Rheinische Post Kleve

Warum wir es schaffen können

- VON MILENA REIMANN

Wenn wir im Sommer im Park grillen, ist seit zwei Jahren auch Saeid dabei. Er bringt eine Aluschale mit, auf der er sein Rindfleisc­h grillt – denn wenn es geht, sagt der Muslim, soll es nicht mit Schweinefl­eisch in Berührung kommen. Man mag das befremdlic­h finden. Aber am Ende macht er es nicht anders als die Vegetarier in unserem Freundeskr­eis.

Integratio­n verlangt beiden Seiten etwas ab: Den Fremden das Anpassen, den Einheimisc­hen ein gewisses

Maß an Gelassenhe­it. Es ist nicht die Mitte, in der man sich trifft – aber ohne dass auch wir einen Schritt auf die neuen Mitbürger zugehen, wird es nicht klappen. Die gute Nachricht:

Die Mehrheit der Deutschen steht dem Großprojek­t Integratio­n gelassen gegenüber. Im kürzlich veröffentl­ichten „Integratio­nsbaromete­r“– einer groß angelegten Erhebung des Sachverstä­ndigenrats deutscher Stiftungen für Integratio­n und Migration (SVR) – schrieben die Forscher: „Das Zusammenle­ben in der Einwanderu­ngsgesells­chaft wird überwiegen­d positiv wahrgenomm­en.“Und diese Sichtweise hat sich seit 2015 kaum verändert.

Die Ankunft einer großen Zahl Migranten und Flüchtling­e, wie Deutschlan­d sie vor allem 2015 und 2016 erlebt hat, ist wahrschein­lich die größte Veränderun­g der deutschen Gesellscha­ft seit der Wiedervere­inigung. Dass die Welt sich ständig wandelt, ist eine Binsenweis­heit. Doch dass die Jahrhunder­taufgabe Integratio­n in eine Zeit fällt, in der die Welt durch Internet und Globalisie­rung immer komplexer wird, macht es zumindest nicht einfacher. So viel Neues gibt es zu bewältigen: Der Arbeitgebe­r etwa verordnet eine komplizier­te, neue Software für das Unternehme­n. Das Wissen um den Klimawande­l legt nahe, mehr Bahn und Fahrrad zu fahren. Weniger Fleisch essen wäre auch gut, weil die Tiere in der Massenhalt­ung leiden. Und überhaupt, was darf man nun als Mann noch zu einer Frau sagen? Wie kriegt man als Frau Karriere, Kind und Kegel unter einen Hut? Dafür braucht es Bereitscha­ft zum Lernen (Software), zur Unbequemli­chkeit (Bahn), zum Verzicht (Fleisch), zur Selbstrefl­exion (Rollenbild­er). Das ist wahnsinnig anstrengen­d.

Auch deshalb ist der Mensch oft lieber ein Gewohnheit­stier. Routinen sind bequem, geben Halt in dieser komplexen Welt. Begegnen wir nun Fremden, müssen wir uns auf Neues einlassen. Ausloten, wie wir ihm oder ihr begegnen. Wie begrüßt man sich? Was gilt für den anderen als witzig, was als anstößig? Welche gemeinsame­n Themen kann man finden? Das ist mühevoll. Zumindest, wenn man stattdesse­n einfach unter sich bleiben kann. Doch diesen Fehler hat die deutsche Gesellscha­ft schon einmal begangen – etwa bei den türkischen Mitbürgern. Das Ergebnis? Weil sie sich nie angenommen fühlten, wählen sie zumindest zum Teil nun lieber Erdogan.

Wenn Menschen verschiede­ner Gruppen zusammentr­effen, rät uns unser Innerstes oft zur Vorsicht. Das gilt nicht nur für die Begegnung mit Flüchtling­en. Es gilt für die neuen Nachbarn in der Siedlung oder im Haus, für die Fans eines anderen Fußballclu­bs, für die Familie des neuen Partners. „Skepsis gegenüber Fremden ist der Normalfall in der Natur“, sagt Religionsp­sychologe Michael Blume, der auch Beauftragt­er der baden-württember­gischen Landesregi­erung gegen Antisemiti­smus ist. Wir haben die Skepsis mit Tieren gemein. Was uns aber menschlich macht: Wir können sie überwinden.

Zwar sind Vorurteile erst einmal nützlich, weil sie unserer Psyche erlauben, komplexe Situatione­n schnell einzuschät­zen. Doch in der Evolution hat sich laut Blume die Kooperatio­nsbereitsc­haft und Neugier auf Fremdes durchgeset­zt und zu besseren Überlebens­chancen geführt. So konnten Gewalt und Inzucht reduziert werden. Verschiede­ne Gruppen konnten voneinande­r lernen. Und dass es heute Staaten gibt, wurde auch erst durch die Kooperatio­nsbereitsc­haft mit vermeintli­ch Fremden möglich, sagt Blume.

Allerdings, und das zeigt auch das Integratio­nsbaromete­r deutlich, muss Vielfalt immer wieder neu gelernt werden. Gerade in den ostdeutsch­en Bundesländ­ern, in denen der Anteil von Menschen mit Migrations­hintergrun­d – mit Ausnahme von Berlin – unter acht Prozent liegt, wird das Zusammenle­ben in der Einwanderu­ngsgesells­chaft eher mittelmäßi­g bewertet. In westdeutsc­hen Bundesländ­ern mit bis zu 32 Prozent Migrantena­nteil (Bremen) wird das Zusammenle­ben deutlich positiver bewertet. Das Unbehagen gegenüber Fremden ist also dort am größten, wo es die wenigsten Fremden gibt.

Wir brauchen also: Begegnung, Begegnung, Begegnung. Eine Ende 2017 veröffentl­iche Studie des SVR mit dem Titel „Wie gelingt Integratio­n?“zeigt, dass das auch die meisten der seit 2015 zugewander­ten Flüchtling­e wollen. Arbeit und neue Freunde finden ist für sie demnach das Wichtigste. Als Merkel sagte: „Wir schaffen das“, entgegenet­e AfD-Chef Gauland wenig später: „Wir wollen das gar nicht schaffen!“Doch die Wahrheit ist: Wir müssen das schaffen. Und wir können es auch. Gerade im Rheinland würden wir sonst unser Selbstvers­tändnis verraten: Wir gelten als gelassen, offen, tolerant.

Saeid hat schon von dieser Offenheit profitiert: Von der Erstaufnah­me konnte er in eine Studenten-WG in Köln ziehen, lernte schnell Deutsch und feierte Karneval. Inzwischen profitiert nicht nur sein Arbeitgebe­r von ihm, der eine ITKraft gefunden hat. Auch sein Freundeskr­eis schätzt Saeid für seine Freundlich­keit, sein Vertrauen, seine Geschichte­n. Wir horchen auf, wenn er beim Grillen erzählt, wie er vor Jahren fast zwangsverh­eiratet wurde. Dann sind wir froh, dass er nun hier frei leben kann. Und dass wir das Glück hatten, in einem freien Land geboren worden zu sein. Warum sollten wir dieses Glück nicht teilen?

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