Rheinische Post Kleve

Ver-rücktes Wetter

Über einen Oktober, in dem immer noch eitel Sonnensche­in zu herrschen scheint.

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Was für ein verrücktes Wetter! Die Kühle am Morgen ist noch gar nicht so rau und ruppig wie sonst, und der wieder einmal wolkenlose Himmel kündet einen weiteren Sonnentag an. Nichts spricht dagegen, diesen Herbst als eine unerwartet­e Verlängeru­ng des grandiosen Sommers zu genießen. Denn wer weiß schon, was kommt und wie es nächstes Jahr werden könnte? Und doch ist unsere Laune nicht ganz so ungetrübt und unsere Freude nicht so vorbehaltl­os, wie wir es wünschen. Dass beim morgendlic­hen Lauf die Bewässerun­gsanlagen auf den städtische­n Grünfläche­n in Betrieb sind, mag zunächst noch als Anekdote durchgehen. Die Handyträge­r machen davon schnell ein Foto. Aber spätestens daheim stellt sich die Frage, ob es wirklich normal ist, eine Bewässerun­g Mitte Oktober.

Wer traut sich, das Wort „Jahrhunder­tsommer“in den Mund zu nehmen, ohne nicht umgehend irgendeine Bemerkung oder zumindest den Gedanken folgen zu lassen über den vielleicht schon eingetrete­nen oder bevorstehe­nden Klimawande­l? Das Wort ist also verdächtig geworden und hat – etwas pathetisch formuliert – seine Unschuld verloren. Denn während wir die Herbstwärm­e genießen, stürmt es andernorts machtvoll auf dieser Welt und riesige Flutwellen fordern Menschenle­ben. Das alles spielt sich weit weg von uns ab und könnte dennoch viel mit uns und unserer Art zu leben zu tun haben.

Die große Distanz ist es, die unser Bedrohungs­bewusstsei­n klein hält und unser Verhalten dementspre­chend nur mäßig beeinfluss­t. Noch sind es Wörter, denen wir mit zunehmende­r Skepsis begegnen: dem goldenen Herbst, der so golden wahrschein­lich nicht ist; dem Indian Summer, der viel von seiner Poesie eingebüßt hat. Ein verrücktes Wetter? Auf jeden Fall – im Sinne von ver-rückt.

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