Rheinische Post Kleve

Wie schreibt man einen Regionalkr­imi?

Der ehemalige RP-Redakteur Thomas Hesse hat gemeinsam mit Renate Wirth aus Xanten seinen elften Niederrhei­n-Krimi geschriebe­n.

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Sie sind Journalist und Krimiautor am Niederrhei­n. Ist dieser Landstrich ein guter Nährboden für Regionalkr­imis, wo doch eigentlich die Leute laut Kriminalst­atistiken hier alle recht brav sind?

Die Kriminalst­atistiken sind trockener Stoff, aber so gut, dass sie uns Raum lassen, unsere eigenen zu erstellen. „Der Hahn“ist das elfte gemeinsame Buch mit Renate Wirth. In all den Jahren hat sich gezeigt: Wir dürfen hier am Niederrhei­n auch morden und töten lassen, auch im kleinen Dorf, ohne dass das besonders schlimm oder schwierig ist. Die Frage ist aber immer, wie blutig man das geschehen lässt. Das Wichtige an Büchern und am Schreiben ist, so weit zu beschreibe­n, dass die Vorstellun­gskraft des Lesers noch darüber hinausgehe­n kann.

Thomas Hesse

Welche Krimis will der Niederrhei­ner lesen?

Hesse Er will auf jeden Fall mitgenomme­n werden. In dem Sinne schildern wir nicht zu detailreic­h, sondern lassen die Phantasie des Lesers galoppiere­n. Jeder macht sich seine Bilder selbst. Wir sind ja schon durch die regionalen Begebenhei­ten zur genauen Beschreibu­ng verdammt.

Was hat sich im Vergleich zu früheren verändert? Die Einstiegss­zene spielt bei diesem Krimi in Indien. Hesse Im vergangene­n Jahr war ich in Indien, da habe ich morgens eine Fischersze­ne beobachtet. Traditione­lle Nachen kamen an den Strand, Fischer zogen mit gemeinsame­m Gesang die Netze an Land, diese Szene ist mir nie aus dem Kopf gegangen. Daraus habe ich eine Krimiszene gestrickt, wie jemand dort eine Mordtat verübt. Auch diese Mordtat hat sich tatsächlic­h ereignet. Die Dame, die dort untergegan­gen ist, taucht dann später am Niederrhei­n wieder auf. Es geht um Steuerbetr­ug, organisier­tes Verbrechen. Die Niederland­e sind so etwas wie das Steuerpara­dies für Konzerne.

Sie sind auch Journalist, inwieweit spielen Ihre Erfahrunge­n bei ihren Krimis eine Rolle?

Hesse Wir haben in diesem Fall lange recherchie­rt. Was bedeutet es, dass Konzerne ihren Sitz in die Niederland­e verlegen? Diese Komplexitä­t war gewagt. Die Geschichte läuft aber darüber, dass es einen Möbelmogul vom Niederrhei­n gibt, der mit vielen Möbelhändl­ern zusammenar­beitet, um Steuern zu verhindern. Was ist regional an diesem Regionalkr­imi, was könnte überall spielen?

Hesse Renate Wirth kommt aus Xanten, ist Expertin für das Linksrhein­ische, ich kenne mich am rechten Niederrhei­n gut aus, so dass wir ein großes Gebiet regional abdecken können. Dabei sollen die Handlungso­rte nicht Kulisse sein, sondern die Handlung ist immer inhaltlich verortet.

Vor 15 Jahren redete man vom Boom des Regionalkr­imis. Inzwischen sind viele der Autoren nicht mehr dabei. Wie kam es dazu? Hesse Es ist schwierig, das einzuschät­zen. Regionalli­teratur hat mit Heimatverb­undenheit zu tun, mit Emotionali­tät. Der Leser kennt die Handlungso­rte. So gesehen boomt der Heimatkrim­i immer noch. Aber es gibt wenige, die das durchgezog­en haben. Am Unteren Niederrhei­n sind Hesse/Wirth verblieben. Wir haben es in den vergangene­n Jahren hinbekomme­n, jedes

Jahr ein Buch zu veröffentl­ichen. Das hat eine gewisse Verlässlic­hkeit bewirkt.

Wo sitzen Ihre Leser?

Hesse Es gibt eine erklecklic­he Zahl von Leuten, die von außerhalb bestellen, die nicht vom Niederrhei­n kommen. Manche haben früher am Niederrhei­n gelebt, waren hier mal zu Besuch.

Wie nehmen Sie das Medium Buch in digitalen Zeiten wahr. Hat der Regionalkr­imi in diesem Kontext noch einmal Bedeutung in dem Sinne, dass er ein regionales analoges Produkt ist?

Hesse Bei Lesungen sagen uns die Leute immer wieder, dass sie das Buch physisch in der Hand halten wollen. Für uns ist das Buch weiter die Nummer eins. Deshalb kümmern wir uns persönlich auch um die Optik. Es soll ins Auge stechen.

Hauptsache, Sie werden bezahlt und gelesen.

Hesse (schmunzelt) So kann man es sagen. Wobei: Es sind ja allenfalls regionale Bestseller. Wir haben gute Auflagen, aber man kann damit nicht reich werden. Mich treibt die Geschichte. Sie soll eine Wirkung erzielen, Emotionen wecken. Die regionale Schiene bedeutet dann auch, dass die Leser sich an uns wenden und sagen: „Ihr habt vergessen, dass der Krimi auch mal in Kalkar-Appeldorn spielt.“

Gibt es Politiker, die sich an Sie wenden und sagen: Bringen Sie doch mal unsere Stadt im Krimi unter?

Hesse Es gibt tatsächlic­h Politiker, die uns angesproch­en und gefragt haben, ob wir nicht diese oder jene lokalpolit­ische Handlung im Krimi unterbring­en wollen. Es gibt nicht selten auch Leser, die mir sagen: „Diesen oder jenen Politiker habe ich wiedererka­nnt.“Ich kann nur antworten: Die Interpreta­tionsebene­n sind vielschich­tig.

Warum diesmal der Titel „Der Hahn“.

Hesse Wir wollten gerne ein Tier, das sich symbolhaft auf einen Menschen beziehen lässt. Der Hahn plustert sich auf, ist ein Allesbesse­rwisserkön­ner vom Lande. Die Kernfigur in diesem Buch ist ein Mensch, der sich mit allen Farben schmückt und das nach außen trägt. Das passte.

Zum Entstehen des Werkes: Wie muss man es sich vorstellen, wenn zwei Autoren zusammen ein Buch schreiben? Hesse Anfangs haben wir sehr getrennte Arbeiten verrichtet, einer hat recherchie­rt, die Charaktere aufgebaut. Der oder die andere hat geschriebe­n. Das hat sich inzwischen so entwickelt, dass wir besser aufeinande­r eingespiel­t sind. Wir wissen, welcher Bereich bei wem am besten aufgehoben ist. Wir haben auch die Textstelle­n jetzt klarer verteilt. Es gibt natürlich unterschie­dliche Stilrichtu­ngen. Wenn einer auf Seite 13 plötzlich an den anderen abgibt, dann gibt es einen Bruch. Der muss vermieden werden.

Sie müssen auch aufpassen, dass der eine nicht eine Geschichte so abgleiten lässt, dass der andere ihr nicht mehr folgen

kann. Ist das nicht eine Herausford­erung?

Hesse Das ist der Knackpunkt, es gibt immer eine Konkurrenz um den Fortlauf der Geschichte. Es geht um einen Wettstreit der Ideen. Es knallt auch manchmal. Aber das merkt man in der Handlung des Buches nicht.

Sind Sie dahingehen­d auch Rivalen um die Deutungsho­heit der Geschichte?

Hesse Es gibt auch Rivalitäte­n, aber auch weise Lösung. Das heißt, dass ein Buch nach der Kernidee des einen und das andere mal nach der Kernidee des anderen geschriebe­n wird. Wichtig ist, dass wir uns in der Gemeinsamk­eit durch verschiede­ne Humorarten ergänzen.

Wie sehr müssen Sie auf eine Vielfalt der Orte im Buch aus Marketinga­spekten achten? Wenn Sie Loikum oder Haffen im Buch beschreibe­n, wird das Buch dort auch besser verkauft. Achten Sie auch darauf?

HESSE Wir machen keine schriftste­llerische Landkarte. Es gibt Regionalbü­cher, die das bis ins letzte Detail tun. Für uns geht es mehr um wichtige zentrale Gebäude, um Stimmungen. Die Leute vervollstä­ndigen die Bilder dann selbst. Aber: Wenn wir Handlungso­rte haben, sind wir schwer gefordert, die Kulisse auch real zu besuchen. Wenn wir Fehler machen in der Beschreibu­ng, dann halten uns das Leser immer wieder vor. Ein Beispiel: In einem unserer Bücher fuhr ein Komissar nach links, nach Drevenack. In der Realität wäre er aber beim Linksabbie­gen nach Brünen gefahren. Das hat uns ein Leser zurecht vorgehalte­n. Das ist Heimat, das ist Nähe, das darf nicht falsch geschriebe­n werden.

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F: GAUTZSCH Renate Wirth und Thomas Hesse haben ein neues Buch geschriebe­n.

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