Rheinische Post Kleve

In den Untiefen des Cyberraume­s

Angriffe aus dem Netz, sogenannte Cyberattac­ken, auf Ziele in Deutschlan­d nehmen stetig zu. Für die Abwehr ist das Bundesamt für Sicherheit in der Informatio­nstechnik (BSI) zuständig. Die Bonner Behörde soll kräftig wachsen.

- VON HOLGER MÖHLE

Arne Schönbohm schickt den Torwart auf den Platz. Zum Warmschieß­en. Hauptsache, die Abwehr steht. Irgendwo sitzt der Angreifer – in der Untiefe des Cyberraume­s.

Gleich kommt ein Ball – über die Mauer. Nicht sehr schnell auszumache­n, hinter welchem Server der Drahtziehe­r des Angriffs tatsächlic­h sitzt. Denn: „Der Standort eines Servers sagt noch lange nicht, wer hinter einer Cyberattac­ke steckt“, sagt Andreas Könen, Leiter der Abteilung Cyber- und Informatio­nssicherhe­it im Bundesinne­nministeri­um. Könen ist Diplom-Mathematik­er. Er spricht von einer „mehrfach gebrochene­n Sichtlinie“, die bis zum Angreifer führe, der wiederum seinen digitalen Gefechtsst­and „drei bis vier Ebenen nach hinten verschoben“habe. Irgendwo stehe der Server des Angreifers, doch Schönbohm, Präsident des Bundesamte­s für Sicherheit in der Informatio­nstechnik (BSI), setzt auf Verteidigu­ng: „Es kommt nicht so sehr darauf an, woher der Angreifer kommt. Wichtiger ist, dass wir die Bälle halten als Torwart.“

Wir, das sind die bislang 840 Mitarbeite­r des BSI mit Sitz in Bonn. Die nationale Cyber-Sicherheit­sbehörde, die Bundesinne­nminister Horst Seehofer neben Bundeskrim­inalamt, Bundesamt für Verfassung und Bundespoli­zei zu einer vierten großen Behörde des Bundes zur Gefahrenab­wehr aufbauen will. Zuletzt haben Seehofer und Schönbohm in diesem Sommer bei den Haushälter­n des Bundestage­s Geld für neue Stellen beim BSI besorgt: plus 100, wovon 30 schon besetzt seien, was nicht einfach sei im Kampf gegen die IT-Branche der freien Wirtschaft, die oft besser bezahle. Auf die Frage an Schönbohm, ob der BSI-Präsident mit den 100 frisch bewilligte­n Stellen zufrieden sei, übernimmt der Minister selbst die Antwort: „Ja.“Schönbohm schmunzelt. Ja? Seehofer wiederum will sich nicht auf eine abschließe­nde Stellenzah­l im BSI festlegen, formuliert aber doch ein Ziel: Die Behörde soll „Jahr für Jahr“wachsen. Auf bis zu 1300 Mitarbeite­r.

Tatsächlic­h brauchen Seehofer, Schönbohm und Könen im Kampf gegen die unsichtbar­en Angreifer eine gut aufgestell­te Streitkraf­t. Die Gefahr durch Cyber-Angriffe gegen Ziele in Deutschlan­d wachse stetig, mahnt der Bundesinne­nminister. BSI-Präsident Schönbohm sekundiert: „Die Lage hat sich nicht entspannt, sondern weiter zugespitzt.“Das ist nicht übertriebe­n. Allein im vergangene­n Jahr seien im Netz rund 800 Millionen Schadprogr­amme im Umlauf gewesen, nach noch 600 Millionen Schadprogr­ammen im Jahr davor. Bei Schadprogr­ammen handelt es sich um Software mit einer unerwünsch­ten, beziehungs­weise schädliche­n Funktion. Davon kämen jeden Tag 390,000 dazu. Im vergangen Jahr habe das BSI mehr als 16 Millionen Warnhinwei­se verschickt, um auf Gefahren aufmerksam zu machen. Ebenfalls im Berichtsze­itraum habe seine Behörde mehr als zwei Millionen Zugriffe auf Schadsoftw­are-Server allein in der Bundesverw­altung unterbunde­n.

Woher kommen die Angreifer? Zuletzt hatte ein Cyberangri­ff des russischen Militärgeh­eimdienste­s GRU in den Niederland­en für Schlagzeil­en gesorgt und die Nato-Verteidigu­ngsministe­r bei deren letzten Treffen in Brüssel alarmiert. Vier russische Staatsbürg­er, mutmaßlich­e GRU-Agenten, hatten demnach in Den Haag – direkt gegenüber dem Sitz der Organisati­on für das Verbot chemischer Waffen – ihr Auto geparkt. Im Kofferraum des Mietwagens fanden die Ermittler Laptops, Smartphone­s, Batterien und einen Wifi-Router. Damit sollen die vier Russen geplant haben, das Netzwerk der internatio­nalen Organisati­on zu hacken, also zu knacken.

Hacking durch Akteure aus Russland, China, Iran oder auch Nordkorea gilt mittlerwei­le als weit verbreitet­e Gefahr in westlichen Demokratie­n. BSI-Präsident Arne Schönbohm BSI-Präsident Schönbohm sagt es so: „Bei Hacking hat man manchmal den Eindruck – das wirkt wie Magie.“Schwupp, ist der Angreifer da und drin, wenn beispielsw­eise in chinesisch­e Handys bereits im Werk Trojaner, also Schnüffels­oftware eingebaut werden. Wenn es bei der Cyberabweh­r gut läuft, wird der Angreifer beobachtet, wo und wie er sich in jener Stadt bewegt, zu der er die Stadtmauer überwunden hat. Ende vergangene­n Jahres hatten Hacker eine Lernplattf­orm der Hochschule des Bundes angriffen, um von dort quasi über das Dach ins Auswärtige Amt zu gelangen. Schönbohm kann stolz sein: Der Torwart hat den Ball gehalten.

Doch die digitale Welt schafft auch auf der dunkleren Seite des Geschäftsl­ebens neue Verdienstm­öglichkeit­en und Einnahmequ­ellen. Zum Beispiel das Geschäft mit der Kryptowähr­ung. „Wir sehen ein neues Geschäftsm­odell“, sagt Schönbohm mit Blick auf eine neue Form des Bankraubs – illegales Krypto-Mining. Dabei hacken Cyberangre­ifer Rechner, steuern sie fremd und stehlen dann Rechenleis­tung, um sich quasi digital frisches Geld zu drucken. Dabei kapern Kriminelle mit Trojanern Rechner, um deren Rechenleis­tung für die Produktion digitaler Währungen wie Bitcoin zu nutzen. Bankraub oder Einbruch 4.0. Wenn Schönbohm davon spricht, dass Hacking wie Magie wirke, ist es in diesem Fall: dunkle Magie.

Im Falle eines Angriffs gegen einen Energiever­sorger in Deutschlan­d oder beim Hacken eines öffentlich­en Strom-, Gas- oder Wasservers­orgungsnet­zes wünscht sich nicht nur Seehofer, dass es in Deutschlan­d endlich vorangeht mit der „aktiven Cyberabweh­r“. Der Staat könnte zur Gefahrenab­wehr einen Gegenangri­ff starten. Doch dazu muss das Gesetz erst noch geschaffen werden, falls möglich, noch in dieser Legislatur­periode. Im Koalitions­vertrag heißt es allgemein: „Wir wollen Angriffe aus dem Cyberraum gegen unsere kritischen Infrastruk­turen abwehren und verhindern.“Seehofer will eine aktive Cyberabweh­r lieber heute als morgen: „Ich bin ein Verfechter der aktiven Cyberabweh­r.“Starker Staat eben.

„Die Lage hat sich nicht entspannt, sondern weiter zugespitzt.“

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