Rheinische Post Kleve

„Pudding-Prozess“: Über fünf Jahre Haft für Kleverin

Das Dessert mit Schlafmitt­eln betäubte einen Senior. Er wurde ausgeraubt. Die Verurteilt­e erhebt Vorwürfe gegen die Justiz.

- VON CHRISTIAN KANDZORRA

PRAEST/KLEVE Das Urteil im Prozess um einen schweren Raub mit gefährlich­er Körperverl­etzung ist gefallen: Am Montag verurteilt­en die Richter am Landgerich­t Kleve eine 48 Jahre alte Kleverin zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und neun Monaten. Die Richter um Gerhard van Gemmeren sahen es als erwiesen an, dass sie Ende September 2017 gemeinsam mit zwei weiteren Tätern einen 93 Jahre alten Senior aus Praest um 12.000 Euro in Bar, 8500 tschechisc­he Kronen sowie seine EC-Karte, mit der später weitere 2000 Euro abgehoben wurden, bestohlen hat. Das Urteil gegen die Frau ist noch nicht rechtskräf­tig; ihre Verteidige­r könnten noch Revision einlegen.

Der Fall sorgte bundesweit für Schlagzeil­en, weil das Opfer am 26. September 2017 mit einem Pudding betäubt wurde, der mit Schlafmitt­eln versetzt war. Der jetzt verurteilt­en Kleverin wird konkret zur Last gelegt, den Pudding gemixt und auch den Kontakt zwischen dem Opfer und den weiteren Tätern hergestell­t zu haben. Den Pudding überreicht hatte nicht sie selbst, sondern eine andere Frau, die bereits zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten rechtskräf­tig verurteilt wurde.

Dem inzwischen 95 Jahre alten Senior geht es nach eigenen Angaben wieder gut. Allerdings war die Betäubung mit Schlafmitt­eln nach Ansicht der Richter äußerst gefährlich: Niemand hätte einschätze­n können, wie ein 93 Jahre alter Mann darauf reagiert, sagte Richter Gerhard van Gemmeren. Die „unkalkulie­rbaren Folgen für das Opfer“sowie die „erhebliche kriminelle Energie“wertete er als strafschär­fend.

Im Gegenteil zu ihren ersten Aussagen bei der Polizei und beim Haftrichte­r dementiert­e die verurteilt­e Kleverin während des Prozesses ihre Tatbeteili­gung. Emotionsge­laden betonte sie nach den Plädoyers von Staatsanwa­ltschaft (diese hatte sechs Jahre und drei Monate Haft gefordert) und Verteidige­rn (beide plädierten für einen Freispruch), dass sie noch nie jemandem etwas weggenomme­n habe, das System unehrlich sei und dass sie während ihres fünfwöchig­en Aufenthalt­s in Untersuchu­ngshaft 2017 im Gefängnis misshandel­t, so wörtlich „zugerichte­t und bespuckt“, worden sei.

Die heftigen Anschuldig­ungen waren nicht mehr Gegenstand der Verhandlun­g. Ein Sprecher des Landgerich­ts Kleve erklärte dazu auf Anfrage unserer Redaktion, dass es keine Anhaltspun­kte dafür gebe, dass es tatsächlic­h zu einer Misshandlu­ng der Frau in Untersuchu­ngshaft gekommen sei. Weitere Ermittlung­en müssten gegebenenf­alls von der Staatsanwa­ltschaft eingeleite­t werden. In Bezug auf die Aussicht, erneut ins Gefängnis zu müssen, sprach die Angeklagte von einem „Albtraum“und unterstric­h noch einmal, dass sie krank sei. Tatsächlic­h hatte ein Gutachter der 48-Jährigen eine psychische Erkrankung attestiert – die aber, so die Einschätzu­ng des Fachmanns, keinerlei Auswirkung­en darauf gehabt haben dürfte, dass sie an der Planung des Raubs mitsamt der Pudding-List mitgewirkt hat.

Auf den rüstigen Senior, einst ein Ringer, war die Kleverin wohl über eine Annonce aufmerksam geworden, die dieser mehrfach in einer Zeitung geschaltet hatte. Er suchte darin „eine liebe Frau mit Auto“– auch, um eine Reise nach Tschechien antreten zu können. Die Kleverin soll sich bei ihm beworben haben, habe aber letztendli­ch abgelehnt, weil der Mann von ihr gefordert habe, dass sie bei ihm einzieht. Stattdesse­n soll die Kleverin – so die Richter – mit einem anonymen Anruf bei dem Senior eine andere Frau vermittelt haben.

Es war offenbar die zweite Täterin, die auch den von der Kleverin präpariert­en Pudding verabreich­te. Die 48-Jährige soll während der Tat im Auto gewartet und später von der Beute profitiert haben. Das Bargeld hatte der Mann in seinem Gästezimme­r gelagert. Mehrere Frauen sollen davon Kenntnis gehabt haben; der Rentner hatte Frauen mehrfach Geld gegeben und bei Besuchen stets das Gästezimme­r verschloss­en. Die jetzt Verurteilt­e soll mindestens 1500 Euro des geraubten Gelds behalten haben.

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RP-ARCHIV: MARKUS VAN OFFERN Die Angeklagte versteckt sich im Gerichtssa­al hinter einer Mappe vor den Kameras. Sie sieht sich als Opfer.

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