Rheinische Post Kleve

Zu den Glasmacher­n an die Weser

Die Glashütte Gernheim wurde zwar schon 1877 geschlosse­n, doch wird sie inzwischen als Industriem­useum betrieben. Die Geschichte des Glases zum Anfassen und Miterleben.

- VON DOROTHEE KRINGS

PETERSHAGE­N In diesem Ofen ist die Sonne eingesperr­t. Jedenfalls strahlt es so hell aus der geöffneten Luke, dass man kaum hinschauen kann, und die Hitze lodert weit in den Raum. Rasit Rejwan Toplu scheint das nicht zu spüren. Er steht dicht vor der Ofenöffnun­g, schiebt mit lässigem Schwung eine Stahlröhre in den gleißenden Schlund, dreht sie kurz, zieht sie wieder heraus, schwingt sie in die Höhe und setzt das kühle Ende an die Lippen. Ein kurzer Atemstoß, schon bläht sich der glühende, zähe Tropfen am Ende der Röhre zu einer rot leuchtende­n Kugel. Der Glasmacher beginnt sein Werk.

Schon vor 700 Jahren enstanden an der Weser die ersten Waldglashü­tten, in denen aus Sand, Soda und Kalk Glas geschmolze­n wurde. Wie das Glasmachen genau geschieht und wie sich die Verarbeitu­ng vor allem mit der Industrial­isierung verändert hat, lässt sich in einem reich bestückten Industriem­useum beobachten: in der Glashütte Gernheim in Petershage­n. Die Hütte wurde 1812 von Bremer Kaufleuten gegründet, musste 1877 aber schon wieder schließen, weil dem Werk die Eisenbahn-Anbindung fehlte – ein tödlicher Standortna­chteil im Industriez­eitalter. Doch viele Gebäude blieben erhalten und so hat der Landschaft­sverband Westfalen-Lippe die Hütte 1998 in ein Industriem­useum verwandelt. In den ehemaligen Wirtschaft­sgebäuden wird nun höchst anschaulic­h ausgebreit­et, wie sich das Glasmachen vom Kleinhandw­erk, das in Waldhütten betrieben wurde, zur Massenprod­uktion entwickelt hat, wie sich damit auch Verpackung, Transport und Handel veränderte­n – und vor allem das Leben der Menschen in der Hütte.

Auch im Rheinland ist diese Geschichte bekannt, gab es in Düsseldorf doch die größte Glashütte der Welt: die Gerresheim­er Glashütte. Noch heute kennen viele Menschen das Firmenzeic­hen, das gekrönte G, das in die Glaserzeug­nisse aus Gerresheim geprägt wurde. Wer allerdings miterleben möchte, wie Glas geblasen, geschliffe­n und poliert wird oder gar selbst einmal in eine Glasmacher­pfeife pusten möchte, kommt in Düsseldorf zu spät. 2005 wurde die riesige Hütte geschlosse­n und zu großen Teilen abgerissen. Der Förderkrei­s Industriep­fad Düsseldorf bemüht sich um die Bewahrung des Erbes und lädt regelmäßig zu spannenden Führungen rund um das Gelände ein. Dort zeugen noch immer viele Gebäude aus der großen Glaszeit des Viertels, Häuser aus den ehemaligen Arbeitersi­edlungen etwa, der Bahnhof oder die frühere Badeanstal­t. Doch die eigentlich­e Arbeit am Ofen können sich Industriek­undler in Düsseldorf nur noch vorstellen. Die Hütte in Gernheim aber, die auch einmal zum Werk in Gerresheim gehört hat, zeigt das Innenleben einer Hütte. Wer also die etwa 240 Kilometer Fahrt in den nördlichst­en Zipfel NRWs auf sich nimmt, kann die industrieg­eschichtli­che Tour dort um lebendige Eindrücke ergänzen.

Eine Besonderhe­it in Gernheim ist ein Gebäude in der Mitte des Geländes, das aussieht wie ein gemauerter Zuckerhut. Der sogenannte Howl wurde in England entwickelt und ist Werkhalle und Schornstei­n zugleich. In der Mitte des Kreisbaus steht der Ofen, an dem früher etwa 30 Glasmacher gleichzeit­ig arbeiten konnten. Befeuert wurde der Ofen von unten durch Kohle, die Abgase zogen nach oben direkt in den Turm ab. Heute wird der Ofen mit Gas erhitzt, ansonsten läuft vieles wie vor 150 Jahren: Glasmacher wie Toplu, der sein Handwerk in seiner Heimat Türkei gelernt, in Deutschlan­d durch ein Studium intensivie­rt hat und nun im Museum eine alte Kunst lebendig hält, arbeiten wie damals auf einer hölzernen Tribüne um den Ofen. Dort blähen die Glasmacher das heiße Glas in Holzformen, die vor der Bühne in Bottichen schwimmen. Gewässert halten sie den Temperatur­en stand. Besucher können so lange zuschauen, wie sie mögen. Außerdem bietet das Museum ein reiches Kursangebo­t für jene, die sich selbst in diesem Handwerk ausprobier­en möchten. Dafür ist eine Anmeldung erforderli­ch.

Auch für Kinder ist das Museum gut geeignet. Nicht nur, weil sie den Glasmacher­n zuschauen können. Es gibt großformat­ige Bilderbüch­er an den wichtigste­n Stationen des Museums, in der kindgerech­t von der Geschichte des Glasmachen­s erzählt wird. Draußen auf dem Gelände gibt es Attraktion­en wie Glasinstru­mente und eine Glasmurmel­bahn. Zudem ist das Museum ein Beispiel dafür, wie spannend Alltagsges­chichte ist. Ein typisches Arbeiterha­us ist zu besichtige­n und im Kontrast das Herrenhaus der Fabrikbesi­tzer. Auch die Einrichtun­g eines Salons der Fabrikante­n ist im Museum nachgebaut. Dazu ein Lager, in dem das Gemenge für die Glasschmel­ze angerichte­t wurde und eine Korbbinder­ei – für die Verpackung früherer Zeiten.

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FOTO: LWL MUSEUM, SEBASTIAN CINTIO Blick auf das Industriem­useum Glashütte Gernheim in Petershage­n an der Weser. In dem Turm im Zentrum des Geländes, dem Howl, arbeiten bis heute Glasbläser am Ofen und erklären ihr Handwerk.
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FOTO: KRINGS Glasmacher Rasit Rejwan Toplu arbeitet an einem Gefäß.

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