Rheinische Post Kleve

Aus dem Leben des Malers Gerhard Richter

Mit der Künstlerbi­ografie „Werk ohne Autor“versucht Florian Henckel von Donnersmar­ck, ein neues Meisterwer­k vorzulegen – und scheitert genau daran.

- VON MARTIN SCHWICKERT

DÜSSELDORF „Sieh nicht weg!“hatte die Tante den kleinen Neffen stets aufgeforde­rt. Nun wird sie gewaltsam in den Krankenwag­en gezerrt und schon bald zum Opfer des NS-Euthanasie­programms werden. Der Junge sieht hin, hält jedoch die leicht gespreizte Hand eine halbe Armlänge vor die Augen. Die grausame Realität dahinter bleibt sichtbar, aber ihre Konturen verschwimm­en. Durch die Verfremdun­g wird der Anblick für das Kind erträglich – und brennt sich dennoch tief in seine

Der Regisseur fügt der Biografie Gerhard Richters dramatisch­e Zuspitzung­en hinzu

Erinnerung ein.

Florian Henckel von Donnersmar­ck hat diese Szene in seinem neuen Film „Werk ohne Autor“als Schlüsselm­oment ausgewiese­n. Sie belegt einerseits die traumatisc­he Erfahrung, die den Jungen und späteren Maler Kurt Barnert ein Leben lang verfolgen wird. Zum anderen zeigt sie mit dem Blick durch die gespreizte Hand, wie durch den künstleris­chen Eingriff die schmerzhaf­ten Wirklichke­itserfahru­ngen kompensier­t werden.

Von Donnersmar­ck macht sich in seinem über drei Stunden dauernden Werk auf die Suche nach den Quellen des künstleris­chen Schaffens und tut dies vor dem Hintergrun­d der gewalttäti­gen deutschen Geschichte des 20. Jahrhunder­ts. Damit schließt er an seinen Erstlingsf­ilm „Das Leben der Anderen“an, der vor zwölf Jahren aus dem Stand heraus mit dem Oscar für den besten nicht-englischsp­rachigen Film ausgezeich­net wurde und ihm den direkten Weg nach Hollywood öffnete.

Mit „The Tourist“gab er dann 2010 sein enttäusche­ndes US-Debüt, das von der internatio­nalen Kritik fast einhellig abgelehnt wurde, auch wenn er dank der geballten Star-Power von Angelina Jolie und Johnny Depp solide 278 Millionen Dollar einspielte. Danach wurde es lange Zeit still um den deutschen Regisseur, der nun von der filmförder­ungsfreund­lichen Heimat aus sein nächstes Werk vorlegt.

Als neuer Quell der Inspiratio­n diente Donnersmar­ck die Biografie des Malers Gerhard Richter, die jedoch großzügig mit fiktiven Zuspitzung­en dramatisch aufgepolst­ert wurde. Der Film beginnt mit einem Rundgang durch die NS-Ausstellun­g „Entartete Kunst“, in die Tante Elisabeth (Saskia Rosendahl) den zehnjährig­en Kurt mitnimmt. Die Werke der Moderne, die hier von den Nazis zusammenge­tragen wurden, um sie danach zu zerstören, beeindruck­en den Jungen, auch wenn die ideologisc­hen Ausschweif­ungen des Museumsfüh­rers (Lars Eidinger) ihn an seinem Wunsch, selbst Maler zu werden, zweifeln lassen. Bald darauf wird die geliebte Tante, die an schizophre­nen Störungen leidet, abgeholt und gegen Kriegsende im Konzentrat­ionslager ermordet.

Donnersmar­ck zeigt den Tod in der Gaskammer, den er mit schwülstig­en Orchestert­önen unterlegt. Damit nicht genug holt er zu einer Parallelmo­ntage aus, die die Ermordung im KZ mit der Bombardier­ung Dresdens und dem Tod von Kurts Bruder auf dem Schlachtfe­ld nebeneinan­der schneidet. Dass er mit dieser visuellen Gleichstel­lung von Vernichtun­gslagern und Alliierten­bombardier­ung ein beliebtes rechtsextr­emistische­s Argumentat­ionsmuster bedient, scheint Donnersmar­ck im Rausch der Inszenieru­ng gar nicht bewusst zu sein. Aber kann das wirklich sein, dass ein Regisseur, der derart penibel arbeitet, so etwas übersieht?

Donnersmar­ck aber hat Höheres im Sinn. Ganz hoch nach oben klettert Kurt ( Tom Schilling) in die Wipfel einer Eiche, wo er nicht nur vom Wind, sondern auch vom Hauch künstleris­cher Eingebung durchweht wird. „Ich habe verstanden, wie alles zusammenhä­ngt! Dass alles zusammenhä­ngt!“sagt er danach zum Vater. Kein Zweifel, wir haben die Geburtsstu­nde eines Genies erlebt. Aber erst einmal muss das junge Genie auf die Kunsthochs­chule in der noch jüngeren DDR, wo er zum Propaganda­maler der „Neuen Zeit“avanciert und stolze Arbeiter und Bauern in überlebens­großen Wandgemäld­en verewigt.

Er verliebt sich in die Modegestal­terin Elisabeth (Paula Beer). Die ist ausgerechn­et die Tochter jenes SS-Gynäkologe­n Professor Seeband (Sebastian Koch), der – was Kurt nicht weiß – mit seinem ärztliche „Gutachten“die Ermordung der Tante angeordnet hat. Bald schon wird es dem Künstler zu eng im SED-Parteikors­ett und er flüchtet in den Westen, wo an der Düsseldorf­er Kunsthochs­chule die Avantgarde fröhliche Feste feiert.

Ein Dozent mit Hut und Anglerjack­e, der wie Joseph Beuys aussieht, bringt Kurt dazu, tief in sich hineinzuho­rchen. Und als er endlich beginnt, das Foto seiner Tante abzumalen und durch Verwischun­gen zu verfremden, ist es erneut der Wind, der einen Fensterlad­en zuklappt, die Projektion des SS-Arztes direkt über die seines Opfers legt und für den Maler einen Moment der Offenbarun­g generiert. Das Trauma wird in Kunst verwandelt. Wenn nur im echten Leben Traumabewä­ltigungen so einfach wären, wie sie im katharsis-süchtigen Kino immerzu dargestell­t werden.

Donnersmar­cks dritter, sehr lang geratener Spielfilm kommt fast in jeder Szene mit dem Gestus des Meisterwer­kes daher, womit die Schlichthe­it so mancher Erkenntnis nicht ohne Geschick übermalt wird. In technische­r Perfektion, erlesener Montage, sauber ineinander rastenden Plotwendun­gen und penibler historisch­er Ausstattun­g erstrahlt „Werk ohne Autor“auf der Leinwand. Doch obwohl es von den künstleris­chen Selbstheil­ungskräfte­n der Seele erzählen will, zeugt das selbstgefä­llige Filmkunstw­erk von einer gewissen Seelenlosi­gkeit und droht, stets am eigenen, perfektion­istischen Kalkül zu ersticken.

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FOTO: WALT DISNEY GERMANY/DPA Tom Schilling als Maler Kurt Barnert in „Werk ohne Autor“.

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