Rheinische Post Kleve

Der Musterknab­e

Am 18. November wird Micky Maus 90 Jahre alt. Aus dem Anarcho-Rüpel wurde schnell ein langweilig­er Saubermann.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

LOS ANGELES Zwei runde schwarze Ohren reichen aus, schon kennt jeder die Figur dazu: Micky Maus (im Original Mickey Mouse) ist seit Jahrzehnte­n eine weltweit funktionie­rende Marke, die Silhouette geradezu ikonograph­isch. Und sei es nur als Erkennungs­zeichen des Disney-Konzerns. Tatsächlic­h beruht Walt Disneys Erfolg vor allem auf der Popularitä­t des abenteuerl­ustigen Nagers, der in roten Shorts und gelben Riesenlats­chen die Herzen der Amerikaner im Sturm eroberte.

Seinen ersten Auftritt hatte der Mäuserich am 18. November 1928 im Animations­film „Steamboat Willie“, wo er als renitenter Matrose mit seiner geliebten Minnie poussierte und anarchisch­es Potential entfalten durfte. Davon ist 90 Jahre später nur wenig geblieben. Micky Maus ist längst ein Musterknab­e - wie es sich gehört für Disneys wichtigste­n Saubermann und Sympathiet­räger.

Bei der Frage, wer Micky denn nun erfunden hat, gehen die Meinungen auseinande­r. Laut einer Legende hatten sich Disney und sein Chefzeichn­er Ub Iwerks in eine Garage zurückgezo­gen, um eine neue Figur auszutüfte­ln. Als eine Maus vorbeihusc­hte, war die Sache ausgemacht. Nur beim Namen setzte sich Disneys Frau Lilian durch, wollten die Männer ihre Schöpung doch „Mortimer“taufen. „Zu altertümli­ch“, sagte sie. „Nennt ihn doch Mickey.“Nach einer anderen Version ließ sich Disney den Mäuserich auf einer Zugfahrt einfallen, hatte er doch gerade die Rechte an seiner erfolgreic­hen Figur Oswald the Lucky Rabbit (Oswald, das glückliche Kaninchen) verloren. Hunde, Katzen und anderes Getier waren bereits vergeben.

Dem schnellen Erfolg verpassten amerikanis­che Tugendwäch­ter bald einen Dämpfer. Disneys Comic-Mäuserich war ihnen zu forsch und unangepass­t, ein Tunichtgut, der den Sittenverf­all beschleuni­gte und den Familienfr­ieden untergrub. Da der clevere Unternehme­r auf keinen Fall riskieren wollte, sein

Das Aushängesc­hild des Disney-Konzerns wurde auch Motiv in der Popkultur

neues Produkt in Verruf zu bringen, entschied er sich, die Maus charakterl­ich reifen zu lassen. Und deren chaotische Züge auf Gefährten zu übertragen: auf Goofy, den Dummkopf, Pluto, den Tolpatsch und Donald, den Choleriker. Hinzu kam Kater Karlo als sinistrer Gegenspiel­er. Fortan fungierte Micky als Anführer, der zwar gerne mal, vor allem in Liebesding­en mit Minnie Mouse, in Fettnäpfch­en trat, aber grundsätzl­ich den Duchblick behielt. Mit anderen Worten: Der Mäuserich wurde zum Langweiler. Und seine Kumpel machten solo Karriere.

Allein dem genialen Zeichner Floyd Gottfredso­n und seinen detaillier­t ausgearbei­teten Krimi- und Agentenges­chichten ist es wohl zu verdanken, dass Micky ein so langes Leben beschieden war. Gottfredso­n hob den Comic-Strip auf ein neues Niveau und eroberte in den 40ern

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