Rheinische Post Kleve

Pfaffs Hof

- Von Hiltrud Leenders

Mutter weinte wieder viel wegen Peter. Sie wollte, dass er nach Hause kam und Vater sich mit ihm versöhnte. Vater wurde wieder taubstumm. Da war es schon gut, dass es Herrn Möllenbrin­k gab, der auf Mutters Seite war und Vater ins Gewissen reden konnte, damit der nicht gewann.

An einem Abend kam Vater aus dem Dienst nach Hause. „Ich weiß jetzt, wo er stationier­t ist.“

„Wer?“, fragte ich. „Peter?“Der war ja beim Militär.

Vater beachtete mich gar nicht. Mutter schaute ihn ganz lieb an. „Wie hast du das rausgekrie­gt?“„Meine Sache.“

Und dann wurde beschlosse­n, dass Mutter mit Herrn Möllenbrin­k, der ja ein Auto hatte und alles schlichtet­e, weil er von Amts wegen ein Schlichter war, zu Peter nach Norddeutsc­hland fahren sollte, um ihm zu sagen, dass er zu Hause wieder willkommen war.

Ob der dann wieder jedes Wochenende kommen würde mit seiner dreckigen Wäsche und den stinkenden Socken?

Das wollte ich nicht.

Aber ich wollte auch nicht, dass Mutter so viel weinte.

Sie erklärte mir, ich sei jetzt alt genug, mich um Dirk zu kümmern, wenn sie weg war, wir bräuchten kein Fräulein Maslow mehr.

Und dann fuhren sie ab, Mutter und Herr Möllenbrin­k. Im Mercedes nach Norddeutsc­hland.

Das war sehr weit weg, und vielleicht würden sie erst morgen wieder zurückkomm­en.

Ich stand da mit Dirk auf dem Arm und wusste nicht, was ich tun sollte, mir tat der Kopf ein bisschen weh.

Es war furchtbar heiß, obwohl die Sonne nicht schien, und die Luft war ganz gelb.

Vater hatte überall auf dem Hof herumgemur­kst und fing schließlic­h an, die Gartenwege zu schuffeln. Dabei schwitzte er wie ein Bär.

Dirk in seinem Laufstall war auch ganz heiß.

Also setzte ich ihn in seinen Sportwagen und stellte ihn in den Schatten unter der Linde, von wo aus er Vater beim Arbeiten zugucken konnte.

Das fand er immer schön, aber heute war er nur quengelig, wollte nicht im Wagen sitzen, wollte gar nichts.

„Hat er Hunger?“, fragte Vater. „Ich glaub, ihm ist nur zu heiß.“Ich holte die alte braun gesprenkel­te Wolldecke aus Trudi Pfaffs Wohnzimmer und breitete sie unter der Linde aus.

Dann hob ich Dirk aus dem Wagen und zog ihm alle Sachen aus, nur die Gummihose mit dem Sanitastuc­h ließ ich an, und setzte ihn auf die Decke.

Das gefiel ihm, er hörte sofort auf zu knatschen. Nur wollte er nicht auf der Decke bleiben, er wollte lieber herumkrabb­eln und sich Erde in den Mund stopfen.

Vater rief: „Ba! Das ist baba!“

Ich fing Dirk ein und brachte ihn wieder auf die Decke zurück. „Du bleibst jetzt hier sitzen!“

Er zog ein Schüppchen, und mir tat der Kopf noch mehr weh.

„Bleib schön hier sitzen . . .“Ich stupste ihm die Nase. „Ich hol was zum Spielen.“

Dann rannte ich in die Spülküche, füllte unsere große Plastiksch­üssel halb mit Wasser und schleppte sie nach draußen.

Dirk war ganz begeistert. Er patschte mit seinen staubigen Händchen aufs Wasser und lachte laut.

Dann versuchte er, in die Schüssel zu klettern, aber ich hob ihn schnell hoch, damit seine Windel nicht nass wurde, und ließ ihn nur mit seinen Füßchen herumplats­chen.

Vater schulterte seine Schuffel und kam zu uns.

„Bist du schon fertig mit Schuffeln?“Ich wunderte mich. Er hatte gerade mal den Hauptweg geschafft.

„Da braut sich was zusammen“, murmelte er und schaute in den Himmel.

Ein Gewitter? Ich konnte keine schwarzen Wolken sehen, aber die Luft war noch gelber geworden, dunkelgelb, und es roch komisch.

„Lass uns lieber reingehen, Annemarie.“

Ich brauchte ein Handtuch für Dirk, aber ich konnte ihn nicht loslassen, er sah sowieso schon aus wie ein Schweinche­n.

„Kannst du ein Handtuch für Dirk holen?“, fragte ich vorsichtig.

Vater nickte, streifte die Klompen ab, stapfte ins Haus und kam mit unserem großen blau-gelb gestreifte­n Badelaken zurück – das einzige, das wir hatten.

Mutter würde sehr böse werden, wenn es eingeferke­lt wurde, aber ich traute mich nicht, Vater noch einmal reinzuschi­cken.

Der schaute wieder zum Himmel. „Schnell jetzt!“

Dirk musste eigentlich gebadet werden, aber das konnte ich nicht alleine, also wusch ich ihn von Kopf bis Fuß. Das dauerte, und er wurde so müde, dass er nur noch heulte und den Brei nicht essen wollte, den Mutter für ihn vorgekocht hatte. „Bring ihn ins Bett“, sagte Vater. „Aber er schläft nicht, wenn er nichts gegessen hat“, jammerte ich. „Nimm du ihn mal. Ich mach ihm eine Pulla.“

„Leg ihn in den Laufstall. Ich muss die Läden festmachen und das Tennentor verriegeln.“

Ich hatte gar nicht gemerkt, dass Wind aufgekomme­n war und man kaum noch etwas sehen konnte. Ich knipste die Lampen an.

Dann gab ich Dirk sein Fläschchen. Ihm fielen beim Trinken schon die Augen zu, und als ich ihn in sein Bettchen legte, schlief er sofort ein.

Jetzt stürmte es richtig, und dann krachte ein Donner so fest, dass die Fenstersch­eiben klirrten, obwohl Vater hier vorn schon die Läden festgemach­t hatte.

Als er endlich wieder in die Küche kam, waren seine Haare ganz verblasen.

„Regnet es nicht?“

Er schüttelte finster den Kopf. „Dabei ist alles so trocken. Der kleinste Funke . . .“

„Was?“Ich kriegte Angst.

Mutter hatte nie Angst bei Gewittern.

„Wir gehen auch ins Bett“, sagte Vater.

Ich starrte ihn an. „Aber es ist doch viel zu früh! Und wir haben noch gar nicht gegessen.“

„Den Schläfer lass schlafen, den Fresser schlag tot“, murmelte Vater und zog sich aus.

Ich fing an zu zittern. Meinte er den lieben Gott?

Ich wollte mit unter seine Decke, aber das ziemte sich ja nicht.

Vater schaltete die Nachttisch­lampe aus.

Jetzt konnte ich durch die Ritzen der Fensterläd­en die Blitze sehen.

(Fortsetzun­g folgt)

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