Wut ist ein schlechter Ratgeber
Wut ist eine Todsünde, Mäßigung eine Kardinaltugend. Klingt angestaubt, ist es aber nicht. Zum Beweis übersetzen wir das mal in Jugendsprache und sagen: Bleib chillig, liebe BGE!
Im Emmericher Ratssaal befindet sich ein schönes Bild. Es hängt dort schon lange. Vielleicht schaut deshalb niemand mehr so genau die beiden Damen an, die darauf zu sehen sind.
Die eine Frau, deren Augen verbunden sind und die in ihrer linken Hand eine Waage und in ihrer rechten ein Schwert hält, ist die Verkörperung der Gerechtigkeit (Justitia). Die Dame neben ihr schüttet aus zwei Gefäßen Flüssigkeit in eine Schale. Sie stellt das Maßhalten, die Mäßigung, dar (Temperancia). Arm in Arm werden hier beide Damen gezeigt. Das soll die enge Verbindung von Gerechtigkeit und Maßhalten zum Ausdruck bringen.
Auch die Tafel unter dem rechten Fuß der Mäßigung weist darauf hin. Die Übersetzung von „Convenimus ambae“lautet sinngemäß: „Wir gehören zusammen.“
Warum schreibe ich das?
Weil in dieser Woche der Chef der Bürgergemeinschaft Emmerich, Joachim Sigmund, von sich reden macht. Er hat den Rücktritt von Albert Jansen (CDU) als Vorsitzender des Ausschusses für Stadtentwicklung gefordert. Mehr noch: Jansen soll dort nicht einmal mehr Mitglied sein dürfen.
Sigmund glaubt, er habe Jansen der Lüge überführt. Getan haben soll das Jansen, um einen Antrag der BGE zu verhindern. In dem geht es um den Ausbau des Ravensacker Weges.
Zwei Dinge lassen sich festhalten: Jansen hat nicht gelogen, sondern in der Sache nichts Falsches erzählt. Er hätte vielleicht deutlicher werden können. Allerdings ging es hier um Grundstücksgeschäfte. Und die haben in einer öffentlichen Sitzung nun mal nichts verloren.
Zweitens: Vor so weitreichenden Forderungen macht es Sinn, sich mit der politischen Konkurrenz auszusprechen, damit die Möglichkeit besteht, Fragen zu klären, ehe man radikale Schritte einleitet.
Und bevor das vergessen wird: Es gibt noch einen dritten, sehr wichtigen Punkt, der zu beachten ist. Forderungen mit dieser Tragweite kann kein Fraktionsvorsitzender für sich alleine beschließen. Er muss das mit all seinen Kollegen in der Ratsfraktion vorher besprechen. Joachim Sigmund hat das nicht getan.
Kommen wir deshalb noch einmal auf das Bild im Rathaus zu sprechen.
Gerechtigkeit und Maßhalten werden zu den vier weltlichen Kardinaltugenden gezählt. Diese sind schon seit der Antike wichtig. Und das zeigt sich in Emmerich eben auch darin, dass sich die Ratsherren vergangener Zeiten dieses Bild aus dem 17. Jahrhundert in ihr Rathaus hängten. Als Anspruch und Ansporn.
Diese Werte sind immer noch aktuell. Mäßigung ist erforderlich in Zeiten von Dauerempörung und Wutbürgertum. Wut ist nämlich keine Tugend, sondern gilt in der Kirche seit dem Mittelalter als Todsünde. Und verdient natürlich auch außerhalb religiöser Wertvorstellungen Ablehnung.
Übrigens: Den Schlüssel zum Ratssaal kann man im Vorzimmer des Bürgermeisters ausleihen. Vielleicht tagt die BGE am
Montag ja dort.