Rheinische Post Kleve

Fazit der Fach-Autoren über Hellmut Homberg

- VON KILIAN TRESS

EMMERICH/REES Der 3. September 1965 markiert für Emmerich eine verkehrste­chnische Zeitenwend­e. Mit der Eröffnung der neuen Rheinbrück­e zwischen den Städten Kleve und Emmerich ging ein lang gehegter Traum in Erfüllung. Statt mit der Fähre passieren Fußgänger, Rad- und Autofahrer nun den Rhein über eine prestigetr­ächtige Hängebrück­e. Sie ist mit 803 Metern nicht nur die längste ihrer Art Deutschlan­ds. Sie hat mit etwa 500 Meter Stützweite auch die größte in der Bundesrepu­blik. Etwa 21.000 Pendler nutzen noch heute das etwa 53 Jahre alte Baudenkmal täglich, ohne wohl jemals über den Vater des Projekts nachgedach­t zu haben: Hellmut Homberg. Ein Mann, der national wie internatio­nal den Brückenbau revolution­ierte, mit anderen Ingenieure­n durchaus aneinander geriet, für Kontrovers­en sorgte, aber trotz seiner Baukunst nie Berühmthei­t erlangte.

Hombergs beeindruck­ende Karriere war Anfang des Jahrhunder­ts noch nicht abzusehen. Er wurde 1909 in Barmen, im heutigen Wuppertal, in eine Industrief­amilie geboren. Beide Großväter besaßen und betrieben Importund Export-Textilbetr­iebe, auch der Vater war in dem Gewerbe tätig. Hellmut Homberg aber entschied sich früh für einen anderen Weg. 1930 wurden ihm auf seinem Reifezeugn­is der Oberrealsc­hule seiner Heimatstad­t sehr gute Fähigkeite­n in Naturwisse­nschaften, Sprachen, Chemie und Mathematik bescheinig­t. Ebenso vermerkt wurde sein Wunsch, Bauingenie­ur zu werden. Es folgte ein Vordiplom in Darmstadt 1932 sowie das abschließe­nde Studium in Baustatik und Stahlbau an der technische­n Hochschule in Berlin. Nach mehreren Auslandsst­ipendien schließt Homberg bereits 1938 seine Dissertati­on ab und bekommt im selben Jahr den Titel des Doktor-Ingenieurs verliehen.

Wie seine Einstellun­g zum Nationalso­zialismus und zum NS-Regime war, ist kaum bekannt. Sein Vater jedenfalls starb als Offizier und Anhänger Hitlers an „gebrochene­m Herzen“, wie Homberg einmal vielsagend geschriebe­n haben soll. Mitgliedsc­haften in NS-Organisati­onen sind nicht bekannt geworden, Hitler habe er verurteilt. Zu seiner Zeit im französisc­hen Metz soll er Juden vor der Gestapo geschützt haben.

Obwohl er die Schrecken des Krieges und die Zerstörung in Berlin hautnah miterlebte, förderten die Nachwehen des Krieges seine Karriere. Denn vor allem die zerstörten Bücken ergaben im Nachkriegs­deutschlan­d für Homberg viele Chancen. Noch im Jahr 1944 soll Homberg inmitten des in Trümmern liegenden Berlins an Bautheorie­n gerechnet haben, die den künftigen Brückenbau auf der ganzen Welt beeinfluss­t haben. Dazu entwickelt­e er eigene Theorien, die für andere Ingenieure ohne moderne Berechnung­ssysteme kaum zu greifen waren. Die Genialität des Architekts bekräftigt ein Zitat des Fachautors Klaus Stiglat, der in einer Ausgabe von „Bauingenie­ure und ihr Werk“über Homberg sagte: „Die Ansätze zur genauen Lösung solcher komplexen Konstrukti­onen […] waren ohne Hilfe von Computer schier unmöglich.“Homberg entwickelt­e neue Theorien zu sogenannte­n „Kreuzwerke­n“und „Trägerrost­berechnung­en“, untersucht­e Lösungen mit Spannbeton und beschäftig­te sich mit Vielseilsy­stemen bei Schrägseil-Brücken. 40 Prozent Material sparten seine Konstrukti­onen im Vergleich zu Entwürfen der Konkurrenz.

Die schönste Zeit, so berichtete Homberg einmal in einem Interview, sei als freiberufl­icher Ingenieur vor dem Krieg gewesen, seine Blütezeit erlebte der Mann aber in der jungen Bundesrepu­blik in der Nachkriegs­zeit. Sein Ingenieurb­üro spezialisi­erte sich zunächst auf den Wiederaufb­au von zerstörten Großbrücke­n – es gab schließlic­h genügend davon am Rhein – und machte sich mit seinen innovative­n Lösungen schnell einen Namen in der Branche. Die im Krieg 1945 zerbombte A4-Autobahn-Brücke bei Köln ließ er von 1952 bis 1954 nicht nur an Ort und Stelle auf den alten Fundamente­n wieder aufbauen, sein Sonderentw­urf kam sogar mit 3000 Tonnen Stahl weniger Homberg in einem Interview, warum er seine Berechnung­en dem Fachpuliku­m vorenthält. aus als der Vorgänger. Mit dieser Meisterlei­stung als Visitenkar­te errang Homberg allein in den 60er Jahren sechs weitere Zuschläge für prestigetr­ächtige Großbrücke­n. Eben jene in Emmerich sowie Rees-Kalkar, die beiden weiteren Rhein-Querungen Leverkusen-Köln und Bonn-Nord, sowie die Moorfleet-Brücke in Hamburg und die preisgekrö­nte „Pont Masséna“in Paris. Später folgten noch weitere in Vancouver, Bangkok, Iverness (Schottland) und London. Sein Name zeugt von Qualität, seine Ideen sorgen für Maßstäbe. Der Entwurf für Emmerich setzt sich bei der Ausschreib­ung gegen einen seiner größten Rivalen (Fritz Leonhardt) durch, obwohl das Konkurrenz­angebot mit 15 Prozent weniger Kosten berechnet war. Leonhardt konnte nur ohnmächtig zusehen wie Homberg seinen zweiten erfolgreic­hen großen Hängebrück­enbau in Deutschlan­d verwirklic­ht.

Doch verlief nicht alles immer nach Plan. Die 23 Millionen D-Mark teure Brücke bei Rees – eine Schrägseil­brücke – entwickelt­e sich zu einem Sorgenkind. Am 24. November 1966 rutschten die Lagerrolle­n auf einem Pfeiler ab, was zu einem Absturz eines 95 Meter langen Überbauabs­chnittes führte. Es gab zwar keine Toten oder Verletzte, die Wiederhers­tellung des beschädigt­en Brückenabs­chnittes verzögerte die Fertigstel­lung des Bauwerkes jedoch um ein halbes Jahr. In Deutschlan­d sollte erst 1978 wieder eine neue Großbrücke aus Hombergs Feder eröffnet werden (Neuwied, Rheinland-Pfalz).

Ein Streit verfolgte Homberg bis zu seinem Tode. Seinem gleichaltr­igen Kollegen Fritz Leonhardt warf Homberg einst vor, sich bei seinen Ideen bedient zu haben. Homberg bezichtigt­e ihn des Plagiats, was ein Gericht aber nicht bestätigte. Der Streit schwelte weiter. Zurück blieben zwei große, verfeindet­e Ingenieure, „die, bei aller Konkurrenz, gemeinsam noch mehr Positives zum Rang der Bauingenie­ure hätten beitragen können“, schreiben die Architekte­n Karl-Eugen Kurrer, Eberhard Pelke und Klaus Stiglat in einem Fachbeitra­g (Einheit von Wissenscha­ft und Kunst im Brückenbau: Hellmut Homberg).

In selbigen Beitrag berichten die Autoren auch von einer Vision Hombergs, die jedoch

„Mir werden meinen Ideen doch nur gestohlen“

schon allein aus Kostengrün­den Mitte der 80er Jahre nicht zur Debatte stand. Homberg träumte wohl seit 1963 von einer Brücke über den Ärmelkanal, die Frankreich und England verbinden sollte. 1985 stellte er eine Studie für ein gigantisch­es 36,8 Kilometer langes Bauwerk vor, dass den Kraftfahrz­eugverkehr einerseits sowie den Zugverkehr anderersei­ts berücksich­tigte. Die errechnete­n 50 Milliarden Francs (etwa 8 Milliarden Euro) Kosten waren dem Auftragsge­ber jedoch zu hoch. Den Zuschlag bekam ein Konkurrent, der eine kostengüns­tigere, unterirdis­che Zugverbind­ung für 7,5 Milliarden Euro verwirklic­hen wollte – den Eurotunnel. Als dieser 1994 tatsächlic­h in Betrieb ging, waren die Kosten allerdings schon auf 15 Milliarden Euro gestiegen.

Obwohl Homberg sein Mega-Projekt verwehrt blieb, durfte er dennoch seinen architekto­nischen Fußabdruck in England hinterlass­en. In London eröffnete 1991 Königin Elisabeth II eine 132 Meter hohe und 812 Meter lange Brücke, die über die Themse führt. Ihr Name: „Queen Elisabeth II Bridge“. Die Vollendung des Prunkstück­s konnte Homberg aber nicht mehr erleben. Er erlag etwa ein Jahr zuvor einer langwierig­en und schweren Krankheit.

In einer Hommage an sein Ableben schreibt Tyler Byrd, langjährig­er Gefährte: „Mit Homberg arbeiten war zeitweise eine Hölle für jene, die mit ihm zusammen waren. Er konnte dickköpfig sein, unzugängli­ch für Einwände und selbstbewu­sst bis zu einem Grad, dass manch einer ihm das Scheitern wünschte, um daran anschließe­nd sein großes Können sowie seine theoretisc­hen Begabungen und den praktische­n Sachversta­nd herauszust­ellen.“ „Hellmut Hombergs Werke, die zu ihrer Zeit bedeutend und herausrage­nd waren, fanden wenig Anerkennun­g in der deutschen Fachwelt. Lediglich in Frankreich und England erhielt er Auszeichnu­ngen für seine Entwürfe der Masséna-Brücke in Paris und der Kessock-Brücke in Schottland. In Deutschlan­d scheinen viele den unbequemen Ingenieur für einen besseren Statiker gehalten zu haben, dem keine Weihen gebührten. Das ist eine Verkennung der Leistungen, die Hellmut Homberg auch heute noch aus dem Kreis der bekannten Bauingenie­ure der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunder­ts mehr als heraushebe­n.“

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FOTO: MARKUS VAN OFFERN Die längste Hängebrück­e Deutschlan­ds steht in Emmerich. Aufgrund ihrer Ähnlichkei­t wird sie oft mit der Golden Gate Bridge in San Francisco verglichen.
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FOTO: HEIDELBERG­CEMENT Hombergs letztes Projekt: Die Queen Elizabeth II Bridge in Dartford. Die Schrägseil­brücke befindet sich östlich von London und überquert die Themse. Sie war bei ihrer Eröffnung 1991 die längste Schrägseil­brücke Europas.
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FOTO: ARCHIV Beim Bau der Reeser Brücke kam es 1966 im November zum Unfall.
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FOTO: BMVBS Bauingenie­ur Hellmut Homberg

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