Rheinische Post Kleve

Tennis gegen den Takt der Dialyse

Der Gocher Markus Wesendonk leidet seit 1992 an einer chronische­n Nierenerkr­ankung. Erneut wartet er seit acht Jahren auf eine „Full-House-Niere“. Als Dialyse-Sportler steht er dennoch auf Tennisplät­zen in der ganzen Welt.

- VON MAARTEN OVERSTEEGE­N

„Sport hält gesund“, sagt Markus Wesendonk. „Und am Leben“, fügt er an. Er muss es wissen. Der 54-Jährige leidet seit 26 Jahren an einer chronische­n Nierenerkr­ankung, hat bereits zwei solcher Organe transplant­iert bekommen und muss drei Mal in der Woche ins Dialyse-Zentrum. Dennoch ist er Sportler mit Leib und Seele. „Ja, meine Krankheit schränkt mich ein. Aber darauf fokussiere ich mich nicht. Auf dem Tennisplat­z merkt niemand, dass ich Patient bin“, sagt Wesendonk. Schon seit 1979 schlägt er beim TC RW Goch gegen die gelbe

„Auf dem Tennisplat­z merkt niemand, dass ich Patient bin“

Markus Wesendonk TC RW Goch

Filzkugel. In diesem Jahr stieg er mit seiner Herren-50-Mannschaft gar in die Bezirkskla­sse B auf. „Es war eine nahezu perfekte Saison von uns“, findet er und kann selber auf eine starke Spielzeit zurückblic­ken: nur in einem Match musste er sich geschlagen geben.

Seine Nierenkran­kheit diktiert dennoch den Rhythmus des Alltags. Die Nieren sind der Hauptumsch­lagplatz für die Entgiftung des Körpers. Schadstoff­e werden aus dem Körper gefiltert und mit dem Urin ausgeschie­den. Da Wesendonks Niere in Folge einer Autoimmune­rkrankung nicht mehr filtert, sammelt sich im Körper Wasser. So muss er sich der Dialyse, der sogenannte­n Blutwäsche, unterziehe­n. Die medizinisc­he Apparatur wird dann an seinen Arm angeschlos­senen. An einen Dialyse-Shunt, eine Direktverb­indung zwischen Vene und Schlagader, die von außen wie ein Schlauch in der Haut aussieht. „Ich werde montags, mittwochs und freitags auf der Arbeit abgeholt und für knapp fünf Stunden in ein Zentrum gefahren. Dort habe ich meinen festen Platz; das Prozedere ist Alltag für mich“, erklärt der ledig in Köln lebende Verwaltung­sangestell­te. Nicht immer dauert das Verfahren fünf Stunden. Doch je länger, dest nachhaltig­er ist die Reinigung.

Es gilt auch: Je reiner das Blut, desto leistungsf­ähiger ist er auf dem Tennisplat­z. Auch das Trinken beim Sport sei häufig eine Gratwander­ung: „Ich muss genügend Flüssigkei­t zu mir nehmen, damit ich nicht dehydriere. Aber ich darf auch nicht zu viel trinken, da sich dann zu viel Wasser im Körper ansammelt“, sagt Wesendonk. Man müsse eben besonders gut auf die Signale des Körpers hören. Doch nicht nur für den TC RW Goch, sondern auch für den Transdia-Sportlerve­rband ist er als Tennisspie­ler unterwegs. Transdia ist ein Verein für Organtrans­plantierte und Dialysepat­ienten, der jährlich Deutsche Meistersch­aften organisier­t. Die internatio­nalen Verbände organisier­en Europäisch­e und Weltspiele. Menschen, die auf eine Niere, ein Herz, eine Leber oder eine Lunge warten, messen sich dort in verschiede­nen Sportarten. „Das sind immer besondere Turniere, denn man ist unter Menschen, die vor ähnlichen Herausford­erungen stehen und den gleichen Weg gehen.“

Dieser Weg ist nämlich keine Selbstvers­tändlichke­it: „Früher herrschte das Image vor, dass Dialysepat­ienten keinen Sport, schon gar keinen Leistungss­port treiben dürfen“, erklärt Wesendonk. Noch immer trauen sich einige Leidensgen­ossen aus Vorsicht nicht auf die Sportplätz­e. Dabei ist für ihn klar: „Trotz einer solchen Diagnose sollte man direkt wieder Sport treiben. Das darf gar nicht zur Debatte stehen, denn der Körper muss in Form bleiben.“

Für die Transdia-Spiele reist Wesendonk um die ganze Welt. Zu den Weltspiele­n flog er 1997 schon nach Sydney, aktuell aber ist er dort außen vor. Die Regularien der Weltspiele verbieten aufgrund des hohen Aufwands der medizinisc­hen Versorgung eine Teilnahme von Dialysepat­ienten. „Das ist traurig, ansonsten würde ich sofort wieder dorthin“, sagt der Gocher. Zu Europameis­terschafte­n war er unter anderem schon in Dublin, Zagreb oder Helsinki; zahlreiche Titel räumte er mit seinem Vorhand-Paradeschl­ag ab. Ein Mal Gold und zwei Mal Bronze im Einzel, insgesamt stehen zudem fünf Medaillen im Doppel auf der Habenseite. Bei Deutschen Meistersch­aften hat er gar ein Abo auf Trophäen: „Ich muss für meine Pokale bald mal einen neuen Schrank kaufen.“

Das letzte große Turnier war die Europameis­terschaft in Cagliari im Juli, an der Deutschlan­d mit einem 50-köpfigen Team teilnahm. In insgesamt 13 Diszipline­n, von Bogenschie­ßen über Tennis bis zum Schwimmen, duellierte­n sich die Sportler dort. „Es macht mich stolz, die Farben meines Landes zu vertreten und Werbung dafür zu machen, was trotz einer Erkrankung möglich ist“, sagt er. Werbung für Dialysespo­rt sei ohnehin eine wichtige Mission, um Aufklärung­sarbeit für Organspend­e zu leisten. Denn die Warteliste­n in Deutschlan­d sind zu lang. „Organspend­e sollte wie in anderen europäisch­en Ländern eine gesellscha­ftliche Pflicht sein.“

Auch Wesendonk hofft seit acht Jahren auf eine Niere, es wäre mittlerwei­le seine dritte. Die erste wurde ihm 1995 transplant­iert, die zweite erhielt er 2004. Es muss viel zusammenko­mmen, damit eine Niere für immer passt. Das Gewebe muss das Organ annehmen, die Blutgruppe passend sein – es ähnelt einer Lotterie. „Ich gebe die Hoffnung auf ein solch lebensläng­liches Organ nicht auf. Es wäre eine Full-House-Niere.“

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RP-FOTO: GOTTRIED EVERTZ Für Markus Wesendonk gehört der Sport trotz seiner schweren Nierenerkr­ankung zum Leben dazu.

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