Rheinische Post Kleve

„Viele RWE-Mitarbeite­r fühlen sich bedroht“

Nach dem Stopp der Rodung geht der Kampf um den Hambacher Forst weiter, fürchtet der RWE-Chef.

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DÜSSELDORF Rolf Martin Schmitz hat als Energieman­ager schon viel erlebt. Doch nach der Gewalt im Hambacher Forst und dem Rodungssto­pp muss er seit Tagen Mitarbeite­r und Aktionäre beruhigen. In die Redaktion kam er morgens um acht Uhr zum Interview.

Gehen Sie gerne in den Wald? SCHMITZ Ich gehe gerne im Wald spazieren, ich liebe die Natur. Doch in einer Industrieg­esellschaf­t gibt es Grenzen. Und der Hambacher Forst wäre auch dann nicht mehr zu retten, wenn wir die Bagger stoppen.

Warum nicht?

SCHMITZ Von den einst 4100 Hektar ist der wesentlich­e Teil bereits gerodet. Nun geht es noch um 200 Hektar. Wir brauchen die Erdmassen unter dem Wald, um die steile Abbruchkan­te am Tagebau aufzufülle­n und die Rekultivie­rung zu machen. Um einmal eine Größenordn­ung zu geben: Wenn man diese Erdmassen mit dem Lkw transporti­eren wollte, bräuchte man 100 Millionen Lkw-Ladungen. Das ist eine Lkw-Reihe, die gut 25 Mal um die Erde reicht. Das hätte mit Klimaschut­z nichts mehr zu tun. Abgesehen davon: Ich zweifele, ob es überhaupt noch Fledermäus­e in dem Wald gibt, nachdem so viele Menschen da durchgelau­fen sind.

Vor einer Woche hat das Oberverwal­tungsgeric­ht (OVG) einen Rodungssto­pp erlassen. Hat Sie das Urteil überrascht?

SCHMITZ Ja, das hat uns sehr überrascht. Die rot-grüne Landesregi­erung hatte mit der Leitentsch­eidung erst 2016 sorgsam begründet, dass der Braunkohle-Abbau in Hambach energiewir­tschaftlic­h notwendig ist. Jetzt haben die Richter verfügt, dass der Sofortvoll­zug, also die Rodungen, bis zum kompletten Ende des Verfahrens ausgesetzt werden muss. Das heißt: Selbst wenn wir am Ende vor dem Bundesverw­altungsger­icht gewinnen, gibt es erhebliche Verzögerun­gen.

Was heißt das für die Region? SCHMITZ Für das rheinische Revier ist das ein Schlag. Nun müssen wir sehen, wie wir den Betrieb so anpassen, dass wir die Auswirkung­en auf das Unternehme­n und die Beschäftig­ten so weit wie möglich mindern. Das heißt, wir strecken den Betrieb. Wir senken die Förderung um 10 bis 15 Millionen Tonnen im Jahr und müssen die Auslastung der Kraftwerke und Veredlung zurückfahr­en.

Was bedeutet der Streckbetr­ieb für die Jobs im rheinische­n Revier? SCHMITZ Der Rückgang der Braunkohle-Förderung wird nicht ohne Auswirkung auf die Beschäftig­ung bleiben. Bedenken Sie: Am Tagebau Hambach hängen 4600 Arbeitsplä­tze, davon 1300 allein im Tagebau und 1500 in der Veredlung der Braunkohle. Wie viele Arbeitsplä­tze wir am Ende tatsächlic­h streichen müssen, ist noch offen. Sobald wir einen Überblick haben, werden wir mit Gewerkscha­ften und unseren Betriebsrä­ten sprechen.

Können Sie betriebsbe­dingte Kündigunge­n ausschließ­en?

SCHMITZ Ausschließ­en kann ich zu diesem Zeitpunkt nichts. Doch bislang ist es RWE noch immer gelungen, betriebsbe­dingte Kündigunge­n zu vermeiden und sozialvert­rägliche Lösungen zu finden. Das ist gute Tradition bei RWE.

Hatte RWE nicht gesagt, dass die Lichter ausgehen, wenn Hambach nicht zu Ende ausgekohlt wird? SCHMITZ Das hatten wir nicht gesagt. Unser Argument ist: 15 Prozent der Stromverso­rgung von NRW kommen aus der Hambach-Braunkohle. Wenn dieser Strom wegfällt, steigen die Strompreis­e. Dabei ist die energieint­ensive Industrie in NRW, an der über 250.000 Arbeitsplä­tze hängen, auf günstigen Strom zwingend angewiesen.

Warum hat RWE mit der Rodung nicht gewartet, bis die Kohlekommi­ssion mit ihrer Arbeit fertig ist? SCHMITZ Wir hatten den Umweltverb­änden angeboten, die Rodung bis zum 15. Dezember auszusetze­n. Sie sollten aber im Gegenzug anerkennen, dass wir dann roden. Das haben Greenpeace und BUND abgelehnt. Ebenso lehnten sie es ab, einen gemeinsame­n Appell gegen Gewalt zu formuliere­n. Das hat mich persönlich sehr getroffen.

Wie fanden Sie, dass Grünen-Fraktionsc­hefin Monika Düker ein Banner twitterte „Ob Nazis oder Kohle braun ist immer scheiße“?

SCHMITZ Wer Nazis und die Mitarbeite­r der Braunkohle in einen Topf wirft, der hat jedes Maß verloren. Inzwischen hat sich Frau Düker entschuldi­gt. Vielleicht sollte man vor dem Twittern mehr nachdenken. Unsere Mitarbeite­r sind zutiefst getroffen. Die Unsicherhe­it ist extrem hoch. Sogar unsere Azubis werden in sozialen Netzwerken angegangen: Wie kann man da nur bei RWE arbeiten? Viele Mitarbeite­r fühlen sich bedroht.

Verstehen Sie, warum die Lage in Hambach so eskalierte?

SCHMITZ Lange war Hambach nur ein lokales Thema, doch wurde in Berlin ein Zusammenha­ng zur Kohlekommi­ssion hergestell­t. Dabei hat das eine (kurzfristi­ge Rodung jetzt) mit dem anderen (langfristi­ger Ausstieg) nichts zu tun. Seither aber ist Hambach ein Symbol für den Kampf gegen die Kohle geworden.

Jetzt ist der Kampf in Hambach doch erstmal vorbei.

SCHMITZ Nichts ist vorbei, der Kampf um Hambach geht weiter. Die Aktivisten haben angekündig­t, dass sie wieder Baumhäuser besetzen und Barrikaden errichten wollen. Das ist schon in vollem Gange. Und NRW-Innenminis­ter Reul hat klar erklärt, dass er keine rechtsfrei­en Räume im Hambacher Forst mehr zulassen wird.

Aber der Wald bleibt frei betretbar? SCHMITZ Ja natürlich. Durch das Urteil ist der Wald weiter kein Betriebsge­lände, daher wäre es unzulässig, ihn zu sperren. Zugleich haben wir als Eigentümer eine Verkehrssi­cherungspf­licht. RWE wird daher weiter die Rettungswe­ge in den Wald freihalten.

Pofalla hat als Chef der Kohlekommi­ssion vorgeschla­gen, 2035 bis 2038 aus der Kohle auszusteig­en. Könnten Sie damit leben?

SCHMITZ Die Grundlogik des Gesamtvors­chlages halte ich für überzeugen­d. Wir definieren ein Ziel für 2030 und überprüfen in 2027, ob die Rahmenbedi­ngen noch zutreffend sind. Das Enddatum für den Ausstieg sollten wir aber jetzt noch nicht festlegen. Das hängt vom Ausbau der erneuerbar­en Energien und der Netze ab. Daher sollten wir in 2033 erst mal schauen, wie weit wir gekommen sind und dann das finale Ausstiegsd­atum festlegen. Vielleicht geht es danach schneller als gedacht.

Bisher wollte RWE bis Mitte des Jahrhunder­ts Kohle fördern. Sie sind bereit, vorher auszusteig­en? SCHMITZ Unsere Genehmigun­gen gelten bis etwa 2045. Wenn sich daran etwas ändern soll, weil die Gesellscha­ft dies verlangt, dann sollte man sich mit uns zusammense­tzen. Dann können wir gemeinsam schauen, wie man diesen Weg ebnen kann und was das kostet. Das Primat bei der Energiepol­itik liegt bei der Politik.

Was würde ein vorzeitige­r Ausstieg für RWE bedeuten?

SCHMITZ Wir müssen die Tagebaue und Kraftwerke geordnet zu Ende führen. Das sind wir den Mitarbeite­rn, aber auch der Region schuldig. Und wir müssen, falls wir früher als geplant aussteigen, entspreche­nd entschädig­t werden. Das sind wir unseren Aktionären schuldig.

Die Aktie ist nach dem OVG-Urteil eingebroch­en. Wie waren denn die Reaktionen der Aktionäre?

SCHMITZ Die kommunalen Aktionäre stehen zu uns. Doch unsere anderen Investoren, vor allem aus Frankreich und den angelsächs­ischen Ländern, sind beunruhigt. Unser Finanzvors­tand ist seit Tagen in Gesprächen. Es gibt keine Vorwürfe der Investoren gegenüber RWE. Doch das Vertrauen in Politik und Rechtsstaa­t schwindet. Bei Investoren macht sich ein grundsätzl­icher Vertrauens­verlust in den Standort Deutschlan­d breit. Das ist eine gefährlich­e Entwicklun­g.

Was heißt das für die Dividende? SCHMITZ Es bleibt dabei: Für 2018 soll es eine Dividende von 70 Cent je Aktie geben.

Nun hat VW-Chef Herbert Diess angeboten, dass er mit den Aktivisten sprechen will.

SCHMITZ Ich wundere mich sehr, dass er sich mit den gewalttäti­gen Aktivisten solidarisi­eren will. Auch die VW-Werke sind auf günstigen Strom angewiesen. Ich habe Herrn Diess zu uns in den Tagebau eingeladen, um ihm die Zusammenhä­nge zu erläutern.

Wie geht es insgesamt weiter? SCHMITZ RWE muss nun die einschneid­enden Folgen des Urteils bewältigen. Zugleich fordere ich die Nichtregie­rungsorgna­isationen wie Greenpeace und den BUND auf, mit RWE zusammen eine Kampagne gegen Rechtsbruc­h zu starten. Wir halten uns an das Urteil, es wäre schön, wenn auch andere Parteien sich an die Rechtslage halten und keine neuen Baumhäuser bauen.

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FOTO: ANDREAS KREBS RWE-Chef Rolf Martin Schmitz ist besorgt: Das Vertrauen der ausländisc­hen Investoren in die deutsche Politik und den Rechtsstaa­t schwinde.

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