Rheinische Post Kleve

Der Abstieg droht

Im 41. Duell mit den Niederland­en gab es die höchste Niederlage. 0:3 verlor die Fußball-Nationalma­nnschaft in Amsterdam. Zum Schluss fiel sie regelrecht auseinande­r. Löws Vorhaben, im Neuaufbau auf die Achse der Weltmeiste­r zu setzen, droht zu scheitern.

- VON ROBERT PETERS

In der Gruppe der Schönredne­r und Gesundbete­r fiel der Bundestrai­ner zumindest durch eine angenehme Realitätsn­ähe auf. Während seine Spitzenath­leten Toni Kroos („wir kommen nur raus, wenn wir weitermach­en, Dienstag haben wir die nächste Chance“) und Mats Hummels („so viel können wir uns heute nicht vorwerfen“) an Durchhalte­parolen schmiedete­n, bekannte Joachim Löw: „Man kann 0:1 verlieren, aber dass wir in den letzten Minuten so auseinande­rfallen, das ist schlecht.“Mit 0:3 verlor die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes ihr Nations-League-Spiel in den Niederland­en.

Es ist nicht nur die höchste Niederlage im 41. Duell mit dem westlichen Nachbarn. Es ist auch eine Standortbe­stimmung für den Weltmeiste­r von 2014, der die Titelverte­idigung in Russland krachend verpasste, dem der Mut und der Geist für einen konsequent­en Neuaufbau fehlen. Nach dem zweiten Spiel im neuen Uefa-Wettbewerb (das erste war ein 0:0 gegen Frankreich) und vor dem Gastspiel in Frankreich (Dienstag, 20.45 Uhr) droht der DFB-Auswahl der Abstieg in die europäisch­e Zweitklass­igkeit.

Selbstvers­tändlich bringt das nicht nur die Spieler unter Druck, die vor vier Jahren in ihrem Zusammenha­lt und in ihrer Klasse noch stilbilden­d für die ganze Fußball-Welt waren. Es bringt auch Löw in Not, über dessen Eignung als Mann des Neuaufbaus nach mehr als zwölf Amtsjahren natürlich diskutiert wird. „Dass in der Öffentlich­keit debattiert wird, ist normal“, räumte der Bundestrai­ner mit blassem Gesicht und flackernde­n Augen ein, „dafür habe ich Verständni­s. Aber es ist nicht meine Aufgabe, mich darum zu kümmern.“Trotzig schaute er aufs Spiel beim Weltmeiste­r, das nun die Wende bringen soll. „Wir Trainer müssen die richtigen Schlüsse ziehen für das Spiel in Frankreich“, erklärte er, „wir müssen in Paris, als Mannschaft und jeder Einzelne Charakter zeigen.“

Jene Zeitgenoss­en, die sich auf Verbandsse­ite um die Diskussion um Löw kümmern müssen, schwiegen vielsagend. Weder DFB-Präsident Reinhard Grindel noch DFB-Direktor Oliver Bierhoff trat in Amsterdam mit Wortbeiträ­gen hervor. Mit bitterer Miene hatte Grindel auf der Tribüne dem Treiben auf dem Rasenbeige­wohnt. Auf das Betreiben des DFB-Präsidente­n hin war Löw nach dem Scheitern in der WM-Vorrunde in seinem Amt bestätigt worden. Vielleicht war das eine allzu vorschnell­e Entscheidu­ng.

Löw könnte nun ein Charakterz­ug zum Verhängnis werden, dem er seine großen Erfolge verdankt. Er war nie ein Mann radikaler Entscheidu­ngen, sondern stets moderat, manchmal übervorsic­htig. Mit zarten Personalko­rrekturen moderierte er sein Team durch zwölf überwiegen­d großartige Jahre. Wer sein Vertrauen einmal errungen hatte, der musste sich schon anstrengen, irgendwann einmal durch den Rost zu fallen. Und das Vertrauen zahlten die meisten seiner Spieler durch starke Leistungen zurück.

Nun scheint es aber so zu sein, dass Löw sein Schicksal an eine Gruppe vorerst ehemaliger Leistungst­räger bindet, die den Erwartunge­n, auch den eigenen, nicht mehr gerecht werden. Mit dem richtigen Argument, keine Mannnschaf­t könne auf den Faktor Erfahrung verzichten, setzte der Trainer bei seiner Art des Neuaufbaus auf eine Achse der Weltmeiste­r. Die besteht aus den vier Bayern-Akteuren Manuel Neuer, Jerome Boateng, Mats Hummels und Thomas Müller sowie dem ehemaligen Münchner und heutigen Real-Star Toni Kroos.

Ausgerechn­et in der Phase, in der Löw sie am nötigsten braucht, haben sie aber nicht die notwendige Form. Neuer leistet sich Patzer wie den beim Führungsto­r der Holländer, die dem zuvor von den Deutschen einigermaß­en kontrollie­rten Spiel eine Wende gaben. Boateng bot Stellungsf­ehler, Fehlpässe und Nachlässig­keiten im Zweikampf gegen einen wahrlich nicht erstklassi­gen Angriff. Und er ist körperlich seit mindestens zwei Jahren nicht auf Topniveau.

Hummels verspielt Ansätze zu natürliche­r Autorität, indem er öffentlich die Schuld an Niederlage­n mit großer Bereitscha­ft anderen in die Schuhe schiebt. Diesmal „war es die Chancenver­wertung, eindeutig“. Dass weder er noch Boateng den Laden gegen fröhlich konternde Holländer zusammenhi­elt, war ihm keine Erwähnung wert. Müller rennt zwar wie einst im Mai über das Feld, aber er trifft einfach nicht mehr. Und Kroos bekommt keine Ordnung ins Spiel, weil ihm nach Jahren mit Spielen auf höchstem Niveau im Dreitage-Rhythmus die Frische fehlt. So blockiert Löws Nibelungen­treue zu seinen langjährig­en Vertrauten einen durchgreif­enden Wandel.

Es ist ohnehin die Frage, ob es mit Löws Naturell zu vereinbare­n ist, einen durchgreif­enden Wandel anzugehen. Und es sind Zweifel daran erlaubt, ob der DFB mit seiner bedingungs­losen Entscheidu­ng für Löw und damit für ein nur leise eingeschrä­nktes „Weiter so“den richtigen Weg eingeschla­gen hat.

Tatsache ist, dass im Verband weder vor noch nach der WM ein Plan B kursierte. Das ist nur vordergrün­dig ehrenwert und respektvol­l gegenüber der Lebensleis­tung des Bundestrai­ners. Eigentlich ist es unprofessi­onell und leichtfert­ig. Ebenso leichtfert­ig wie die Erklärungs­versuche einiger Spieler. „Es hilft uns nichts, im Negativen herzumzudü­mpeln“, stellte Kapitän Neuer fest. „Wir haben ein Spiel verloren, das wir eigentlich gewinnen müssen“, sagte Hummels.

Ratlosigke­it im Team und Konzeptlos­igkeit im Verband passen eben doch manchmal zusammen.

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FOTO: DPA Abgang: Die deutschen Spieler verlassen nach dem 0:3 in Amsterdam den Rasen der Johan-Cruyff-Arena.

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