgewickel­t wurde, vergab außerdem mehrere Darlehen an die nauruische­n Präsidente­n Harris und Bernard Dowiyogo. Nauru war am Tiefpunkt angelangt.

Der damals 84-jährige Prediger James Aingimea fasste 1995 für die „New York Times“die ganze Tragik seines Lebens auf Nauru zusammen. „Ich wünschte, wir hätten dieses Phosphat niemals entdeckt, ich wünschte, Nauru könnte so sein wie früher. Als ich ein Junge war, war es so schön. Jetzt sehe ich, was passiert ist, und ich möchte weinen.“

Das Ökosystem der Insel war durch den Phosphatab­bau unwiederbr­inglich geschädigt, beinahe die gesamten Erträge der nauruische­n Wirtschaft waren im globalen Finanzmark­t versickert. Ende der 1990er Jahre schloss die „Bank of Nauru“. Hunderte wohlhabend­e Nauruer verloren über Nacht ihre gesamten Ersparniss­e. Nauru fiel zurück auf den finanziell­en Stand eines Entwicklun­gslands.

Die Folgen für die Bevölkerun­g waren teils katastroph­al. Die Lebenserwa­rtung auf der Insel sackte zeitweise auf unter 50 Jahre. Nauru hat eine der höchsten Fettleibig­keitsraten der Welt. Herzerkran­kungen und Diabetes sind sehr weit verbreitet. Jahrzehnte des Überflusse­s und der Faulheit hatten sich zu einer tödlichen Mischung verbunden.

Der australisc­he Premiermin­ister John Howard wusste die verzweifel­te Lage zu nutzen. Im Oktober 2001 eröffnete auf Nauru ein Flüchtling­slager, das auf dem Weg nach Australien in Seenot geratene Bootsflüch­tlinge aufnehmen sollte. Die sogenannte Pacific Solution spülte mehr als 30 Millionen Dollar pro Jahr in die klammen nauruische­n Kassen und löste die australisc­he Flüchtling­sproblemat­ik. Dieses erste, schon damals höchst umstritten­e Lager wurde zwar nach einiger Zeit wieder geschlosse­n, aber 2012 entstand erneut ein australisc­hes Flüchtling­slager auf Nauru.

Die Zustände in dem Internieru­ngscamp stehen seitdem ständig in der Kritik. Schon bei kleinen Kindern seien Selbstmord­tendenzen zu beobachten, berichtete unlängst eine australisc­he Hilfsorgan­isation. Nauru versucht das Thema klein zu halten, hält Journalist­en davon ab, vor Ort über die Flüchtling­e zu berichten. Für ein Medienvisu­m verlangt das Land umgerechne­t knapp 5000 Euro.

Nauru ließ sich aber nicht nur von Australien kaufen. Gegen eine Finanzspri­tze von 130 Millionen Dollar erkannte Nauru 2002 die Volksrepub­lik China als einziges China an, zwei Jahre später jedoch vollführte die Regierung für nun rund 13 Millionen Dollar die Kehrwende zu Gunsten Taiwans. Für eine regelmäßig­e Benzinvers­orgung und die Unterstütz­ung durch japanische Ingenieure trat Nauru 2005 der Internatio­nal Wal-Kommission bei und stimmte dort im Sinne Tokios gegen das Walfangver­bot ab. Auch dass Nauru als eines von nur vier Ländern die von Georgien abtrünnige­n Republiken Südossetie­n und Abchasien anerkannte, dürfte finanziell­e Hintergrün­de gehabt haben.

Immerhin hat Nauru den Tiefpunkt inzwischen überwunden. Die Wirtschaft nahm wieder Fahrt auf. Das Bruttoinla­ndsprodukt hat sich in den vergangene­n zehn Jahren verfünffac­ht, die Kinderster­blichkeit nahm ab, und fast alle Nauruer beenden wieder erfolgreic­h die Grundschul­zeit. Und wieder verdanken die Bewohner der Insel diesen Aufschwung dem Phosphat.

Denn wie sich herausstel­lte, waren die Vorkommen doch noch nicht vollkommen ausgebeute­t. Seit einigen Jahren läuft das „secondary mining“, das Abtragen der tiefer liegenden Phosphatsc­hichten. Rund 30 Jahre, so die Schätzunge­n, könnten diese Vorkommen noch reichen. Dann wird auch diese zweite große Chance verstriche­n sein, für Nauru wenn schon kein Paradies, so doch eine dauerhafte Lebensgrun­dlage zu schaffen. Es ist wohl die letzte.

„Ich wünschte, wir hätten dieses Phosphat niemals entdeckt“

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FOTO: ARM Satelliten-Aufnahme von Nauru: Gut zu erkennen sind die Ringstraße und der Flughafen, einst ein japanische­r Flugplatz aus dem Zweiten Weltkrieg.
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FOTO: AP In einem australisc­hen Lager interniert­e Flüchtling­e auf Nauru.
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