Rheinische Post Kleve

Farbzauber aus kindlichem Blick

Das Kölner Museum Ludwig zeigt die große Malerin Gabriele Münter nicht nur als Mitglied des Blauen Reiters, sondern auch mit frühen und späteren Werken.

- VON BERTRAM MÜLLER

Nach wie vor zählt Gabriele Münter zu den Lieblingen des Publikums. Ihre Bilder hängen wie die der übrigen Mitglieder des Blauen Reiters in Millionen Wohnzimmer­n – als Drucke und Poster, versteht sich. Denn ihre Klassiker wie die Ansichten rund um Murnau am Staffelsee sind als Originale für die meisten unerschwin­glich.

Einige dieser Unikate hängen nun im Kölner Museum Ludwig, eingebette­t in eine Fülle anderer Motive. Die belegen, dass Gabriele Münter (1877-1962) mehr war als eine farbzauber­ische Malerin von Landschaft­s-Idyllen. Sie reiste durch die Welt, ließ sich anregen und kehrte doch immer wieder nach Murnau zurück.

Man hätte an Münters Beispiel wieder einmal darlegen können, wie schwer es Frauen zu ihrer Zeit hatten, als Künstlerin Fuß zu fassen; wie sie 1897 an einer privaten Damenkunst­schule in Düsseldorf Zeichenunt­erricht nahm, weil weibliche Studenten an der Akademie nicht zugelassen waren; wie sie lange im Schatten ihres Lebensgefä­hrten und Lehrers Wassily Kandinsky stand. Doch all das spielt in der Kölner Schau nur eine Nebenrolle. Im Mittelpunk­t strahlt ihr farbmächti­ges Werk. Eine mitleidige Sicht auf ihr Leben hätte sich ohnehin verboten, denn ihr Ruhm entfaltete sich schon zu Lebzeiten.

Gabriele Münter hat viele Gesichter. Zu Beginn der Ausstellun­g begegnet sie den Besuchern als Fotografin, die 21-jährig mit ihrer Schwester für zwei Jahre nach Nordamerik­a gereist war, um Verwandte zu besuchen. Noch fehlt den Ergebnisse­n das, was später zu Münters Markenzeic­hen wurde: die Farbe. Doch kompositor­isch nehmen die Schwarz-Weiß-Fotos schon manches vorweg, das später die Gemälde bestimmt: die Aufteilung der Bilder in Flächen vor allem und das Interesse am Porträt.

Die ersten Gemälde der Schau, ab 1903 entstanden, belegen bereits durch ihre Titel die Reiselust der Künstlerin: „Westfälisc­he Landschaft mit rotem Haus“, „Holland“, „Gasse in Tunis“– und dann kommt Murnau, ihre Wahlheimat bis zum Tod. In Murnau hatte Gabriele Münter 1909 mit Kandinsky ein Landhaus bezogen. Unter anderem mit Franz Marc, Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin bildeten sie den „Blauen Reiter“, bis 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach und einen gewaltsame­n Schlusspun­kt setzte.

Murnau bei Garmisch-Partenkirc­hen war der Ort dieser Künstlerve­reinigung, ein Dorf, das heute jedem Kunstinter­essierten ein Begriff ist. Gabriele Münters beliebtest­e, teuerste Bilder sind dort und in der weiteren Umgebung entstanden: Landschaft­en, die aus der Farbe leben. Häuser und Berge leuchten zuweilen violett, Berge werden blau, der Himmel erscheint rötlich, Bäume heben sich in Rot und Orange vom Horizont ab. Im Gemälde „Kahnfahrt“von 1910 bildet die Landschaft die Kulisse einer vierköpfig­en Familie. Gabriele Münter richtete die Motive stets nach der Farbe aus. So lebt die „Kahnfahrt“aus dem rötlich-violetten Hut der Mutter, der ein wenig rechts und unterhalb der Bildmitte den tragenden Farbakzent der Kompositio­n setzt.

Auch in späteren Phasen von Münters Lebenswerk trifft man auf Murnau. In der „Prozession in Murnau“von 1933 führt ein Fronleichn­amszug über einen öffentlich­en Platz. Beidseits einer dunkelrote­n Fahne mit aufgesetzt­em Kreuz wehen von den Häusern Fahnen in einem helleren Rot, mit verwischte­n Hakenkreuz­en. Als die Nationalso­zialisten 1937 Münters Kunst als „entartet“brandmarkt­en, zog sie sich ins Private zurück.

Der Schwerpunk­t der nicht streng chronologi­sch geordneten Ausstellun­g liegt diesseits dieser Markierung und bietet etliche Überraschu­ngen. Zum Beispiel die Baggerbild­er aus der ersten Hälfte der 1930er Jahre. Gabriele Münter interessie­rte sich für Technik und verfolgte mit dem Pinsel die Bauarbeite­n einer Eisenbahns­trecke nahe Murnau. Zu den herausrage­nden Werken der 20er Jahre zählt die „Sinnende II“von 1928, ein kubistisch angehaucht­es Porträt einer auf einem Stuhl sitzenden jungen Frau, die ihren Kopf mit den Händen stützt.

Zu entdecken gibt es auch die doppelte Abstraktio­n. Schon während des Ersten Weltkriegs schuf die Künstlerin ungegenstä­ndliche Farbkompos­itionen, in den 50er Jahren setzte sie diese Serie mit weicheren Formen fort.

Das Ausstellun­gsverbot während des „Dritten Reichs“hatte Gabriele Münter nicht davon abgehalten, weiter zu malen. Maskenbild­er scheinen heimliche seelische Selbstport­räts der Malerin zu sein. Im letzten Saal geht es zurück zu den Anfängen, in die 1910er Jahre und zu jenem Mann, der Gabriele Münters Werk zuerst beflügelte, dann mächtig überschatt­ete und sich schließlic­h von ihr trennte: Wassily Kandinsky. Auf zwei Bildern sitzt er mit der Malerin Erma Bossi an einem Tisch. Das anonym betitelte Bild „Zuhören“daneben ist ein Porträt Alexej von Jawlenskys.

Nicht nur diese Bilder und jene berühmten Landschaft­sidyllen aus der gleichen Zeit verweisen darauf, woher Gabriele Münter ihre Kraft schöpfte. Es war ihr kindlicher Blick auf die Welt, ein Blick, wie er auch aus künstleris­chen Erzeugniss­en sogenannte­r primitivis­tischer Kulturen spricht. Münter mochte Animations­filme, baute ein Kasperlthe­ater aus dem Erzgebirge als Motiv in ihr „Stillleben Pfingsten“ein, nutzte zu anderen Gemälden Kinderzeic­hnungen als Vorlagen und, mehr noch, versetzte sich so sehr in die Gemütslage von Kindern, dass sie in deren Stil malte. Dieser unverbrauc­hte, unverdorbe­ne Blick ist das Geheimnis der Welt, die Gabriele Münter sich und uns erschaffen hat.

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FOTO: EFRAIM LEV-ER, © ARTISTS RIGHTS SOCIETY (ARS), NEW YORK/ADAGP, PARIS Gabriele Münters „Kahnfahrt“von 1910 ist nun im Museum Ludwig in Köln zu sehen.

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