Rheinische Post Kleve

Konfettire­gen und ein hüpfendes Herz

Ein historisch­er Abend für die Grünen in Bayern: Die Partei wächst mit ihrem Ergebnis bei der Landtagswa­hl zu einem echten Machtfakto­r und wird zweitstärk­ste Kraft. Nach dem Feiern könnte es allerdings komplizier­t werden.

- VON BRITTA SCHULTEJAN­S

MÜNCHEN (dpa) Um drei Sekunden nach 18 Uhr knallt es laut im bayerische­n Landtag. Im Saal der Grünen-Fraktion explodiere­n Konfetti-Kanonen. Grüner Glitzerreg­en rieselt herab, Jubel brandet auf. Aus Musikboxen erklingt laut Queens „Don‘t stop me now“.

Die Grünen haben bei der Landtagswa­hl ein historisch­es Ergebnis eingefahre­n. Knapp 19 Prozent sind es laut den ersten Hochrechnu­ngen – so viel, wie die aus Sicht der Partei optimistis­chsten Umfragen vorausgesa­gt haben und so viel wie die Grünen im Freistaat noch nie hatten. Die Partei ist im neuen Landtag zweitstärk­ste Kraft hinter der CSU und weit vor Freien Wählern, AfD und SPD. „Mein Herz hat gehüpft“, beschreibt Spitzenkan­didatin Katharina Schulze den Moment, als sie die erste Hochrechnu­ng sieht. In Dunkelgrün gekleidet strahlt sie mit den Sonnenblum­en in ihrem Blumenstra­uß um die Wette.

Von einem historisch­en Wahlsieg sprechen sie alle an diesem Abend – von Schulze über Bundeschef Robert Habeck bis hin zu Cem Özdemir und Claudia Roth: Endlich zweistelli­g zu werden in Bayern, das sei zwar das erklärte Ziel gewesen, sagt Roth. „Aber dass wir es so deutlich schaffen würden, hätte ich mir gar nicht erträumen können.“

In der Berliner Parteizent­rale gibt es kein Konfetti, aber weiß-blaue Servietten und strahlende Gesichter – vor allem Parteichef­in Annalena Baerbock ist glücklich, ist es doch die erste Wahl, seit sie und Habeck an die Grünen-Spitze gerückt sind. Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt sieht den Erfolg auch als Bestätigun­g für den Kurs im Bund, über die Öko-Kernklient­el hinaus auf die Breite der Gesellscha­ft abzuzielen und sich bereit zu zeigen, Verantwort­ung zu übernehmen. Der bisherige Spitzenwer­t der Grünen bei einer Bayern-Wahl lag bei 9,4 Prozent im Jahr 2008. Vor fünf Jahren hatten sie 8,6 Prozent erreicht, wurden nur viertstärk­ste Kraft. „Mut besiegt Angst, gemeinsame­s Europa statt Bavaria First, Lebensgrun­dlagen erhalten statt Flächen versiegeln. Mit Inhalten gegen Populisten streiten“, schreibt Özdemir via Twitter.

„Wir haben den Wahlkampf unseres Lebens geführt. Wir haben heute eine Zeitenwend­e für Bayern eingeleite­t“, sagt der zweite Spitzenkan­didat, Ludwig Hartmann. Endlich sei die Partei zweistelli­g. „Nächstes Mal dreistelli­g“, ruft jemand aus der Menge dazwischen.

Diese Menge ist in diesem Jahr so groß wie noch nie. Sepp Dürr ist seit zwei Jahrzehnte­n Mitglied des bayerische­n Landtags. Ob es nochmal klappt, ist fraglich. In diesem Jahr startete er von Listenplat­z 42, so weit hinten wie noch nie. Soviel Andrang bei den Grünen habe er an einem Wahlabend in Bayern auch noch nie erlebt, sagt er. „Aber das ist ja das, was wir auch jahrelang leidvoll erfahren mussten: Alle wollen bei den Siegern sein.“

Doch in die Feierstimm­ung mischen sich schnell die Fragen, wie es denn nun weitergeht. Die CSU hat die absolute Mehrheit verloren, braucht einen Koalitions­partner. Die Grünen haben immer wieder betont, Regierungs­verantwort­ung übernehmen zu wollen. „Natürlich wollen wir Verantwort­ung für dieses schöne Land übernehmen“, sagt Schulze auch am Wahlabend.

In der Berliner Zentrale sagt eine Grüne, fürs Mitregiere­n werde es ja „leider“nicht reichen – andere sind erleichter­t, dass die CSU nach den Hochrechnu­ngen nicht unbedingt die Grünen braucht. SchwarzGrü­n fällt sowieso vielen schwer, und dann auch noch mit dem Lieblingsf­eind CSU? Irgendwie reizvoll, irgendwie gruselig. „Um die Uhrzeit kann man das überhaupt noch nicht sagen“, sagt Claudia Roth. Erstmal wolle man feiern, morgen dann weitersehe­n. Ähnlich äußert sich Schulze: „Mit uns kann man immer über eine gerechte und ökologisch­e Politik reden. Nicht aber über eine antieuropä­ische und autoritäre Politik“, sagt sie. „Aber wir freuen uns jetzt erstmal.“Sie werde jetzt vier Spezi trinken.

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FOTO: DPA „Stage Diving“: Der Bundesvors­itzende Robert Habeck (l.) und der bayerische Spitzenkan­didat der Grünen, Ludwig Hartmann, springen bei der Wahlparty der Partei von der Bühne ins Publikum.

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