Guten Morgen, Herr Schulleiter
Christoph Riedl ist seit Februar Chef der Joseph-Beuys-Gesamtschule. Es ist seine erste Stelle als Hauptverantwortlicher. Der Aufbau der neuen Oberstufe ist dort die größte Herausforderung des 50 Jahre alten Heinsbergers.
KLEVE Die Schüler im Klassenraum blicken sich verdutzt an. So etwas haben sie noch nicht erlebt. Es ist 11.20 Uhr, die erste Stunde Sozialwissenschaften für die neue Oberstufe. „Zuerst macht ihr einen Hamburger, dann eine Bratwurst“, sagt der Mann in der Mitte des Raums. Dabei hält er ein weißes Blatt in der Hand und faltet es. Belustigt machen es die Schüler nach. Am Ende entsteht ein gefaltetes Blatt mit acht gleich großen Bereichen. „Das ist euer Bodybook. Auf die vorderste Seite kommt euer Name, auf den Seiten dahinter Lernstoff, den ihr für die Tests und Klausuren braucht“, sagt der Mann. Ein Schüler fasst die Szene in Worte: „Wow, also die erste Schulstunde mit dem neuen Schulleiter habe ich mir irgendwie anders vorgestellt.“
Der Arbeitstag von Christoph Riedl (50) beginnt um 7 Uhr. Heute leuchtet das Licht aus seinem Büro allerdings schon um 6.40 Uhr auf den noch dunklen Hof der Joseph-Beuys-Gesamtschule. Der Raum ist schlicht eingerichtet. An der Wand über einem Holzschreibtisch fällt der Blick auf ein Bild von Joseph-Beuys. In der Ecke hinter einem Vorhang ist eine Couch versteckt.
Dort sitzt Riedl, neben ihm der Hausmeister. Sie sprechen über das Thema Sicherheit. „Man muss auf alles vorbereitet sein. Deshalb ist es gut, auch über den Katastrophenfall mit den einzelnen Gefahrenstufen zu sprechen“, sagt Riedl. Er gibt sich fit, lacht viel, aber seine müden Augen verraten die Wahrheit: Der Job des Schulleiters ist vor allem eines – stressig. Vor 19 Uhr ist er selten Zuhause. „Kaffee ist da schon eine Lebensstrategie. Zur Not habe ich ja auch die Couch im Büro“, sagt er und lacht. Bis zu seiner Wohnung in Kleve schaffe er es schon noch. Aber ihm ist es wichtig, so früh da zu sein. „Nur jetzt habe ich die Zeit für Gespräche, kann mir Sorgen anhören. Über den Tag ist das kaum möglich. Da herrscht Stress.“
Riedl führt ein paar Telefonate, hat eine Besprechung mit einem Gast und arbeitet sich durch seine täglichen Mails. Plötzlich ist es 9.10 Uhr. In 20 Minuten muss er Geschichte in der neunten Klasse unterrichten – allerdings im Schulgebäude des alten Gymnasiums auf der Ackerstraße. Er wirft sich das Jackett über, packt schnell seine Tasche und rennt zum Auto.
Die Joseph-Beuys-Gesamtschule hat zwei Standorte. Sein Büro im ehemaligen Johanna-Sebus-Gymnasium ist das Gegenteil zu dem auf der Hoffmannallee. Es ist dunkel, kleine Fenster lassen kaum Licht hinein. Es riecht nach dem Teppichboden, den wohl schon Generationen von Schülern betreten haben. Die Aktenschränke aus Holz ergänzen das Bild. „Ich habe zwei eigene Büros. Das kann auch nicht jeder sagen“, sagt Riedl und lacht.
Eigentlich hatte er nie vor, Schulleiter zu werden. „Das war nicht mein Ziel, ich wollte nur Lehrer werden, weil ich viel Spaß beim Unterrichten habe“, sagt Riedl. Er habe schon früh „viele Kurse für Jugendliche geleitet, beispielsweise einen Schachkurs. Das hat sehr Spaß gemacht“, sagt Riedl. Er unterrichtet Sozialwissenschaften, Geschichte und Physik. Zum ersten Fach kam er auf kuriose Weise: „Ich war als Schüler mit meinem damaligen Politikunterricht so unzufrieden, dass ich dachte, das kann ich besser.“
In der neunten Klasse geht es heute aber um Geschichte: Riedl zeigt einen Film über Kaiser Wilhelm II. Bei dessen Anblick bricht bei den etwa 20 Schülern Gelächter aus. „Schauen Sie sich mal den Bart an“, sagt einer der Schüler. Auch die Uniformen sorgen für breites Grinsen. „Erinnert euch das an etwas?“, fragt Riedl. „Karneval“, ruft einer der Schüler. „Genau, das wird unter anderem da auf die Schippe genommen“, sagt der 50-Jährige.
Als das Angebot für die Schulleiter-Stelle aus Kleve kam, hat er lange überlegt. Er kommt nicht aus unmittelbarer Nähe – Kreis Heinsberg. „Aber mich hat der Aufbau von Schulen schon immer gereizt“, sagt Riedl. Nach Stationen in Willich und Mönchengladbach nahm der 50-Jährige dann die Stelle in Kleve als Schulleiter an. Hier wird von ihm unter anderem der Aufbau der neuen Oberstufe erwartet. „Da habe ich schon Erfahrung drin. Bei meiner ersten Gesamtschule habe ich das auch schon gemacht.“Bislang funktioniere das gut, vor allem wegen des Teams: „Wir haben hier eine super Schulleitung und gute Lehrer. Das macht viel aus und Vieles leichter.“
Eine Oberstufe aufzubauen, das sagt sich leicht. Dahinter stecke aber viel Arbeit: „Die Schüler müssen bis zur zehnten Klasse so stark gemacht werden, dass sie die Qualifikation erreichen. Dafür brauchen sie einen bestimmten Notenschnitt.“Dabei will er helfen, Riedl möchte den Kindern alle Chancen ermöglichen, auch wenn sie aus völlig unterschiedlichen Verhältnissen kommen. Ein Thema, das ihm besonders wichtig ist, spielt gerade Christoph Riedl Schulleiter in einer Gesamtschule ebenfalls eine große Rolle: Migration. „Ich bin der festen Überzeugung, dass Schüler von unterschiedlicher Herkunft oder aus verschiedenen sozialen Schichten nur voneinander profitieren können“, sagt Riedl. Und das alles in einer Schule, einer Klasse zu vereinen: „So geht doch Integration“, sagt er und strahlt dabei über das ganze Gesicht.
Christoph Riedl sitzt wieder in seinem Büro am Schreibtisch an der Hoffmannallee. Es ist 12.30 Uhr. Jetzt kann er zum ersten Mal heute richtig durchatmen. Physik fällt aus, die Schüler sind im Pflichtpraktikum. Der Schulleiter greift zu seiner grünen Brotdose, heute gefüllt mit kleinen Apfelstücken. Ein richtiges Mittagessen gibt es nicht. „An manchen Tagen esse ich bis abends gar nichts. Da ist einfach keine Zeit zu“, sagt der Schulleiter. Gesund ist das nicht. „Aber ich arbeite daran“, sagt er und lacht. Schnell nimmt er noch ein großes Stück und schiebt es sich in den Mund. Der Tag ist noch lang.
„Schüler von unterschiedlicher Herkunft können nur voneinander profitieren“