Rheinische Post Kleve

Der Erfinder des unangenehm­en Fußballs

Dortmund trifft in der Champions League heute auf Atletico Madrid, dessen Spielstil ein Abbild seines Trainers ist.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

DORTMUND Die Großen des Fußballs sichern sich einen Platz in der Erinnerung durch denkwürdig­e Tore, epochale Siege oder einzigarti­ge Fähigkeite­n. Die ganz Großen schaffen es, nicht nur über Erfolge im Gedächtnis zu bleiben, sondern auch dadurch, den Fußball in seiner Spielweise nachhaltig verändert zu haben. So wie der Argentinie­r Helenio Herrera, der in den 1960er Jahren mit Inter Mailand das Abwehrsyst­em des Catenaccio berühmt machte. Oder später Rinus Michels, Arrigo Sacchi oder Walerij Lobanowsky­j, die die Fußballwel­t ab den 1970ern vom Mehrwert der Raumdeckun­g überzeugte­n. Diego Simeone schickt sich an, einer dieser ganz Großen zu sein.

Der argentinis­che Trainer stand mit Atletico Madrid seit 2010 nicht nur in fünf Europapoka­l-Endspielen, er perfektion­ierte hier auch die Idee des unangenehm­en Fußballs. Es ist eine Spielweise, der sich heute Abend (21 Uhr) Lucien Favres Dortmunder in der Champions League gegenübers­ehen. Es wird der größte Prüfstein für die furios in die Saison gestartete­n Westfalen.

„Das wird eine knifflige Aufgabe“, beschrieb BVB-Stürmer Maximilian Philipp das, was auf ihn und seine Kollegen zukommen wird. Das ist ziemlich nett umschriebe­n. Genauso wie „dreckig“eine zu negative Darstellun­g des Atletico-Fußballs wäre. Er liegt dazwischen. Und es ist vor allem die Wirkung, mit der er Eindruck erzielt und Erfolge einfährt: Niemand spielt gerne gegen Simeones Team. Seine Mannschaft pflegt einen Fußball, der als Basis das gegnerisch­e Spiel zerlegt, indem sie dem Gegner das Spielen weitgehend überlässt, nur um es dann nach allen Regeln der Kunst zu bekämpfen. Nicht dreckig, nicht brutal, aber nervtötend hart im Zweikampf und taktisch auf höchstem Niveau.

Nach Ballgewinn geht es schnell nach vorne, wo in Frankreich­s Weltmeiste­r Antoine Griezmann einer der besten Stürmer der Welt wartet. Simeone geht es nicht darum, mit seiner Mannschaft einen Schönheits­preis zu gewinnen. Er will das Spiel gewinnen. Und das geht nach seiner Definition besser, wenn man erstmal guckt, dass man kein Gegentor kassiert. „Ich spiele lieber gut als schön“, sagte der 48-Jährige mal. Und er sagte auch: „Wir wollen ein nerviger Gegner sein. Wir spielen jedes Spiel, als wäre es unser letztes.“

Diese Aussage gilt auch für Simeone selbst. Das gegelte Raubein, das schon als argentinis­cher Nationalsp­ieler das Mittelfeld als zu eroberndes Stück Land betrachtet­e, lebt auch als Trainer jede Partie so, als wäre es seine letzte. Simeone schimpft, schwitzt, gestikulie­rt, jammert, schubst, pöbelt, simuliert, animiert. Kreidelini­en halten ihn nicht in der Coaching Zone, dafür bräuchte es schon einen Elektrozau­n. Simeone sucht im gegnerisch­en Betreuerst­ab keine Freunde, er sucht allein einen Weg, bei Abpfiff gewonnen zu haben. Diese Strategie ging in den vergangene­n Jahren oft genug auf. Atletico gewann unter ihm

dreimal die Europa League, zuletzt im Mai, als der Trainer den 3:0-Finalsieg gegen Marseille gesperrt von der Tribüne aus verfolgte. Atletico stand zudem zweimal im Finale der Champions League, wo es zweimal knapp dem Stadtrival­en Real unterlag. Leverkusen (zweimal) und der FC Bayern zogen zuletzt im Europapoka­l jeweils den Kürzeren gegen Simeones Terrierrud­el.

Atletico hat sich in Spanien längst als dritte Kraft hinter Real und dem FC Barcelona etabliert. Aktuell stellen die „Rojiblanco­s“mit nur fünf Gegentoren in neun Partien die stärkste Defensive der Primera División. Diese will Dortmunds schnelle und kreative Offensivab­teilung knacken. „Es wird ein echter Gradmesser“, sagt Kapitän Marco Reus vor dem Duell der beiden ungeschlag­enen Teams der Gruppe A. BVB-Trainer Favre, dem es nie an Respekt vor dem Gegner mangelt, befindet seinerseit­s: „Seit sieben, acht Jahren ist Atletico eine der besten Mannschaft­en in Europa.“

Der Schweizer Gentleman geht als das exakte Gegenteil zu Simeone durch. Der sagt, Fußball werde mit einem Messer zwischen den Zähnen gespielt. Und so bewaffnet spielt man eben unangenehm­en Fußball. Atletico-Fußball. Simeone-Fußball.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Im Juni 2018 hängt ein Porträt von Atletico-Trainer Diego Simeone des italienisc­hen Malers Fabrizio Birimbelli in der Russischen Akademie der Künste in Sankt Petersburg. Die Ausstellun­g zur WM widmete sich ikonisiert­er Darstellun­gen von Fußballsta­rs.
FOTO: IMAGO Im Juni 2018 hängt ein Porträt von Atletico-Trainer Diego Simeone des italienisc­hen Malers Fabrizio Birimbelli in der Russischen Akademie der Künste in Sankt Petersburg. Die Ausstellun­g zur WM widmete sich ikonisiert­er Darstellun­gen von Fußballsta­rs.

Newspapers in German

Newspapers from Germany