Schwer am Limit
Borussia Dortmund zaubert, und der FC Bayern München ist überrascht, wie viel Gegenwehr er doch noch leisten kann.
DORTMUND Die kleine Volksabstimmung auf den Rängen fiel eindeutig aus. „Deutscher Meister wird nur der BVB“, brüllte der Teil des Publikums, der es mit Borussia Dortmund hielt, ganz ohne dazu gebeten worden zu sein. So weit ist es noch nicht, aber der 3:2-Erfolg im Spitzenspiel gegen Bayern München beschreibt zumindest augenblicklich die Kräfteverhältnisse zwischen den beiden führenden Klubs im Lande. Mit sieben Punkten Vorsprung auf die Bayern geht der BVB aus diesem Spiel hervor, und er verdiente sich den Erfolg, weil er am Ende gegen den großen Konkurrenten seine Qualitäten so richtig auf den Platz brachte.
„Sieben Punkte, das ist schon viel“, räumte Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge ein. Auf die Frage, ob das nun eine Wachablösung im deutschen Fußball gewesen sei, antwortete er mit einer Verbeugung vor der Klasse des Gegners. „Das ist eine gute Mannschaft“, sagte er.
Derartige Verbeugungen vor dem Kontrahenten leistete auch der Trainer des Siegers. „Die Bayern waren 30 Minuten klasse“, erklärte Lucien Favre, und er machte große Augen der Anerkennung, „sie haben gedrückt, Tempo gemacht, ich war froh, dass wir mit 0:1 in die Kabine kamen.“In der Tat gingen die Münchner die Begegnung mit der Entschlossenheit eines Altmeisters an, der dem Emporkömmling mal zeigen will, wo der Hammer hängt, sie nahmen die Partie wie ein Endspiel. Mit großem Laufaufwand, extremem Druck auf die Abwehrspieler der Dortmunder und vielen Ballgewinnen bestimmten die Gäste fast die gesamte erste Halbzeit. Die Führung durch Robert Lewandowski drückte das sehr gut aus. Und die Vorstellung des amtierenden Meisters nötigte nicht nur Favre Respekt ab, dem aber besonders. Der Schweizer würdigte den Auftritt des Meisters mit der Feststellung: „Ich habe schon viele Bayern-Spiele gesehen, aber so stark waren sie noch nie.“Entweder war das der Überschwang des Wohlgefühls, oder er meinte die aktuelle Saison.
Für diese Spielzeit war die Münchner Leistung der ersten Hälfte stilbildend. „Ich hoffe, wir können noch weitere solche Spiele zeigen“, sagte Kovac. Ob dem in die Jahre gekommenen Team das mal über 90 Minuten gelingen wird, ist allerdings eine sehr offene Frage. Für Favre war sie bereits in der Pause beantwortet. „Ich wusste, dass sie nicht weiter mit diesem Tempo spielen können“, erklärte der Dortmunder Trainer.
Dafür entdeckte seine Mannschaft ihre eigenen Stärken. Sie kam hinter Bayerns Abwehrkette, sie brachte ihre Geschwindigkeitsvorteile ins Spiel, und die Münchner Abwehrbemühungen wirkten dagegen auf einmal eher behäbig. Den Ausgleich durch den Elfmetertreffer des überragenden Kapitäns Marco Reus beantwortete Bayern noch durch die erneute Führung nach einer zauberhaften Kombination, die wiederum Lewandowski abschloss. Aber gegen die schnellen Angriffe der Dortmunder gab es kein taugliches Mittel mehr. Konter brachten den BVB durch Tore von Reus und Paco Alcacer in Führung, nachdem beide Chancen aus ein paar Metern Torentfernung noch vergeben hatten. Im wunderbar wilden Westfalenstadion hatten die Bayern Übersicht und Ruhe eines Champions verloren. Dass sie vor dem entscheidenden Gegentor den Ball beinahe an der Grundlinie der gegnerischen Hälfte abgaben und in einen völlig unabgesicherten Konter liefen, spricht nicht eben für Cleverness. Das beklagte Kovac zu Recht. „Es darf uns nicht passieren“, stellte er fest.
Vielleicht ist der geradezu hemmungslose Versuch, nach dem 2:2 in der Schlussphase noch mal so richtig nach vorn zu stürmen, auch ein Akt der Verzweiflung. Die Bayern-Spieler gaben sich mit dem Unentschieden nicht zufrieden, weil sie der Begegnung in Dortmund tatsächlich entscheidende Bedeutung zumaßen. Sie warfen deshalb alles in diese Partie, zu viel jedenfalls, wie die Schlussphase zeigte.
Ganz sicher offenbarte das Ensemble alternder Stars, das sich gegen eine Art fußballerischer Götterdämmerung stemmte, seine Probleme mit einem dauerhaften Hochgeschwindigkeitsfußball. Dass sich Nationalverteidiger Mats Hummels mit den Folgen einer Erkältung aus krassen Fehlern gegen die BVB-Angreifer herausmogeln wollte, war nur ein peinlicher Randaspekt.
Auf der anderen Seite suchte BVBCoach Favre nach liebgewonnener Gewohnheit weiter nach dem Haar in der Suppe. „Wir sind zufrieden mit 27 Punkten nach elf Spielen“, erklärte er, „mehr nicht, denn es gibt noch viel zu tun. Wir wissen, dass wir viele Sachen zu korrigieren habe, kleine Details, die sehr wichtig sind.“Aber er schaute dann doch ziemlich glücklich. „Ich werde heute ein Glas Rotwein trinken“, versprach er. Das letzte größere Erfolgserlebnis feierte er nach eigener Aussage mit einem „Mineralwasser, ohne Kohlensäure“. Es geht also doch aufwärts auf der internen Euphorie-Skala.