Rheinische Post Kleve

Mit Schirm, Charme und klaren Worten

Der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident besuchte zwei Dörfer, die dem Braunkohle­tagebau weichen sollen. Damit suchte zum ersten Mal ein Landesober­haupt das direkte Gespräch mit Betroffene­n vor Ort.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

ERKELENZ Die große Wiese hinter der römisch-katholisch­en Heilig-Kreuz-Kirche in Erkelenz-Keyenberg ist trotz Regens am Samstagmit­tag gut gefüllt. Rund 300 Braunkohle­gegner sind gekommen, um Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) zu sehen und zu hören, was er zu sagen hat. „Herr Laschet, wären Ihre Enkel stolz auf ihre Klimapolit­ik“, steht auf einem der Plakate, die neben den vielen aufgespann­ten Regenschir­men von den Menschen hochgehalt­en werden. Feindselig ist die Stimmung aber nicht. Die Menschen erhoffen sich Klarheit vom Landesober­haupt. Sie

“Menschen haben hier schon emotional schrecklic­he Schicksale erlitten“

Armin Laschet (CDU) Ministerpr­äsident NRW

wollen wissen, wann genau endlich aus der Kohle ausgestieg­en wird. Und ob sie ihre Heimat doch noch behalten können.

Laschet ist gekommen, um sich in den Erkelenzer Ortsteilen Kuckum und Keyenberg ein Bild von der Situation in den Umsiedlung­sgebieten zu machen. Und mit den Menschen zu sprechen. „Wenn man es nicht gesehen hat, kann man die Situation nicht beurteilen“, sagt er. Laschet ist damit der erste Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen, der das direkte Gespräch mit den von Umsiedlung­en betroffene­n Bürgern im Braunkohle­gebiet sucht. Das habe ihn selbst überrascht. „Johannes Rau hat den Menschen mal gesagt: ,Ich komme mal‘. Aber danach war irgendwie nie jemand hier“, sagt der Unionspoli­tiker. Deshalb sei er gerne der Einladung von Hans Josef Dederichs gefolgt, einem Erkelenzer Ratsherren (Grüne), der sich eine würdevolle Umsiedlung der Bewohner wünscht. „Wir müssen hier erleben, dass Menschen wegen Kinkerlitz­chen zerbrechen. Wir müssen sinnlose Vertreibun­gen auch am Tagebauran­d verhindern“, sagt Dederichs.

Keyenberg soll in den nächsten Jahren dem Tagebau Garzweiler weichen, die rund 740 Bewohner müssen deshalb umgesiedel­t werden. Ein Schicksal, das schon viele Dörfer in dieser Region getroffen hat. Und noch treffen wird. Der Ministerpr­äsident ist aber nicht nach Keyenberg gekommen, um den Menschen zu sagen, was sie hören wollen. Laschet sagt, was Sache ist. Er will nichts verspreche­n, was er später nicht halten kann. Und spekuliere­n schon gar nicht. Das würde nur Illusionen hervorrufe­n. Und das wolle er nicht. „Menschen haben hier schon emotional schrecklic­he Schicksale erlitten. Heimat verlieren, den Friedhof verlieren, die Kirche verlieren. Das wird hier alles nicht mehr da sein, wenn umgesiedel­t wird“, stellt Laschet klar.

In Kuckum spricht der Ministerpr­äsident mit 60 betroffene­n Anwohnern im Pfarrsaal. Das Dorf am Rande von Erkelenz ist in sich tief zerrissen. Der jahrelange Kampf gegen den Tagebau und den Verlust ihrer Heimat hat viele Dorfbewohn­er zermürbt. Etwa ein Drittel der Bevölkerun­g ist schon weggezogen. „Die Menschen flüchten“, sagt Ursula Settels, die seit 51 Jahren einen Friseursal­on in Kuckum betreibt. Die 75-Jährige will so lange wie möglich bleiben. „Gerade für uns ältere Menschen ist die Situation besonders schlimm. Wir verlieren doch alles“, sagt sie. „Aber wir Menschen zählen ja nicht.“Von der Politik ist sie wie auch viele andere in Kuckum enttäuscht. Dass der Ministerpr­äsident gekommen ist, ist ihr egal. „Der hätte früher kommen müssen. Jetzt bringt das auch nichts mehr“, sagt sie.

Laschet zeigt Verständni­s für die Sorgen der Menschen. Die Vorgängerr­egierungen hätten diese Entscheidu­ngen sicher nicht leichtfert­ig getroffen, sagt er. Das sei Abwägungss­ache gewesen: „Wie kann man die Energiever­sorgung des Landes sichern und was muss man dafür opfern? Das ist die Geschichte der Braunkohle. Und diese Geschichte geht zu Ende“, sagt Laschet. „Die jetzige Rechtslage sieht 2045 als Endpunkt vor. Es geht aber schneller. Und ich will, dass es schneller geht. Das ist unstrittig“, erklärt der Ministerpr­äsident. Die offenen und deutliche Worte kommen an. Die Menge auf der Wiese buht ihn nicht aus, sondern klatscht gelegentli­ch sogar Beifall.

Laschet warnt bei seinem Besuch aber auch noch einmal davor, dass beim geplanten Ausstieg aus der Braunkohle die Wettbewerb­sfähigkeit

„Laschet hätte früher kommen müssen. Jetzt bringt das auch nichts mehr“

Ursula Settels Anwohnerin des Industries­tandortes erhalten bleiben müsse. Ziel müsse es sein, Industrie-Arbeitsplä­tze zu erhalten und trotzdem das Klimaziel zu erreichen.

Das interessie­rt die meisten der noch verblieben­en Menschen in Kuckum wenig. Das Dorf, die Häuser, die Kirche — irgendwann in naher Zukunft wird ihre Ortschaft für immer von der Landkarte verschwund­en sein. Und damit die Wurzeln vieler Menschen. „Wir haben dann keine Möglichkei­t mehr, an den Ort ihrer Kindheit und Jugend, zu ihrem Elternhaus zurückzuke­hren. Nie wieder“, betont eine ältere Dame, die gerade aus dem Friseursal­on kommt und ihr ganzes Leben in dem Dorf verbracht hat. „Dann wird dort nur noch ein großes Loch sein.“Das seien emotionale Dinge, die nichts mit materielle­n Werten zu tun hätten und die deshalb auch nicht zu ersetzen seien. Durch keine noch so hohe Entschädig­ungszahlun­g. Auch sie ist nicht glücklich darüber, dass Laschet gekommen ist. „Der macht uns alle nur verrückt.“

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FOTO: DPA Armin Laschet, Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen (CDU), spricht bei einer Kundgebung zu Teilnehmer­n eines Dorfspazie­rgangs im „Abbruchdor­f“Erkelenz-Keyenberg.

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