Rheinische Post Kleve

Der Maschinenb­au hat ein Problem

Die deutsche Paradebran­che verliert ihre Ausnahmest­ellung, obwohl die Maschinen-Hersteller schneller digitalisi­eren als andere Unternehme­n.

- VON MARTIN KESSLER

Deutschlan­d gilt als Industrie-Ausrüster der Welt. Wohl kaum eine Branche ist auf den globalen Märkten so erfolgreic­h wie die deutschen Hersteller von Maschinen und Anlagen. Konzerne wie Siemens, Bosch oder Kion (früher Linde), aber auch mittelstän­dische Unternehme­n wie Voith, Trumpf oder der Düsseldorf­er Stahlwerks­bauer SMS sind weltweit ein Symbol für Präzision, Effizienz und Hochtechno­logie. Acht von zehn Euro verdient der Maschinenb­au im Ausland. Zugleich gibt die Branche mehr als 1,3 Millionen Menschen Arbeit und überragt mit einer Umsatzrend­ite von acht Prozent viele andere Wirtschaft­szweige.

Alles gut, möchte man meinen. Doch der Vorzeigebr­anche droht Ungemach. Denn in der jüngsten, noch unveröffen­tlichten Branchenst­udie des Mannheimer Zentrums für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung (ZEW ) und des Karlsruher Fraunhofer-Instituts für System- und Innovation­sforschung (ISI), die unserer Redaktion vorliegt, kommen die Forscher zu einem, wie sie selbst sagen, „erstaunlic­hen Ergebnis“. Die Produktivi­tät im Maschinenb­au, das also, was pro Arbeitsstu­nde produziert wird, hat noch immer nicht das Niveau vor der Wirtschaft­skrise von 2009 erreicht. Seit 2011 ist sie sogar zurückgega­ngen. Dabei seien Produktivi­tätsgewinn­e, so Ralph Wiechers, Chefvolksw­irt des Verbands des Deutschen Maschinen- und Anlagebaus (VDMA), „eine wesentlich­e Stellschra­ube für nachhaltig­en Erfolg, für Wettbewerb­sfähigkeit, für zukünftige Arbeitsplä­tze, Wachstum und Erträge“. Tatsächlic­h lag die Produktivi­tät im Jahr 2015, dem letzten Jahr der Datenerheb­ung der Institute, um zehn Prozent unter dem deutschen Industried­urchschnit­t. Noch im Jahr 2000 überragte der Maschinenb­au die Restindust­rie um 23 Prozent.

Auch gegenüber der Konkurrenz im Ausland fielen die deutschen Hersteller zurück. So dominierte­n Siemens, Bosch, Voith und Co. die internatio­nalen Wettbewerb­er bis 2005 nach Belieben. Danach überholten aber Länder wie die Niederland­e, Schweden und Österreich die deutschen Unternehme­n. Auch in den USA, Frankreich und Japan hat sich die Produktivi­tät deutlich günstiger entwickelt als in der Bundesrepu­blik. Ein Befund, der den Verantwort­lichen zusetzt. „Es besteht Handlungsb­edarf – in den Maschinenb­auunterneh­men wie im VDMA“, hat Chefökonom Wiechers erkannt. Denn trotz aller guten Wirtschaft­sdaten ist es zuallerers­t die Produktivi­tät, die Auskunft über die wirkliche Lage eines Wirtschaft­szweiges gibt. Die Forscher des ZEW und des ISI-Instituts sprechen folgericht­ig von einem „Paradoxon zwischen Produktivi­tätsschwäc­he auf der einen Seite und beeindruck­ender wirtschaft­lichen Performanc­e bei vielen anderen Kennzahlen auf der anderen Seite“.

Dabei hat der Maschinenb­au technologi­sch eigentlich alles richtig gemacht. Die Experten der Studie bescheinig­en der Branche, dass sie ein „Vorreiter der digitalen Transforma­tion hin zu Industrie 4.0“sei. Darunter wird die vierte industriel­le Revolution verstanden, die den Produktion­sprozess mit der modernen Informatio­ns- und Kommunikat­ionstechni­k sowie der künstliche­n Intelligen­z verzahnt. Insbesonde­re bei der breit angelegten Digitalisi­erung und der Umstellung auf die vollautoma­tisierte Fabrik sehen die Forscher die deutschen Maschinenb­auunterneh­men vorn. Offenbar schlägt das überhaupt nicht an. „Die rasche Verbreitun­g einer umfassende­n, intensiven Digitalisi­erung der Produktion des Maschinenb­aus trägt aktuell nicht zu Produktivi­tätsgewinn­en bei“, schreiben die Autoren der Studie. Auch die neuesten Konzepte der digitalen Fabrik führen laut ZEW und ISI-Institut nur zu geringen Effizienzs­teigerunge­n.

Für die Branche ist es ein schwacher Trost, dass das Produktivi­tätsparado­x Ralph Wiechers VDMA-Chefvolksw­irt Die Studie

Die Produktivi­tätsstudie für den Maschinenb­au wurde vom Zentrum für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung (ZEW) in Mannheim und dem Fraunhofer-Institut für System- und Innovation­sforschung (ISI) in Karlsruhe im Auftrag des Branchenve­rbands VDMA erstellt.

Produktivi­tät

Als Maß für die Arbeitspro­duktivität nahmen die Experten die Bruttowert­schöpfung der einzelnen Unternehme­n, wobei sie mehr als 3000 Fälle untersucht­en. Die Bruttowert­schöpfung ergibt sich aus dem bereinigte­n Umsatz (Bruttoprod­uktionswer­t) minus den Vorleistun­gen, die ein Unternehme­n bezieht. Die wird dann zu den Beschäftig­ungsstunde­n in Beziehung gesetzt. Es ergibt sich daraus die Bruttowert­schöpfung pro Beschäftig­ungsstunde, ein gängiges Maß in der Produktivi­tätsforsch­ung. offenbar ein Merkmal der Digitalisi­erung insgesamt ist. Schon der US-Wachstumsö­konom und Nobelpreis­träger Robert Solow hatte 1987 auf das scheinbar verrückte Problem hingewiese­n, dass trotz hoher Investitio­nen der Unternehme­n in Computer das neue Zeitalter überall, „nur nicht in der Produktivi­tätsstatis­tik zu sehen ist“. So gingen in allen industrial­isierten Ländern und selbst in Aufstiegsn­ationen wie China trotz Digitalisi­erung die Produktivi­tätsgewinn­e über die Zeit zurück. Auch wenn Solows Aussage infrage gestellt wurde, so hat erst in jüngerer Zeit eine Gruppe um den Wachstumsf­orscher am Massachuss­etts Institute of Technology (MIT), Daron Acemoglu, nachgewies­en, dass Unternehme­n, die massiv auf Informatio­nstechnolo­gie setzen, ihre Produktivi­tät nur bescheiden steigern können. Blüht dieses Schicksal auch dem deutschen Maschinenb­au?

Für die Forscher der Studie prägen die Produkte des deutschen Maschinenb­aus weiterhin „die internatio­nale Wahrnehmun­g Deutschlan­ds als innovative­s, technikori­entiertes Land mit hoher Ingenieurs­kunst“. Als Trostpflas­ter für die Branche halten sie bereit, dass sich die Digitalisi­erung im Maschinenb­au „noch in der Investitio­nsphase befindet“. Die Anfangsinv­estitionen, so auch VDMA-Chefvolksw­irt Wiechers, zahlten sich eben „erst später aus“. Dazu seien „gezielte strategisc­he Investitio­nen in Technologi­e, die Entwicklun­g neuer Geschäftsm­odelle sowie branchenüb­ergreifend­e Kooperatio­nen“notwendig. Auch die Politik sei in der Pflicht, „eine gute Infrastruk­tur und flächendec­kenden Zugang zu schnellem Internet zu gewährleis­ten“.

Das mag zutreffen. Aber eine alleinige Garantie für Erfolg ist die schnelle Digitalisi­erung offenbar nicht. Ökonomisch­e Prozesse verlaufen vermutlich komplizier­ter, als sich das viele Industries­trategen vorstellen. Derweil bleibt die Produktivi­tätsschwäc­he des Maschinenb­aus ein ernstes Problem. Ein Paradox, das Unternehme­r, Forscher und Politiker noch lange beschäftig­en dürfte.

„Anfangsinv­estitionen zahlen sich eben erst später aus“

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