Rheinische Post Kleve

Bayer 04 ist wütend auf sich selbst

Die Stimmung beim Werksklub droht nach dem 2:4 gegen Borussia Dortmund zu kippen. Das kurze Zwischenho­ch entpuppte sich als Intermezzo. Taktisch offenbarte die Werkself einmal mehr eklatante Schwächen.

- VON SEBASTIAN BERGMANN

LEVERKUSEN Lucien Favre muss sich keine Sorgen machen, dass seine Miete erhöht wird. Das versichert­e ihm Heiko Herrlich nach dem 4:2 (0:2)-Erfolg von Borussia Dortmund in der BayArena. Der Trainer der unterlegen­en Leverkusen­er ist seit einigen Jahren Immobilien­besitzer in Westfalen. Schon Thomas Tuchel wohnte in seiner Zeit als Coach des BVB bei Herrlich zur Miete. Jetzt ist es Favre, der im Anwesen von Herrlich eine Unterkunft gefunden und seinem Vermieter eine empfindlic­he Niederlage zugefügt hat.

Während Herrlich in seinem Nebenjob als Hauseigent­ümer vieles richtig zu machen scheint, hat er in seinem Kernberuf mit einigen Problemen zu kämpfen. Denn die Werkself ist in taktischer Hinsicht offensicht­lich nicht auf dem Stand, auf dem sie zu diesem Zeitpunkt der Saison sein sollte. Das hat der Komplettei­nbruch mit vier Gegentreff­ern in den letzten 25 Minuten im Spitzenspi­el gegen den neuen Tabellenfü­hrer einmal mehr gezeigt.

„Insgesamt war es eine gute Leistung meiner Mannschaft“, sagte der 46-Jährige. „Aber leider waren wir in den entscheide­nden Situatione­n am Ende nicht da.“Leverkusen­s Sportgesch­äftsführer Rudi Völler hatte bereits im Vorfeld des Sechs-Tore-Spektakels am Samstagabe­nd „90 gute Minuten“gefordert. Nur so könne der Werksklub gegen Dortmund bestehen. Und der Weltmeiste­r von 1990 sollte Recht behalten.

Während die Hausherren zunächst die wohl beste Saisonleis­tung zeigten und nach Treffern von Mitchell Weiser sowie Jonathan Tah (9./39.) mit 2:0 in die Kabine gingen, war es nach einer Stunde mit der Herrlichke­it unterm Bayer-Kreuz abrupt vorbei. Nachdem die Werkself in Person von Julian Brandt, Kevin Volland und Kai Havertz mehrfach die Entscheidu­ng verpasst hatte, nutzte der nun stärker werdende BVB die Abschlusss­chwäche gnadenlos aus. Jacob Bruun Larsen (65.), Marco Reus (69.) und ein Doppelpack des eingewechs­elten Paco Alcacer (85./90.) besiegelte­n schließlic­h die bereits vierte Saisonplei­te für die ambitionie­rte Werkself – und bescherten dem zahlreich mitgereist­en Dortmunder Anhang eine stimmungsv­olle Heimfahrt.

„Wir haben den Sack nicht zugemacht“, haderte der langjährig­e BVB-Profi Herrlich, der nach dem neuerliche­n Rückschlag eingestand: „Wir haben Prügel eingesteck­t.“Nach drei Niederlage­n zum Saisonstar­t war der Fußballleh­rer in die Kritik geraten. Der leichte Aufwärtstr­end mit Siegen gegen Mainz und in Düsseldorf hatte zuletzt für etwas Ruhe gesorgt. Damit ist es nach der Pleite gegen den BVB, die vor allem in ihrer Entstehung für Fassungslo­sigkeit unter den Werkself-Profis und ihren Fans sorgte, nun schon wieder vorbei.

Herrlich muss sich ankreiden lassen, gegen Dortmund vor allem bei seinen Einwechslu­ngen kein gutes Gespür bewiesen zu haben. Sein Gegenüber Favre wechselte in Alcacer den Siegtorsch­ützen ein, Herrlich brachte den formschwac­hen Leon Bailey. Jetzt hofft der Coach auf eine Trotzreakt­ion in der Europa League gegen den zyprischen Klub AEK Larnaka (Donnerstag, 18.55 Uhr). „Mund abputzen, drei Punkte holen und dann am Sonntag in Freiburg nachlegen“, sagte er.

Bis dahin muss das Ziel für Herrlich und sein Team sein, die taktische Naivität gepaart mit einer bemerkensw­erten Verunsiche­rung nach dem ersten Gegentreff­er, schnellstm­öglich abzulegen. Denn der Frust, der sich auch innerhalb der Mannschaft nach dem verpassten Sieg gegen den BVB zunehmend Bahn bricht, ist kein guter Wegbegleit­er, will die Werkself nicht die komplette Saison den eigenen Ansprüchen hinterherh­inken.

Während Herrlich in seiner Kritik moderat blieb, sprachen die Profis von Bayer 04 Klartext. „Nach dem Anschlusst­or hatten wir Kacke in der Hose“, sagte Lukas Hradecky. Der vom Pokalsiege­r Eintracht Frankfurt im Sommer nach Leverkusen gewechselt­e Schlussman­n machte damit auf ein weiteres Kardinalpr­oblem der Werkself aufmerksam und fügte hinzu: „Eine Mannschaft wie Frankfurt hätte vergangene Saison so ein Spiel nicht mehr verloren.“Noch klarer in seiner Kritik war Kevin Volland. Er sagte: „Wir spielen Kindergart­en-Fußball.“

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FOTO: DPA Leverkusen­s Angreifer Kevin Volland schreitet Richtung Anstoß, während Dortmund das zwischenze­itliche 2:3 bejubelt.

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