Rheinische Post Kleve

„Bagger meinen Wald nicht an“

Zehntausen­de gegen den Tagebau und ein GrünenPart­eitag: Eindrücke vom Wochenende.

- VON MARIE LUDWIG UND THOMAS REISENER

BUIR Menschen in Eichhörnch­enund Superman-Kostümen sind im Rheinland nichts Ungewöhnli­ches. Doch da die fünfte Jahreszeit noch nicht begonnen hat und die Verkleidet­en nicht in der Düsseldorf­er Altstadt, sondern auf einem staubigen Acker zwischen Aachen und Köln herumlaufe­n, lässt sich doch von einem Ausnahmezu­stand sprechen: „Es ist die mit Abstand größte Demo, die das Rheinische Braunkohle­revier je gesehen hat“, sagt Dirk Jansen, NRW-Geschäftsf­ührer des Bundes für Umwelt und Naturschut­z (BUND) vor Zehntausen­den Menschen. Aus allen Himmelrich­tungen, über Feldwege und aus dem Wald strömen sie an diesem Samstag zum Hambacher Forst.

Dort herrscht ein Wettrüsten der Plakate. Slogans wie „Bagger meinen Wald nicht an“, „Run Forest, run“und „Hambi bleibt“gehören zu den Favoriten. Einige verschenke­n Umarmungen, und auf der Bühne spielen Bands wie Revolverhe­ld, Tonbandger­äte und Cat Ballou. Fast herrscht Festival-Atmosphäre, doch dann spricht Ingo Bajerke: „Stellen Sie sich vor, Sie besitzen Haus und Land, ein Zuhause für Ihre Familie, und plötzlich steht ein Bagger vor Ihrer Haustür und will Ihnen all das wegnehmen.“Plötzlich ist es still. Bajerke (45) hat seinen Geburtsort bereits an die Bagger verloren. Für ihn ist der Tag ein „kleines Wunder“– sind doch 90 Prozent des Hambacher Forstes bereits gerodet.

Das Ehepaar Pesch aus Viersen kommt regelmäßig zu den Demonstrat­ionen – es will der nachfolgen­den Generation „eine gute Welt hinterlass­en.“Für Familie Bach aus Alfter ist es sogar „logische Konsequenz“, bei der Demonstrat­ion mit dabei zu sein. Alle Familienmi­tglieder setzen sich für den Umweltschu­tz ein. Der Weg zu Arbeit und Schule wird mit dem Rad bestritten, häufig gibt es vegetarisc­hes Essen und „selbstvers­tändlich“wird Ökostrom genutzt.

„24 Grad im Oktober – der Klimawande­l ist mit uns“, witzelt eine Passantin. Und obwohl die Feuerwehr Wasser an die Demonstran­ten herausgibt, bimmeln bei den Anwesenden angesichts der Temperatur­en die Alarmglock­en – beziehungs­weise Schnecken. Denn in eine footballgr­oße Meeresschn­ecke bläst Milan Schwarze vom Bündnis „Ende Gelände“ins Bühnenmikr­ofon, für die Menschen, die ihre Inselstaat-Heimat durch den Klimawande­l verlieren könnten. Den Wald haben er und die anderen Aktivisten noch in der Nacht auf Sonntag wieder besetzt und Barrikaden aus Baumstämme­n und Bodenrille­n gebaut.

Für Christoph Bautz, Mitbegründ­er der Organisati­on „Campact“, ist das Ziel eindeutig: „Bis 2020 soll die Kohleenerg­ie um die Hälfte zurückgefa­hren werden.“Großkonzer­ne und Politik dürften nicht alleine entscheide­n, da sind sich auch Frowin Stemmer (37) und Anne Zaun (32) einig. Die beiden waren schon an den letzten drei Wochenende­n bei den Demonstrat­ionen am Forst dabei und tragen ein Schild mit dem Slogan: „Armin lass‘et!“vor sich her. Sie sehen die Verantwort­ung bei der Landesregi­erung und feiern den vorläufige­n Rodungssto­pp. Die Demonstrat­ion bleibt den gesamten Tag über friedlich, auch wenn zwischenze­itlich die Autobahn 4 und der Bahnhof Buir wegen Überfüllun­g gesperrt werden. Ein Gefühl überwiegt an diesem Tag: Hoffnung, auf einen schnellen Kohleausst­ieg und den Erhalt des Hambacher Forsts.

Aus Grünen-Sicht ist der vorläufige Rodungssto­pp ein Zwischener­folg, den es jetzt mit einem dauerhafte­n Rodungsver­bot des Hambacher Forsts weiterzuen­twickeln gelte. Das sagt die Grünen-Landesvors­itzende Mona Neubaur vor 80 Delegierte­n und 120 Gästen auf dem Landespart­eirat, der am Sonntag nahe des Hambacher Forsts stattfinde­t. Verschiede­ne Redner räumen ein, dass die bisherige Braunkohle-Politik ein wunder Punkt der NRW-Grünen sei: Vor zwei Jahren stimmte die damals noch mitregiere­nde Partei der Entscheidu­ng zu, die zwar eine Verkleiner­ung des Tagebaus erwirkte, aber nicht die Aufhebung der Pläne. Mehr sei damals angesichts der Sitzvertei­lung im Landtag für die Grünen nicht drin gewesen, sagt Reiner Priggen, ehemaliger NRW-Grünen-Fraktionsc­hef. Mit der schwarz-gelben Landesregi­erung geht er wiederum hart ins Gericht: „Was hat NRW-Innenminis­ter Reul geritten, mit 4000 Polizisten gegen 150 Aktivisten in Baumhäuser­n anzurücken?“

Das Votum für den Antrag des Landesvors­tandes fällt danach einstimmig aus: Die NRW-Grünen fordern die Landesregi­erung auf, die Rodungen im Hambacher Wald mindestens so lange zu unterbinde­n, bis die Kohlekommi­ssion ihre Arbeit abgeschlos­sen hat. Außerdem müsse Schwarz-Gelb „spätestens mit dem Ergebnis der Kohlekommi­ssion eine neue Leitentsch­eidung zum Braunkohle­abbau treffen.“

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FOTO: MARIE LUDWIG
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FOTO: MARIE LUDWIG Für Familie Bach aus Alfter gehört Umweltschu­tz zum Alltag: Man fährt Rad, isst gerne vegetarisc­h und kommt zur Demo an den Hambacher Forst.
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FOTO: MARIE LUDWIG Georg und Ulla Pesch aus Viersen haben zwei Zöglinge aus dem eigenen Garten für den Hambacher Forst mitgebrach­t.
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FOTO: DPA Aufräumen nach aufregende­n Wochen im Hambacher Forst: Aktivisten tragen einen Baumstamm.
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FOTO: REUTERS Laut diesem Plakat ist auch Bambi für den „Hambi“.
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FOTO: BERND LAUTER Kreativer Protest für den Artenschut­z.

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