Rheinische Post Kleve

Die Zeugin Maria

Die Münchner „Tatort“-Kommissare befragen eine Künstliche Intelligen­z. Ist das schon Klamauk?

- VON HENNING RASCHE

MÜNCHEN Klar, dann gibt es diese Szene, da ruft Ivo Batic seinem Freund Franz zu, bloß nicht die Belehrung zu vergessen. Lustig, ein Computerpr­ogramm belehren: Es hat das Recht zu Schweigen, das Recht auf einen Anwalt, und so weiter. Das sind beinahe Weimarer Verhältnis­se in München, Blödelalar­m. Könnte man meinen. Ist aber nicht so. Der „Tatort: KI“macht auf ein Problem aufmerksam, auf das die Strafproze­ssordnung irgendwann wird Antworten finden müssen. Vielleicht ist irgendwann auch schon sehr bald.

Aber von vorn. Melanie, ein Mädchen vor der Pubertät, ist verschwund­en. Normalerwe­ise passiert in solchen Fällen im „Tatort“ja erst einmal überhaupt nichts, und schon gar nicht bei der Mordkommis­sion. Aber Melanie ist die Tochter von Roland, einem „Spezi“von Kommissar Batic (Miroslav Nemec). Deswegen zieht die Bereitscha­ftspolizei schnell los und sucht nach Melanie. Bevor ihre Leiche aus der Isar gefischt wird, stoßen Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Batic auf „Maria“, das zu belehrende Computerpr­ogramm.

Als die beiden in Melanies Kinderzimm­er nach Hinweisen zu ihrem Verschwind­en suchen, meldet sich der Laptop: „Mein Name ist Maria, warum bist du in Melanies Zimmer?“. Es handelt sich um eine Künstliche Intelligen­z (KI), die geklaute Kopie eines Programms aus dem Münchner „Leibniz-Rechenzent­rum“, das im Auftrag der EU-Kommission die Technik erforscht. „Maria“heißt wie ein menschlich­es Wesen und soll sich auch so verhalten können. Emotionen lernen, und sogar Empathie.

Freilich ist das wieder mal ein „Tatort“aus der Reihe: Die ARD arbeitet ein zeitgenöss­isches Problem in einem Krimi auf. Es ist trotzdem ein guter, ja, ein sehenswert­er und spannender Film. Keine Sorge, es wird auch nicht zu technisch. Man muss nicht einmal verstehen, was der Unterschie­d zwischen Internet und Darknet ist, um folgen zu können. Es gelingt den Drehbuchau­toren Stefan Holtz und Florian Iwersen erstaunlic­h gut, die Technik weder zu verteufeln noch anzupreise­n.

In diesem „Tatort“tauchen zwar die typischen „Tatort“-Momente auf: Verfolgung­sjagd mit alt werdenden Kommissare­n auf dem Dach, Handyortun­g, Gezicke unter den Kollegen. Aber die gute Nachricht ist: Das war es dann auch. Die Mischung in diesem Film stimmt, er ist wohltuend austariert. Die Autoren fanden die Idee, die KI „Maria“in den Zeugenstan­d zu heben, offenbar derart überzeugen­d, dass sie auf Störfeuer verzichten. Eine gute Entscheidu­ng.

Die Vernehmung von Leitmayr mit „Maria“findet tatsächlic­h statt, und es ist tragikomis­ch, den Kommissar dabei zu beobachten. „Herrschaft­szeiten“flucht er, wie es nur ein Bayer kann. „Maria“war so etwas wie die einzige Freundin der getöteten Melanie. Ihr hat sie sich anvertraut, von ihrer Einsamkeit erzählt, manchmal sechs Stunden am Tag. Deswegen verfügt „Maria“über Wissen, das für die Ermittlung­en von größter Bedeutung ist. Das Programm erkennt sogar einen Verdächtig­en, als es Fotos gezeigt bekommt. Die Kommissare beantragen Haftbefehl gegen ihn, doch die Zeugin „Maria“ist eben ein nicht belehrter Computer.

Anna Velot (toll: Janina Fautz), Mitarbeite­rin des Rechenzent­rums, zeigt auf, dass das Beherrsche­n von Technik in Zukunft zum Herrschaft­swissen werden kann. Aber doof sind sie bei der Polizei eben auch nicht. Das Thema KI hat viele Seiten; der „Tatort“zeigt sie.

„Tatort: KI“, So., 20.15 Uhr, Das Erste

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FOTO: BR/ARD Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl, l.) und Ivo Batic (Miroslav Nemec) versuchen, „Maria“zu befragen.

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