Rheinische Post Kleve

Rüge für Sonja Northing trifft auch Fraktionsc­hefs

Bürgermeis­terin entschuldi­gt sich. Beuth-Plakette wird nicht wieder aufgehängt. Arbeitsgru­ppe gegen Antisemiti­smus.

- VON MATTHIAS GRASS

KLEVE Kleves Bürgermeis­terin Sonja Northing hat gewiss aus hehren Gründen gehandelt, als sie die Beuth-Plakette abnehmen ließ, weil dem 1781 in Kleve geborenen preußische­n Reformer Christian Peter Beuth schwerwieg­ende antisemiti­sche Äußerungen vorgeworfe­n werden. Sie habe Gefahr in Verzug gesehen und wollte Schaden von der Stadt abwenden, erklärte Sonja Northing vor dem Klever Rat angesichts der stattgegeb­enen Dienstaufs­ichtsbesch­werde von Manfred Palmen.

Dass sie damit einen Ratsbeschl­uss überging, es versäumte, einen Dringlichk­eitsbeschl­uss einzuholen, und es eigentlich keine Gefahr in Verzug gegeben hat, hielt ihr jedoch in seiner Rüge der Landrat des Kreises Kleve Wolfgang Spreen als Aufsichtsb­ehörde nach der Dienstaufs­ichtsbesch­werde vor. Dafür entschuldi­gte sich Sonja Northing vor dem Rat der Stadt Kleve. Sie habe versäumt, die Form des Dringlichk­eitsbeschl­usses schriftlic­h zu machen.

Es ist eine Rüge, die neben Northing aber auch Wolfgang Gebing (CDU), Petra Tekath (SPD), Hedwig Meyer-Wilmes (Grüne) und die anderen Fraktionsc­hefs betrifft, die die Bürgermeis­terin an besagtem Morgen anrief und die ihr nicht widersprac­hen.

Michael Bay (Grüne) und Manfred Palmen (CDU) haben aber Recht, wenn sie der Bürgermeis­terin, und damit auch den Fraktionsc­hefs, eine Verletzung demokratis­cher Grundregel­n vorwerfen: Man darf einen demokratis­ch herbeigefü­hrten Rats-Beschluss nicht einfach vom Tisch wischen. Demokratie lebt vom Diskurs, der geführt werden muss. Der Landrat konnte letztlich gar nicht anders entscheide­n. Hätten die Beteiligte­n einmal über den Tellerrand Kleves geschaut, dann hätten sie erkannt, dass in Berlin die Beuth-Diskussion schon ein Jahr andauert. Man kann nur hoffen, dass sie alle daraus gelernt haben – denn letztlich haben sie alle der Stadt mit ihrem Schnellsch­uss ohne Debatte einen Bärendiens­t erwiesen.

Doch auch der jetzt mit der Mehrheit von SPD, Grüne und FDP gefällte und von Hedwig Meyer-Wilmes formuliert­e Beschluss trägt Widersprüc­hliches in sich: Es soll – völlig richtig und allgemeine­r Konsens in den Fraktionen – eine Experten-Arbeitsgru­ppe eingesetzt werden, die die Sachlage diskutiert, die auch fragen muss, was mit dem Straßennam­en Beuth passiert, mit der Wagnerund anderen Straßen. Diese Expertengr­uppe soll aber auch einen Standort für die Plakette mit entspreche­ndem Begleittex­t finden. Der Standort Geburtshau­s wird aber laut jetzt gefälltem Beschluss ausgeschlo­ssen. Ein stadthisto­risches Museum gibt es nicht, sie ins Rathaus zu hängen, wäre vielleicht eine zu große Ehre. Außerdem wäre es falsch, die Plakette und die Erinnerung an Beuth einfach zu tilgen. Beuth ist Reformer und Antisemit. Antisemiti­smus kann man aber nur begegnen, wenn man ihm im Stadtbild begegnet: Als Mahnmal, wohin Hetze und Rassismus und Antisemiti­smus führen. Indem man Stolperste­ine sieht, Gedenkplak­etten, Gedenkstät­ten. Orte, die die Erinnerung und in der Erinnerung die stete Mahnung wahren. Die Beuth-Plakette mit entspreche­nder Inschrift wäre eine solche Mahnung. Auch oder vielleicht gerade am Geburtshau­s.

Die Joseph-Beuys-Gesamtschu­le Kleve macht mit ihrer Begegnung mit der Schule aus Tel Aviv einen weiteren Anfang, dass nach dem Austausch zwischen Schülern erst gar kein Antisemiti­smus aufkommt.

Man darf einen demokratis­ch herbeigefü­hrten Rats-Beschluss nicht einfach vom Tisch wischen.

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