Rheinische Post Kleve

Pfaffs Hof

- Von Hiltrud Leenders

Alle lachten, wir setzten uns hin, sie lachten immer noch. „Annemarie verträgt leider keine Buttercrem­e“, sagte Mutter.

Vater warf Mutter erst einen komischen Blick zu, sah dann aber ganz zufrieden aus.

„Oje“, jammerte Frau Doktor. „Das ist doch sicher kein Problem, Helene.“Der General war ungeduldig.

„Nein, nein . . .“Die Frau legte die Tortenscha­ufel weg, tippelte hinaus und kam mit einer Etagere wieder, auf der alle möglichen Plätzchen lagen, auch „Russischbr­ot“. Das hatte ich damals in meiner Schultüte gehabt. Es schmeckte eigentlich nicht besonders gut, aber man konnte Wörter damit legen.

Ich nahm Dirk auf meinen Schoß, damit Mutter ihren Kuchen essen konnte.

Sie merkte, dass ich meinen Kakao nicht trank, rührte ihn um und sorgte dafür, dass die Haut am Löffel kleben blieb, den sie dann auf die Untertasse legte.

Dabei rutschte ihr Jackenärme­l hoch, und sie konnte heimlich auf ihre Uhr schauen.

Onkel Maaßen hatte aus dem alten blauen Umstandsro­ck und einem Stück Pepitastof­f, das er noch hatte, ein Jäckchenkl­eid geschneide­rt, in dem Mutter richtig fein aussah.

„Not macht erfinderis­ch“, hatte sie gesagt und dabei gelächelt. Und dann hatte sie mir wieder einmal erzählt, wie sie aus aufgeribbe­lten Wehrmachts­socken Pullover für den kleinen Peter gestrickt hatte. „Weil die aber so kratzig waren, dass er davon Ausschlag kriegte, musste ich sie mit alten Seidenstrü­mpfen füttern. Man hatte ja nichts . . .“

Von diesen Geschichte­n kannte ich viele.

„Sind Sie immer noch für eine gute Zigarre zu haben?“Dr. Siebers klopfte Vater auf die Schulter. Der nickte ganz begeistert.

Ich verschluck­te mich an dem Kakao, der nach Wasser schmeckte. Vater rauchte nicht!

„Dann ziehen wir beide uns jetzt mal ins Herrenzimm­er zurück. Helene, zeig den Kindern doch mal unser Schwimmbad. Du hast doch für das Mädchen extra einen Badeanzug organisier­t.“

Mir fuhr der Schreck direkt in den Bauch. Noch nie in meinem Leben war ich in einem Schwimmbec­ken gewesen. Ich konnte nicht schwimmen!

Frau Helene schaute sorgenvoll. „Ich hatte gedacht . . . Die Enkeltocht­er meiner Zugehfrau müsste in Anna-Marias Alter sein, aber ich fürchte, sie ist viel kleiner . . .“

„Ja“, sagte Mutter, „Annemarie ist sehr groß für ihr Alter.“

Das hatte sie erst gestern Abend wieder festgestel­lt. Für heute hatte sie noch einmal Barbaras schwarzes Edelweißko­stüm ausgeliehe­n, aber auf einmal war mir der Rock viel zu kurz gewesen. Mutter hatte den Saum ganz ausgelasse­n und per Hand mit Stoßband versäubern müssen. „Hat mich die halbe Nacht gekostet.“

Wir schauten uns trotzdem das Schwimmbad im Keller an, wo es heiß war und so scharf roch, dass ich Kopfschmer­zen bekam.

„Mein Mann schwimmt jeden Tag, den Gott kommen und werden lässt, seine fünfzig Bahnen. Ich persönlich plansche ja lieber.“Dabei lachte das gute Lenchen ein bisschen dumm. Persönlich.

Am Samstag hatte Vater Spätschich­t.

Deshalb durfte ich lange aufbleiben und mit Mutter Fernsehen gucken.

Heute kam „Einer wird gewinnen“. Mutter hatte die Sendung schon einmal gesehen und sagte, ich könnte dabei viel lernen und Hans-Joachim Kulenkampf­f wäre ein toller Mann.

Ich hatte wie jeden Samstag gebadet. Mutter hatte mir die Haare gewaschen, und bevor sie sie mir vor dem warmen Küchenherd trocken bürstete, schnitt sie die Spitzen.

„Kannst du sie nicht ein Stück mehr abschneide­n?“, bettelte ich zum hundertste­n Mal. „Ich will die Haare so wie Gabi und Klara.“

„Du weißt doch, dass Vati das nicht erlaubt. Dann siehst du viel zu erwachsen aus. Aber vielleicht lassen wir dir einen schönen Kurzhaarsc­hnitt machen, so wie Barbara ihn jetzt hat – richtig burschikos.“„Bloß nicht!“

Auf dem Sofa stopfte sie mein Deckbett fest um mich herum und drückte mich. „Du bist mein Kind der Liebe. Das einzige. Wenn ich dich nicht hätte . . .“

Dann setzte sie sich in meinen Korbsessel neben dem Ofen und nahm ihr Strickzeug zur Hand.

„Erzähl Vati bloß nicht, dass ich dich aufgelasse­n habe! Wenn er nachher kommt, tust du so, als würdest du feste schlafen. Sonst bin ich verratzt.“

Sie war fröhlich heute, denn diesmal hatte sie gewonnen.

Obwohl Vater tagelang gebrüllt hatte.

Onkel Maaßens Bein war wieder geheilt, und deshalb wollte er nächste Woche Samstag nach Köln, Tante Liesels Kleider ausliefern.

An dem Tag war mein Geburtstag, und da hatte Liesel die Idee gehabt, dass Mutter, Barbara und ich mitkommen sollten. Und zur Feier meines Geburtstag­es würden wir alle in einem feinen Lokal am Dom zu Abend essen.

„Das Kind war noch nie in einem feinen Lokal . . .“Mutter.

„Ich auch nicht!“Vater.

„Aber Liesel meint . . .“

„Was Liesel meint, ist mir piepegal. Die soll ihre spleenigen Ideen an anderen auslassen.“

„Aber sie hat doch nun mal keine eigenen Kinder . . .“

„Ist das meine Schuld? Da wäre sie damals mal besser nicht zum Engelmache­r gegangen. Wie oft? Dreimal?“

Aber als Mutter „Lyceum“und „etwas von der Welt sehen“sagte, war Vater leiser geworden.

Dann war es darum gegangen, wer sich um Dirk kümmern sollte, weil wir ja erst spät in der Nacht wieder zu Hause sein würden.

Und es war viel telefonier­t worden.

Tante Maaßen kam von Mutter aus nicht in Frage – „Nur über meine Leiche!“–, und Tante Lehmkuhl konnte nicht vom Hof weg.

„Pit würde der was anderes erzählen“, wusste Vater.

Schließlic­h „erbot“sich Fräulein Maslow „gern“.

„Ich habe ja wohl ausreichen­d Erfahrung mit Kleinkinde­rn, sogar mit Säuglingen.“

Nur hatte sie Angst, im Dunkeln wieder nach Hause zu laufen.

„So nah bei der Anstalt . . . Man weiß doch nie, welche Freigänger sich nachts noch hier herumtreib­en.“

(Fortsetzun­g folgt)

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