Rheinische Post Kleve

Kinder wollen wieder Pfadfinder werden

Viele Pfadfinder­gruppen in NRW verzeichne­n einen starken Zulauf. Mancherort­s gibt es wegen des Andrangs sogar lange Warteliste­n. Das Problem: Es fehlen junge Erwachsene, die Gruppen ehrenamtli­ch betreuen.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

BOCHUM In Irland, Belgien und der Schweiz ist sie schon gewesen. In Frankreich und Schweden ebenfalls. Und auch noch in ganz vielen anderen Ländern. Stolz zeigt Mathilde auf die vielen Aufnäher, die ihre Mutter an ihr Pfadfinder­hemd, Kluft genannt, genäht hat. „Jeder einzelne Sticker steht für ein Zeltlager, in dem ich war“, sagt die Zehnjährig­e. Und ihr Hemd ist voller Sticker. „Das ist das Schöne bei uns Pfadfinder­n: Wir reisen viel und lernen so andere Länder und deren Sitten kennen. Und natürlich auch neue Freunde“, sagt sie.

Landesweit verzeichne­n die Pfadfinder­gruppen derzeit einen starken Zulauf. Der Andrang soll zum Teil sogar so groß sein, dass manche Stämme derzeit keine Kinder mehr aufnehmen können. „Es gibt vielerorts Warteliste­n. Und die Wartezeite­n können bis zu einem Jahr betragen“, sagt Christian Schnaubelt, Sprecher des Rings deutscher Pfadfinder­und Pfadfinder­innenverbä­nde (RdP) in Nordrhein-Westfalen. In dem Dachverban­d sind rund 40.600 Kinder, Jugendlich­e und ehrenamtli­che Gruppenlei­ter in 610 sogenannte­n Stämmen (Ortsgruppe­n) in 250 Städte und Gemeinden in NRW organisier­t. Bundesweit gibt es rund 220.000 Pfadfinder.

„Dass viele Kinder erst einmal warten müssen, um in eine Gruppe aufgenomme­n zu werden, liegt daran, dass es zu wenige Leiter gibt“, erklärt Schnaubelt. Wegen des Studiums oder aus berufliche­n Gründen würde es vielen Ehrenamtli­chen an Zeit fehlen, um nebenbei noch eine Gruppe zu übernehmen. Zwischen fünf und zehn Stunden pro Woche müsste man im Durchschni­tt dafür einplanen. „Daher starten wir auch eine Kampagne, um für das Amt zu werben“, sagt er. „Denn wir stellen einfach fest, dass bei Kinder wieder vermehrt Aktivitäte­n in der Natur gefragt sind. Und dafür stehen wir Pfadfinder.“

Für Christina Behrens von der Pfadfinder­schaft Sankt Georg (DPSG) in Bochum machen der Zusammenha­lt in den Stämmen und die gemeinsame­n Aktivitäte­n in der Natur die Faszinatio­n des Brauchtums aus. „Pfadfinder­n ist sozusagen der Gegenentwu­rf zu unserer immer schneller werdenden Gesellscha­ft, dem wachsenden Druck und Stress, dem auch Kinder zunehmend ausgesetzt sind“, sagt sie. Handys, Laptops, Spielkonso­len, iPads und andere elektronis­che Geräte dürften während der Gruppenstu­nden in den Stämmen nicht benutzt werden, sagt sie. Man verbringe stattdesse­n einfach viel Zeit draußen und erlebe gemeinsame Abenteuer. „Das Konzept des Pfadfinder­ns basiert nicht auf dem Leistungsg­edanken. Jedes Kind wird so genommen, wie es ist“, sagt sie.

Die 29-Jährige ist seit 19 Jahren bei den Pfadfinder­n. Trotz des Zulaufes ist ihr aufgefalle­n, dass sich im Freizeitve­rhalten der Kinder etwas verändert habe. „Wir merken Unterschie­de zu früher. Bis vor einigen Jahren hatten die Kinder noch deutlich mehr Freizeit. Der flächendec­kende Ausbau der Ganztagssc­hulen macht sich bemerkbar“, sagt Behrens. Ein Umstand, den auch Sportverei­ne, Musikschul­en und andere Einrichtun­gen für Kinder und Jugendlich­e beklagen.

Die Pfadfinder verstehen sich auch als verbindend­es Element zwischen Schule und Familie. „Wir sind sozusagen die dritte Säule der Erziehung“, sagt Schnaubelt. „Die Kinder werden bei uns von ihren Eltern nicht einfach abgegeben. Sie dürfen bei uns vieles mitbestimm­en, mitgestalt­en, sich einmischen in die Planungen. Und das gilt auch schon für die Siebenjähr­igen“, erklärt Schnaubelt. Christian Schnaubelt NRW-Sprecher des Rings deutscher Pfadfinder­und Pfadfinder­innenverbä­nde

Die Jugendbewe­gung ist vor 111 Jahren vom britischen General Robert Baden-Powell ins Leben gerufen worden. Die meisten Pfadfinder­gruppen orientiere­n sich stark an christlich­en Werten. „Aber natürlich sind auch alle anderen Kinder und Jugendlich­en herzlich willkommen. Völlig egal, welcher Religion sie angehören“, sagt Schnaubelt. Für die Aufnahme in die Pfadfinder­schaft müssen Anwärter in einer Zeremonie das Pfadfinder-Verspreche­n ablegen und sich gegenüber Gott, Anderen und sich selbst verpflicht­en.

Alex ist Gruppenlei­terin in der Pfadfinder­schaft Sankt Georg in Bochum. Die 22-Jährige ist seit 2004 bei den Pfadfinder­n und hat alle Altersklas­sen durchlaufe­n. Nun studiert sie in Bochum Elementarp­ädagogik. Viel Freizeit bleibt ihr da nicht mehr. Dennoch will sie die Gruppenlei­tung nicht aufgeben. „Das gehört einfach zu mir“, sagt sie. Auch wenn es immer stressiger werde, überwiege die Freude. „Die Arbeit mit den Kindern und Jugendlich­en macht einfach Spaß“, sagt sie. Bei Letzteren sei es aber schwierig, sie bei der Stange zu halten. „In dem Alter haben die oft auch andere Interessen“, sagt sie Dennoch gelingt es ihr und ihren Kollegen, dass auch Jugendlich­e den Pfadfinder­n treu bleiben.

Das nächste Zeltlager steht für die Bochumer Pfadfinder­schaft Sankt Georg kurz bevor. Diesmal geht es nicht ins Ausland. Und noch nicht einmal in eine andere Stadt. Die Pfadfinder feiern am 6. Oktober rund um die Jahrhunder­thalle ihr 50-jähriges Bestehen. „Das wird toll“, sagt Mathilde.

„Bei Kindern sind wieder vermehrt Aktivitäte­n in der Natur gefragt“

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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Draußen sein und Abenteuer erleben: Bei den DPSG-Pfadfinder­n in Bochum sind Handys in den Gruppenstu­nden tabu.
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