Mit Schirm, Charme und klaren Worten
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident besuchte zwei Dörfer, die dem Braunkohletagebau weichen sollen. Damit suchte zum ersten Mal ein Landesoberhaupt das direkte Gespräch mit Betroffenen vor Ort.
ERKELENZ Die große Wiese hinter der römisch-katholischen Heilig-Kreuz-Kirche in Erkelenz-Keyenberg ist trotz Regens am Samstagmittag gut gefüllt. Rund 300 Braunkohlegegner sind gekommen, um Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) zu sehen und zu hören, was er zu sagen hat. „Herr Laschet, wären Ihre Enkel stolz auf ihre Klimapolitik“, steht auf einem der Plakate, die neben den vielen aufgespannten Regenschirmen von den Menschen hochgehalten werden. Feindselig ist die Stimmung aber nicht. Die Menschen erhoffen sich Klarheit vom Landesoberhaupt. Sie
“Menschen haben hier schon emotional schreckliche Schicksale erlitten“
Armin Laschet (CDU) Ministerpräsident NRW
wollen wissen, wann genau endlich aus der Kohle ausgestiegen wird. Und ob sie ihre Heimat doch noch behalten können.
Laschet ist gekommen, um sich in den Erkelenzer Ortsteilen Kuckum und Keyenberg ein Bild von der Situation in den Umsiedlungsgebieten zu machen. Und mit den Menschen zu sprechen. „Wenn man es nicht gesehen hat, kann man die Situation nicht beurteilen“, sagt er. Laschet ist damit der erste Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, der das direkte Gespräch mit den von Umsiedlungen betroffenen Bürgern im Braunkohlegebiet sucht. Das habe ihn selbst überrascht. „Johannes Rau hat den Menschen mal gesagt: ,Ich komme mal‘. Aber danach war irgendwie nie jemand hier“, sagt der Unionspolitiker. Deshalb sei er gerne der Einladung von Hans Josef Dederichs gefolgt, einem Erkelenzer Ratsherren (Grüne), der sich eine würdevolle Umsiedlung der Bewohner wünscht. „Wir müssen hier erleben, dass Menschen wegen Kinkerlitzchen zerbrechen. Wir müssen sinnlose Vertreibungen auch am Tagebaurand verhindern“, sagt Dederichs.
Keyenberg soll in den nächsten Jahren dem Tagebau Garzweiler weichen, die rund 740 Bewohner müssen deshalb umgesiedelt werden. Ein Schicksal, das schon viele Dörfer in dieser Region getroffen hat. Und noch treffen wird. Der Ministerpräsident ist aber nicht nach Keyenberg gekommen, um den Menschen zu sagen, was sie hören wollen. Laschet sagt, was Sache ist. Er will nichts versprechen, was er später nicht halten kann. Und spekulieren schon gar nicht. Das würde nur Illusionen hervorrufen. Und das wolle er nicht. „Menschen haben hier schon emotional schreckliche Schicksale erlitten. Heimat verlieren, den Friedhof verlieren, die Kirche verlieren. Das wird hier alles nicht mehr da sein, wenn umgesiedelt wird“, stellt Laschet klar.
In Kuckum spricht der Ministerpräsident mit 60 betroffenen Anwohnern im Pfarrsaal. Das Dorf am Rande von Erkelenz ist in sich tief zerrissen. Der jahrelange Kampf gegen den Tagebau und den Verlust ihrer Heimat hat viele Dorfbewohner zermürbt. Etwa ein Drittel der Bevölkerung ist schon weggezogen. „Die Menschen flüchten“, sagt Ursula Settels, die seit 51 Jahren einen Friseursalon in Kuckum betreibt. Die 75-Jährige will so lange wie möglich bleiben. „Gerade für uns ältere Menschen ist die Situation besonders schlimm. Wir verlieren doch alles“, sagt sie. „Aber wir Menschen zählen ja nicht.“Von der Politik ist sie wie auch viele andere in Kuckum enttäuscht. Dass der Ministerpräsident gekommen ist, ist ihr egal. „Der hätte früher kommen müssen. Jetzt bringt das auch nichts mehr“, sagt sie.
Laschet zeigt Verständnis für die Sorgen der Menschen. Die Vorgängerregierungen hätten diese Entscheidungen sicher nicht leichtfertig getroffen, sagt er. Das sei Abwägungssache gewesen: „Wie kann man die Energieversorgung des Landes sichern und was muss man dafür opfern? Das ist die Geschichte der Braunkohle. Und diese Geschichte geht zu Ende“, sagt Laschet. „Die jetzige Rechtslage sieht 2045 als Endpunkt vor. Es geht aber schneller. Und ich will, dass es schneller geht. Das ist unstrittig“, erklärt der Ministerpräsident. Die offenen und deutliche Worte kommen an. Die Menge auf der Wiese buht ihn nicht aus, sondern klatscht gelegentlich sogar Beifall.
Laschet warnt bei seinem Besuch aber auch noch einmal davor, dass beim geplanten Ausstieg aus der Braunkohle die Wettbewerbsfähigkeit
„Laschet hätte früher kommen müssen. Jetzt bringt das auch nichts mehr“
Ursula Settels Anwohnerin des Industriestandortes erhalten bleiben müsse. Ziel müsse es sein, Industrie-Arbeitsplätze zu erhalten und trotzdem das Klimaziel zu erreichen.
Das interessiert die meisten der noch verbliebenen Menschen in Kuckum wenig. Das Dorf, die Häuser, die Kirche — irgendwann in naher Zukunft wird ihre Ortschaft für immer von der Landkarte verschwunden sein. Und damit die Wurzeln vieler Menschen. „Wir haben dann keine Möglichkeit mehr, an den Ort ihrer Kindheit und Jugend, zu ihrem Elternhaus zurückzukehren. Nie wieder“, betont eine ältere Dame, die gerade aus dem Friseursalon kommt und ihr ganzes Leben in dem Dorf verbracht hat. „Dann wird dort nur noch ein großes Loch sein.“Das seien emotionale Dinge, die nichts mit materiellen Werten zu tun hätten und die deshalb auch nicht zu ersetzen seien. Durch keine noch so hohe Entschädigungszahlung. Auch sie ist nicht glücklich darüber, dass Laschet gekommen ist. „Der macht uns alle nur verrückt.“