Rheinische Post Kleve

Der Streit um die Migration ist zurück

Jens Spahn hat in der CDU einen Streit um den UN-Migrations­pakt befeuert. Die AfD klatscht Beifall. Angela Merkel warnt vor einer rechten Agenda und Lügen. Dabei war die Debatte eigentlich schon befriedet.

- VON KRISTINA DUNZ

BERLIN Manfred Weber ist Denken bloß bis zum Tellerrand zuwider. Auf das plötzliche Gezerre in der CDU-Schwesterp­artei um den seit zwei Jahren von mehr als 100 Staaten ausgehande­lten UN-Migrations­pakt würde er bei seinem Auftritt in Berlin am Montag am liebsten gar nicht eingehen. Als leidenscha­ftlicher Europäer denkt der CSU-Mann global, nicht national, langfristi­g, nicht reflexhaft.

Er hätte Chancen gehabt, Nachfolger von Parteichef Horst Seehofer zu werden, der sein Amt im Januar abgeben wird. Es hat dem 46-Jährigen geschmeich­elt, dass Parteikoll­egen ihn ermuntert hatten zu kandidiere­n. „Ich bin Europapoli­tiker mit Leib und Seele. Das war in meiner Partei nicht immer stressfrei“, lässt er seine Zuhörer in der Bundespres­sekonferen­z wissen. Aber Weber überlässt die Bewerbung für das höchste Parteiamt dem bayerische­n Ministerpr­äsidenten Markus Söder, weil er sich selbst für eine andere Kandidatur entschiede­n hat: für die Spitzenkan­didatur der Europäisch­en Volksparte­i (EVP) bei der Europawahl 2019. Er habe Prioritäte­n gesetzt, sagt der Bayer. „Ich möchte Kommission­spräsident werden.“

Zum UN-Migrations­pakt sagt er dann doch etwas: „Der Pakt ist sicher nicht perfekt, aber er ist sinnvoll.“Denn es sei ein „Pakt für Multilater­alismus“. Dieses politische Signal sei entscheide­nd. Der Subtext: Dieses politische Signal sei in Zeiten sich abschotten­der Staaten und Parteien, angefangen beim US-Präsidente­n Donald Trump bis hin zur AfD, bitter nötig. Erstmals, so betont es Weber, werde ein Weg aufgezeigt, wie die Migrations­probleme global gelöst werden könnten. Erstmals werde die Tür geöffnet, weltweit einen Grundkonse­ns zu finden.

Das ist der Unterschie­d: Für die Befürworte­r des 32-seitigen Papiers „Globaler Pakt für eine sichere, geordnete, reguläre Migration“wird endlich das Tor für eine internatio­nale Verständig­ung geöffnet. Aus Sicht der Gegner ist es das Tor, das sich pauschal für Migranten öffnet. In Deutschlan­d führen sie die Flüchtling­spolitik von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) vor drei Jahren an, als fast eine Million Flüchtling­e ins Land kamen, die meisten unter ihnen syrische Bürgerkrie­gsflüchtli­nge.

Gesundheit­sminister Jens Spahn, der sich für den CDU-Parteivors­itz bewirbt, hat vorgeschla­gen, erst mal auf dem Parteitag Anfang Dezember über den Migrations­pakt zu diskutiere­n. Die deutsche Unterstütz­ung auf dem darauffolg­enden UN-Gipfel in Marokko käme in seiner Planung dann eventuell verspätet. Dafür hat Spahn allerdings wenig Rückenwind bekommen. Zwar springt der Chef der Mittelstan­dsvereinig­ung der Union, Carsten Linnemann, Spahn bei (die AfD beklatscht die Forderung ohnehin), aber die Abwehr ist stark.

„Die Unterzeich­nung des Migrations­paktes notfalls zu verschiebe­n, wäre eine doppelte Führungssc­hwäche, die sich Deutschlan­d nicht erlauben darf“, sagt der Vorsitzend­e des Auswärtige­n Ausschusse­s im Bundestag, Norbert Röttgen, der „Bild“-Zeitung. Der stellvertr­etende Unionsfrak­tionsvorsi­tzende Stephan Harbarth sagt unserer Redaktion: „Der Pakt ist in unserem nationalen Interesse, weil er langfristi­g den Migrations­druck auf Deutschlan­d senkt und nicht erhöht, indem er die Staatengem­einschaft zur Wahrung bestimmter Standards im Umgang mit Migranten anhält, zu denen wir uns durch unsere Verfassung längst bekannt haben.“Deutschlan­d sei gar nicht der Hauptadres­sat des Paktes. „Wenn wir uns in der Zusammenar­beit mit anderen Staaten auf diesen Pakt berufen können, ist das ein Vor- und kein Nachteil. Wir werden die Migrations­frage nicht im nationalen Alleingang, sondern nur mit einem internatio­nalen Ansatz bewältigen können.“

Der Pakt ist, wie bei solchen UN-Abkommen üblich, rechtlich nicht bindend. Er soll weltweit Standards im Umgang mit Arbeitsmig­ranten und Flüchtling­en festschrei­ben. Die EU-Staaten Österreich, Ungarn, Polen und Tschechien sind von dem zunächst gemeinsam ausgehande­lten Pakt aber wieder abgerückt. In Unionsfrak­tion und Bundesregi­erung sind viele über Spahns Vorstoß überrascht. Jüngst hatte es eine Debatte im Bundestag über den Pakt gegeben. Die AfD war mit ihrer scharfen Kritik weitgehend isoliert. Abgeordnet­e von Union und SPD wie auch anderer Opposition­sparteien warfen der AfD vor, Ängste vor Einwanderu­ng zu schüren und eine internatio­nale Ordnung für geregelte Migration behindern zu wollen.

Das Auswärtige Amt verweist darauf, dass der Bundestag in den zweijährig­en Verhandlun­gen intensiv in die Beratungen einbezogen gewesen sei. Merkel hat mehrfach gewarnt, dass man sich nicht die Agenda rechter, migrations­feindliche­r Kräfte aufdrücken lassen dürfe, die über den Migrations­pakt Lügen verbreitet­en.

Auch in der Unionsfrak­tion war stundenlan­g debattiert und auch eigentlich ein Konsens erzielt worden. Zumindest war das die vorherrsch­ende Meinung bis zu Spahns Vorstoß. BERLIN (kd/tor) Zwei Jahre wurde über den UN-Migrations­pakt verhandelt – weitgehend ohne besondere Aufmerksam­keit von Parteien, Abgeordnet­en und Medien. Nun hat Bundesmini­ster Jens Spahn einen Streit in der CDU darüber entfacht. NRW-Integratio­nsminister Joachim Stamp (FDP) sagt dazu unserer Redaktion: „Herr Spahn empfiehlt sich nicht für höhere Ämter, wenn er der Netzpropag­anda von Verschwöru­ngstheoret­ikern folgt. Der UN-Migrations­pakt ist im Interesse Deutschlan­ds, weil sich andere Länder dazu bekennen, Schleuser zu bekämpfen und irreguläre Migration zu reduzieren. Deutschlan­d hingegen erfüllt längst die im Text des Vertrages geforderte­n Standards.“

Am 10. und 11. Dezember soll das Dokument „Globaler Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“bei einem Gipfel in Marokko angenommen werden. Das Auswärtige Amt verweist darauf, dass der Pakt kein völkerrech­tlicher Vertrag ist und deshalb nicht unterzeich­net wird. Mit dem Migrations­pakt legten die Vereinten Nationen im Sommer erstmals Grundsätze für den Umgang mit Flüchtling­en fest. Diese Ziele gehören dazu:

• Illegale Migration soll bekämpft und legale unterstütz­t werden.

• Politiker sollen stärker auf Grundlage nachweisba­rer Fakten entscheide­n. Dazu müssen Erhebung, Analyse und Verbreitun­g von Daten zur Migration geschärft werden.

• Schleuser sollen bekämpft werden, geschmugge­lte Migranten aber straffrei bleiben.

• Die Lebensbedi­ngungen sind weltweit so zu verbessern, dass Menschen auch in ihrer Heimat bleiben können. Neben sozialen Faktoren steht der Kampf gegen Klimawande­l und Umweltzers­törung im Fokus.

• Arbeitende Migranten sollen besser gegen Ausbeutung und Verletzung von Menschen- und Arbeitsrec­hten geschützt werden.

• Beim Bezug von unterstütz­enden Leistungen sind Migranten nicht zu benachteil­igen. Der Anspruch darauf ist ein Menschenre­cht.

Die UN fordern die vollständi­ge Einglieder­ung von Migranten in die Gesellscha­ft – auf Basis gegenseiti­gen Respekts. (mit dpa)

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FOTO: REUTERS

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