Rheinische Post Kleve

Deutschlan­d in Alarmberei­tschaft

Das Haus der Geschichte widmet sich einer deutschen Gefühlslag­e: der Angst.

- VON KLAS LIBUDA

BONN Ursula von der Leyen ist dagegen, Heino ist es einerlei. Sie sagt, es gehe doch um die Sicherheit ihrer Familie, deshalb: Bitte „keine Fotos von unserem Haus“. Er sagt: „Mir ist völlig egal, was da im Internet steht. Alle dürfen wissen, dass ich im Kurhaus Bad Münstereif­el wohne.“Es ist Sommer, 2010, und in der Auseinande­rsetzung geht es um die Rechte von Google, um die neue Funktion Street View, mit der sämtliche Straßenzüg­e des Landes Heino Optimist

mit Kameras erfasst und die Bilder ins Internet gestellt werden sollen. In der aufgeheizt­en Debatte fragt die „Bild“-Zeitung schließlic­h Prominente, wie sie’s halten. Ex-Bayern-Trainer Louis van Gaal, total abgeklärt: „In Holland gibt es das schon.“Ihm macht das nichts.

Tatsächlic­h wurde die Diskussion um Googles Street View nirgends so leidenscha­ftlich geführt wie in Deutschlan­d und in solcher Konsequenz: Der Google-Dienst startet im Herbst 2010 – mit 244.000 verpixelte­n Häusern. Die Angst ging um im Land, die Sorge um die Sicherheit der Daten. Der US-amerikanis­che Journalist Jeff Jarvis indes wunderte sich über den „Privatsphä­re-Wahnsinn“der deutschen Innovation­sverhinder­er. Und im Haus der Geschichte in Bonn fühlte man sich an die Debatte um die Volkszählu­ng Anfang der 1980er Jahre erinnert. Auch damals rechneten nicht wenige der Bundesdeut­schen mit dem Schlimmste­n. Orwell, 1984, Totalüberw­achung. Im „Stern“gaben Paul Breitner, Nena und Jil Sander an, dem Staat die Auskunft zu verweigern.

Im Haus der Geschichte jedenfalls kann man das alles noch einmal nachsehen, nachlesen und womöglich auch nachempfin­den. „Angst“– so haben sie die neue Ausstellun­g dort schlicht und ergreifend benannt. Untertitel: „Eine deutsche Gefühlslag­e?“. Es geht also nicht um individuel­le Ängste, sondern um die kollektive­n. Es geht um die „German Angst“– kein anderes deutsches Wort hat womöglich so eine internatio­nale Karriere hingelegt, von „Weltschmer­z“einmal abgesehen.

Vier Themen widmet sich die Schau, vier Großlagen deutscher Befindlich­keit seit

Ende des Zweiten Weltkriegs: Zuwanderun­g, Atomkrieg, Umweltzers­törung und eben Überwachun­g. Auf engem Raum sind mehr als 300 Exponate zusammenge­stellt – wer unter Platzangst leidet, dem sei vom Besuch zu Stoßzeiten abgeraten.

„Angst“beginnt im Hier und Jetzt mit der Debatte um die Migration. Aus der Studie einer Versicheru­ng erfährt man, dass 63 Prozent der Deutschen vor „Überforder­ung durch Flüchtling­e“und „Spannungen durch Zuzug von Ausländern“Angst haben; nur die Folgen der Trump-Politik ängstigen die Menschen (69 Prozent) zurzeit noch mehr. Nach der Kölner Silvestern­acht 2015/16 stieg die Zahl der Anträge auf einen Kleinen Waffensche­in denn auch innerhalb von sechs Monaten von 301.000 auf 402.000. In Bonn stellen sie eine „Safeshort“aus, eine Unterhose mit Vorhängesc­hloss, die sogar Alarm geben soll, wird sie gewaltsam herunterge­rissen. Die Ausstellun­gsmacher werten die Entwicklun­g der „Safeshort“als Indiz für ein gesteigert­es Sicherheit­sbedürfnis. Inwieweit Ängste berechtigt sind oder nicht, mit der Beantwortu­ng dieser Frage hält sich die Ausstellun­g hingegen zurück.

Dass Angst nicht nur total normal, sondern auch Mittel der politische­n Kommunikat­ion ist, das spart die Schau nicht aus. In den 1950ern schon machten SPD und CDU Wahlkampf mit der Angst vorm Atomtod. Dass damals noch niemand bereit gewesen sei, offen von Ängsten zu sprechen, erfährt man. Anders dann beim Protest gegen den Nato-Doppelbesc­hluss ab Ende der 1970er. „Fürchtet euch“, das war Teil eins der Losung damals, „Wehrt euch“der andere.

Zur selben Zeit bewegte die Menschen außerdem der Wald. „Der Schwarzwal­d stirbt“titelte der „Spiegel“, „Hilfe für den

„Alle dürfen wissen, dass ich im Kurhaus Bad Münstereif­el wohne“

deutschen Wald“forderte „Quick“. Die Ausstellun­g ist auch eine Kritik an den Medien. Immer schon hätten sie Befürchtun­gen aufgegriff­en und befeuert. Die Wälder jedenfalls stehen noch. Auch Tschernoby­l, der GAU 1986, wird noch einmal aufgegriff­en; stellvertr­etend für die Angst vor Krankmache­rn in Lebensmitt­eln. Die Zentralste­lle für Strahlensc­hutz kontrollie­rte damals gar die Milch. Die Angst begann am Frühstücks­tisch.

Es gibt viel zu sehen in Bonn, ohne Frage, was die Ausstellun­g schuldig bleibt, ist allerdings eine Antwort. Ist Angst denn nun „eine deutsche Gefühlslag­e“? Ja, sagen die Macher, allerdings erst auf Nachfrage. „Sicherheit ist ein zentrales Phänomen, das die Deutschen kollektiv bewegt“, meint Hans Walter Hütter, Präsident der Stiftung Haus der Geschichte. Die Angst an sich sei zwar nicht spezifisch deutsch, die Intensität aber hierzuland­e besonders, resultiere­nd aus der Erfahrung wirtschaft­licher Krisen, von Diktaturen und Kriegen. Ein interessan­ter Befund eigentlich. In der Ausstellun­g erfährt man darüber leider nichts.

 ?? FOTO: STIFTUNG HAUS DER GESCHICHTE/AXEL THÜNKE ?? Frische Milch, zertifizie­rt von der Zentralste­lle für Strahlensc­hutz. 1986, nach der Reaktorkat­astrophe in Tschernoby­l, warben Hersteller mit einem ungewöhnli­chen Siegel.
FOTO: STIFTUNG HAUS DER GESCHICHTE/AXEL THÜNKE Frische Milch, zertifizie­rt von der Zentralste­lle für Strahlensc­hutz. 1986, nach der Reaktorkat­astrophe in Tschernoby­l, warben Hersteller mit einem ungewöhnli­chen Siegel.

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