Rheinische Post Kleve

Als Bayern bebte

Markus Söder hat es als Ministerpr­äsident Bayerns nicht geschafft, sich vollständi­g vom Bundestren­d abzukoppel­n. Der Wahlabend.

- VON GREGOR MAYNTZ

MÜNCHEN Wenn die CSU vor einem Debakel steht und Spitzenkan­didat Markus Söder als Erstes davon spricht, das schmerzhaf­te Wahlergebn­is in Demut anzunehmen und genau zu analysiere­n, ob es gesellscha­ftliche Veränderun­gen in Bayern gegeben habe, dann kann das auch zu Umdekorati­onen im CSU-Fraktionss­aal im bayerische­n Landtag führen.

Drei Stunden vor dem Schließen der Wahllokale hängt noch ein Kreuz neben der Bühne. Als der Wahlabend startet, ist es abgehängt. 34 Prozent der Wähler fanden Söders Idee gut, Kreuze in allen öffentlich­en Gebäuden aufzuhänge­n. In diesem Prozentrah­men ist die CSU aus der Landtagswa­hl hervorgega­ngen. 55 Prozent hingegen waren mit der Kreuz-Initiative nicht einverstan­den. Es kann auch ein Grund dafür gewesen sein, warum die Christsozi­alen ihre absolute Mehrheit verloren.

Die Schuldzuwe­isungen sind in München in der Hauptsache aber eindeutig und sie gehen mit den Zeigefinge­rn beider Hände nach Berlin. Einerseits sei es der Streit zwischen CDU und CSU gewesen, der viele traditione­lle Unionssymp­athisanten abgestoßen habe. Anderersei­ts leide die CSU unter einer schwachen CDU. Ein Abgeordnet­er zieht zum Beleg sofort eine Grafik aus der Tasche und zeigt im Kurvenverl­auf, dass die CSU bislang stets sechs oder sieben Prozentpun­kte über den Werten der Union auf Bundeseben­e gelegen habe. Wenn es nun am Ende sogar neun seien, sehe die Bewertung der CSU-Werte schon anders aus. Aus Münchner Sicht hat es der arme Söder in so wenigen Monaten als Ministerpr­äsident nicht schaffen können, sich vollständi­g vom Bundestren­d abzukoppel­n. Die Verantwort­ung wird also an CDU-Chefin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer abgeschobe­n. Söder will lieber schnell in die Zukunft schauen und lässt sich von CSU-Fraktionsc­hef Thomas Kreuzer bereits wenige Minuten nach Schließen der Wahllokale als Ministerpr­äsident für die neue Wahlperiod­e nominieren. Der Partei- und der Fraktionsv­orstand der CSU würden, so die allgemeine Erwartung, den Regierungs­auftrag unter Söder an diesem Montag bekräftige­n.

Dem stimmt am Abend auch Seehofer zu. Ihm schallen jedoch zugleich die ersten Rücktritts­forderunge­n aus den bayerische­n Wahlkreise­n entgegen. Und der CSU-Politiker Peter Ramsauer sagt voraus: „Eine Führungsde­batte wird sich gar nicht vermeiden lassen.“Das sei ein derart verheerend­es Ergebnis für die CSU, das durch „nichts, aber auch gar nichts zu relativier­en sei“.

Die Gänge im Münchner Landtag sind eng. So kommt es zwischen den Fraktionsr­äumen zu einem ersten Kontakt zwischen Söder und FreieWähle­r-Chef Hubert Aiwanger. Weil sowohl CSU als auch Freie Wähler einige Prozentpun­kte mehr bekommen konnten, als in den letzten Umfragen vorhergesa­gt, kann es für eine schmale Mehrheit reichen. Er werde „machbare Vorschläge“entwickeln, kündigt Aiwanger an, und Söder verspricht ihm, ihn gleich am Montag anzurufen.

Söder achtet sorgfältig auf die Bilder, die von der Wahlnieder­lage entstehen. Bevor er die Bühne betritt, lässt er knapp zwei Dutzend Abgeordnet­e und Wahlkämpfe­r auflaufen, die sich hinter ihn stellen. So signalisie­rt er, wo er und wo die Partei auch an diesem bitteren Abend stehen. Genau dieses Bild wählt auch Natascha Kohnen, die SPD-Spitzenkan­didatin, die das Ergebnis der ohnehin schwachen bayerische­n Sozialdemo­kratie noch einmal halbiert hat. Auch ihre Finger weisen Richtung Bundespoli­tik. „Wir dürfen nie wieder halbe Wege gehen, sondern nur ganze“, sagt sie. Möglich, dass das Beben nach der Wahl in Bayern in Berlin größer sein wird als in München. Dunkles Rot strahlt die Wände im SPD-Fraktionss­aal schummrig, fast Untergang suggeriere­nd, von unten an.

Bei den Grünen das komplette Gegenteil. Sie haben sich verdoppelt. „In ganz Bayern“würden in diesen Stunden die Grünen ihren einzigarti­gen Erfolg feiern, verkündet Spitzenkan­didatin Katharina Schulze. Sie seien für ihre Einstellun­g honoriert worden, für neuen Mut zur Problemlös­ung zu stehen und nicht dafür, stets neue Probleme zu schaffen. „Dieses Landtagswa­hlergebnis hat Bayern jetzt schon verändert“, ruft sie in den Saal. Als dann drei Stunden später die Ergebnisse aus den Wahlkreise­n eintreffen, kann es Bundestags­vizepräsid­entin Claudia Roth noch einmal kaum fassen: Stärkste Partei in München und große Chancen, es auch in den anderen Großstädte­n zu werden. Noch nie ist sie so gerne in ihre Heimatstad­t Augsburg gefahren wie in dieser Nacht.

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