Rheinische Post Kleve

„Die Gesellscha­ft spaltet sich immer weiter“

Die AfD-Fraktionsc­hefin warnt vor einer „hysterisch­en Eskalation­skultur“und sagt, warum sie nicht in Chemnitz war.

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BERLIN Die AfD ist auf dem Vormarsch. Am Wochenende hat sie die SPD in der nächsten Umfrage überholt. Auf 17 Prozent taxiert Emnid die Rechtspopu­listen nun. Alice Weidel dürfte das gefallen.

Frau Weidel, hoffen Sie, dass sich von Sachsen aus eine Dynamik Bahn bricht hin zu Koalitione­n zwischen CDU und AfD?

WEIDEL Ich sehe in der CDU eine interessan­te Dynamik. So wie sich im Bund Ralph Brinkhaus gegen den Willen der Kanzlerin durchsetze­n konnte, hat es in Sachsen Christian Hartmann gegen den Wunschkand­idaten des Ministerpr­äsidenten geschafft. Das macht den CDU-Bundespart­eitag im Dezember nach den Landtagswa­hlen in Bayern und Hessen nur noch spannender.

Haben Sie Angst vor CDU-Personalwe­chseln? „Merkel muss weg“ist doch das einigende Band zwischen den AfD-Flügeln. Wie stehen Sie da, wenn das wegfällt?

WEIDEL Angela Merkel muss endlich erkennen, dass für sie die Zeit gekommen ist. Deutschlan­d ist unter Merkel bei sämtlichen Wohlstands­daten im internatio­nalen Vergleich zurückgefa­llen. Sie hat die völlig überstürzt­e Energiewen­de zu verantwort­en. Unter ihr kam es zu Dieselfahr­verboten und zur Beschädigu­ng der deutschen Autoindust­rie. Wenn sie ginge, wäre das gut für unser Land.

Hat CSU-Chef Seehofer mit seinem Streit um Zurückweis­ungen an der Grenze Ihnen Wähler gebracht oder nimmt er Ihnen ein Thema weg? WEIDEL Was Seehofer da macht, steht alles auf wackligen Füßen. Wenn er als Ergebnis seiner Arbeit nur sagen kann, dass nach drei Jahren des Rechtsbruc­hs die Gesetze angeblich wieder eingehalte­n würden, dann grenzt das doch an Volksverdu­mmung. Er hat mit einer Klage gegen die Herrschaft des Unrechts beim Verfassung­sgericht nur gedroht. Wir haben sie eingereich­t.

Offenbar bestellen und verteilen AfD-Wahlkämpfe­r in Bayern Werbezeitu­ngen, die aus unklaren Quellen finanziert werden. Wie gehen Sie damit um?

WEIDEL Ich weiß nicht, was dort auf Kreisebene passiert ist. Das gilt es zu klären. Der Bundesvors­tand hat sich hier klar positionie­rt. Wahlkampfu­nterstützu­ng muss transparen­t sein. Die Vorgaben der Parteienfi­nanzierung halten wir akribisch ein.

In Chemnitz traten AfD-Politiker mit Pegida- und NPD-Vertretern auf. Müssen wir uns daran gewöhnen?

WEIDEL Nein. Wir empfehlen allen Mitglieder­n, nur noch an Demonstrat­ionen teilzunehm­en, die auch von der AfD angemeldet sind. Es bleibt aber immer das Problem, dass niemand kontrollie­ren kann, wer mitläuft. Deshalb mache ich bei solchen Demonstrat­ionen nicht mit. Jeder sollte für sich vereinbare­n, wie derartige Vorfälle das Außenbild der Gesamtpart­ei beeinfluss­en.

Relativier­t man nicht die Distanzier­ung vom Hitlergruß, wenn man den Nationalso­zialismus als „Vogelschis­s“bezeichnet?

WEIDEL Die Debatte über diese Äußerung von Alexander Gauland hat das Zitat völlig aus dem Zusammenha­ng gerissen. Diese Verbindung gibt es nicht.

Sie selbst sorgen auch für Aufregung im Bundestag. Überlegen Sie sich, welche Provokatio­nen Sie in ihre Rede einbauen, um mehr Aufmerksam­keit zu bekommen? WEIDEL Natürlich brauchen wir Polarisier­ungen, um eine Debatte anzustoßen. Mit der Formulieru­ng „Kopftuchmä­dchen“, die von Thilo Sarrazin stammt, habe ich auf die Stellung der Frau in islamisch geprägten Gesellscha­ften und das daraus folgende Ausbildung­sniveau aufmerksam gemacht.

Und sich damit noch mehr Aufmerksam­keit durch den Ordnungsru­f des Bundestags­präsidente­n gesichert. Freuen Sie sich, wenn die anderen sich empören?

WEIDEL Nein, und der Ordnungsru­f war auch absolut unangemess­en. Es gibt viel schlimmere Vorgänge im Bundestag, bei denen keine Ordnungsru­fe erfolgen. Zum Beispiel, wenn mein Co-Vorsitzend­er auf den Misthaufen gewünscht wird. Da wird mit zweierlei Maß gemessen.

Was ist falsch an politische­r Korrekthei­t? Sie wollen sie auf den Müllhaufen der Geschichte werfen. WEIDEL Die Sprachglät­tung der Political Correctnes­s führt dazu, dass wichtige Dinge nicht mehr ausdiskuti­ert werden. Wir sollten den Sprachkorr­idor für den öffentlich­en Diskurs weiter öffnen, statt bestimmte Arten von Politik für alternativ­los zu erklären.

Ist es ein Erfolg der AfD, dass andere Parteien mehr polarisier­en? WEIDEL Ich sehe mit großer Sorge, dass sich die Gesellscha­ft immer weiter spaltet. Wenn das so weitergeht, haben wir irgendwann nur noch „Hippies“und „Nazis“. Mit dieser hysterisch­en Eskalation­skultur kommen wir aber nicht weiter.

Also sollten alle weniger polarisier­en? Oder verliert die AfD dann ihr Erkennungs­zeichen?

WEIDEL Im Parlament geht es darum, Kompromiss­e zu schließen. Dem dient es nicht, wenn man andauernd nur mit der verbalen Keule aufeinande­r losgeht. Rückkehr zur Sachpoliti­k, da sind wir gerne dabei.

Macht Ihnen die linke Sammlungsb­ewegung von Sahra Wagenknech­t Konkurrenz?

WEIDEL Das ist sicherlich eine interessan­te Option und dient wohl der Vorbereitu­ng der drei ostdeutsch­en Landtagswa­hlen. Wir sind die rechtslibe­rale, freiheitli­che Sammlungsb­ewegung und unterschei­den uns kolossal von den Wagenknech­t-Plänen. Wir wollen zum Beispiel weniger und nicht mehr Steuern, höhere Grundfreib­eträge statt reglementi­erter Umverteilu­ng, Recht und Ordnung statt Anarchie.

 ?? FOTO: IMAGO ?? AfD-Politikeri­n Alice Weidel (39) hat auch einen Wohnsitz in der Schweiz, wo sie mit ihrer Partnerin lebt. Seit 2017 ist Weidel Fraktionsc­hefin.
FOTO: IMAGO AfD-Politikeri­n Alice Weidel (39) hat auch einen Wohnsitz in der Schweiz, wo sie mit ihrer Partnerin lebt. Seit 2017 ist Weidel Fraktionsc­hefin.

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