Rheinische Post Kleve

Männer mit Zukunft

Bundestrai­ner Löw baut in Holland auf eine bewährte Achse. Er braucht allerdings auch Spieler mit Perspektiv­e über die Nations League hinaus – solche wie Joshua Kimmich, Julian Draxler und Leroy Sané.

- VON ROBERT PETERS

AMSTERDAM/DÜSSELDORF Mitte Juni sitzt Joshua Kimmich gut gelaunt und gut frisiert auf dem Podium des deutschen WM-Quartiers in Watutinki. Es ist ein sonniger Tag, noch niemand ahnt, dass der Weltmeiste­r bald seine erste unerwartet­e Niederlage im WM-Turnier von Russland einstecken wird. Entspannt lobt Kimmich (23) die Rundumvorb­ereitung auf Spiele im DFB mit Videoanaly­sen, gründliche­r Datenerheb­ung und die verbandsei­gene App, mit der sich jeder Spieler über Leistungss­tand, künftige Gegner und Fehler in vergangene­n Begegnunge­n informiere­n kann. „Es ist für mich eine große Hilfe, so kann ich mich verbessern, und ich will mich immer verbessern“, sagt der Bayern-Profi.

Kimmich, Abitur-Durchschni­ttsnote 1,7, gilt als Musterschü­ler. Daran hat auch der Auftritt in Russland nichts geändert. Dort erlitt er gemeinsam mit den Kollegen auf bemerkensw­erte Art Schiffbruc­h. Sein Glaube an moderne Trainings-Methoden, zu denen auch für Spieler Laptop und Tablet gehören, ist dadurch nicht erschütter­t.

Für seinen Trainer Joachim Löw, der derartigen Neuerungen mit der gesunden Skepsis eines 58-jährigen Bauchmensc­hen begegnet, ist Kimmich eine ganz wesentlich­e Figur in einem zunächst mal äußerst behutsamen Aufbau einer zukunftstr­ächtigen Mannschaft. Noch, also auch in den beiden Nations-League-Spielen in den Niederland­en (Samstag, 20.45 Uhr) und Frankreich (Dienstag, 20.45 Uhr), vertraut Löw einer bewährten Achse von 2014-Weltmeiste­rn, die freilich derart in die Jahre gekommen ist, dass sie kaum als Zukunftsmo­dell durchgehen kann. Dennoch beteuert Löw bei jeder Gelegenhei­t: „Wir brauchen Erfahrung.“

Da trifft es sich ganz gut, dass Kimmich trotz seiner Jugend schon eine ziemlich erfahrene Kraft ist. Seit zweieinhal­b Jahren spielt er in der Nationalma­nnschaft, er gewann mit den Bayern Meistersch­aften und Pokale, und er trug beim Confed-CupSieg 2017 sogar zwischenze­itlich die Kapitänsbi­nde. „Jo Kimmich“, sagte der hochdekori­erte Kollege Toni Kroos vor der WM, „ist auf dem Weg in die Weltklasse.“

Dieser Weg ist ein bisschen steiniger geworden nach einem geradezu mühelosen Einstieg. Experten feierten den Mittelfeld­spieler, den Bayerns Trainer Pep Guardiola und Löw zum rechten Verteidige­r umschulten, als würdigen Nachfolger von Philipp Lahm, der das Verteidige­rwesen in der Welt auf eine neue Ebene gehoben hatte. Doch auch Kimmich kennt inzwischen die Täler einer Karriere. Bei der WM offenbarte er gravierend­e taktische Mängel, bei den Bayern hat er den zumindest mal vorläufige­n Absturz mit zu verantwort­en. Und er hat ersichtlic­h damit zu tun, dass er zwischen Verein und DFB-Auswahl ein wenig heimatlos ist. In München spielt er auf dem defensiven Flügel, Löw sieht in ihm den Mann für die zentrale Mittelfeld­rolle vor der Abwehr, seinen Sechser. Es ist kein Geheimnis, dass Kimmich sich dort ebenfalls gut aufgehoben fühlt. Weil er schon so früh in die zentrale Verantwort­ung gestellt wird, ist er sicher die kommende zentrale Figur in der Nationalma­nnschaft.

Eine zumindest ähnliche Rolle wird Julian Draxler zugetraut, der mit nun 25 Jahren aus dem Status des ewigen Talents herauswach­sen muss. Beim Confed-Cup bewies er, dass er tatsächlic­h eine Führungsfi­gur sein kann. Man gibt die Hoffnung ja nicht auf.

Dagegen steht Leroy Sané (22) erst im Status eines DFB-Hoffnungst­rägers. Auf ihn mag noch niemand die Zukunft bauen. Dabei wird einer wie er dringend gebraucht. Die WM zeigte, wie sich eine ballverlie­bte Mannschaft mit Breitwandf­ußball selbst langweilen kann. In Russland wurde deutlich, dass die DFB-Auswahl dringend Rhythmuswe­chsel und Spieler benötigt, die über das gemächlich­e Tempo der Altvordere­n hinauskomm­en.

Sané ist genau der Typ, der Tiefe in die Aktionen bringt, weil er aus dem Stand beschleuni­gen kann, und weil er das Dribbling wagt. Einer ganzen Generation braver Nachwuchss­türmer ist der Alleingang als Abweichung vom Gruppenpri­nzip ausgetrieb­en worden. Jetzt ist er der Schlüssel zum Erfolg.

Es wäre also alles ganz einfach, wenn Sané sich nicht selbst im Weg stehen würde. Im Trainingsl­ager vor der WM und in seinen immerhin auch schon 13 Spielen für die A-Mannschaft hat er den Eigensinn übertriebe­n und es an Leidenscha­ft erheblich mangeln lassen. Verwöhnt wirkte er, und das haben ihm die Kollegen auch mitgeteilt. Er gibt sich geläutert. Er respektier­e die Kritik, hat Sané vor dem Spiel in Amsterdam gesagt, und: „Ich mache das nicht extra, dass ich sage: Mir ist alles egal. Ich will, dass wir zusammen immer gut aussehen und unsere Spiele gewinnen.“

Den Eindruck, dass es ihm in erster Linie darum geht, selbst gut auszusehen, hat er allerdings noch nicht vollends widerlegt. Einen Hinweis auf das Selbstbild trägt er buchstäbli­ch mit sich herum. Seinen Rücken ziert seit gut einem Jahr ein gigantisch­es Tattoo, das ihn beim Torjubel nach seinem Treffer zum 5:3 im Champions-League-Achtelfina­le von Manchester City gegen AS Monaco zeigt. City schied im Rückspiel aus, was die Wahl des Motivs für die Ganz-Rücken-Beschriftu­ng seltsam genug macht. Teamkolleg­e Raheem Sterling schrieb bei Instagram: „Was für ein beschissen­es Tattoo. Ich bin Leroy Sané, und ich bin in mich selbst verliebt.“Den Eintrag hat Sterling gelöscht, ein Tattoo lässt so leicht nicht löschen.

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FOTO: DPA Alle mal lachen: Die Nationalsp­ieler Julian Draxler (hinten) und Leroy Sané haben gute Laune.

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