Bahn fehlen 50 Milliarden für Instandhaltung
Der Investitionsstau beim Staatskonzern ist offenbar deutlich größer, als bislang angenommen. Verbraucherschützer fordern Sanktionen gegen den Vorstand beim Verfehlen der Pünktlichkeitsziele.
DÜSSELDORF Die Probleme bei der Deutschen Bahn sind offenbar deutlich größer als bislang angenommen. Wie unsere Redaktion aus Aufsichtsratskreisen erfuhr, beläuft sich der Investitionsstau nunmehr auf 50 Milliarden Euro. Zuletzt kursierte die Zahl von 32 Milliarden Euro. Unter Investitionsstau wird die Summe gefasst, die nötig wäre, um den Status Quo aufrechtzuerhalten. Von Neuinvestitionen ist da noch gar nicht die Rede.
Angesichts der angespannten Lage hatte der Grünen-Verkehrspolitiker und Fraktionschef im Bundestag, Anton Hofreiter, im Gespräch mit der „Süddeutschen Zeitung“gefordert: „Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass der Konzern sich neu aufstellt.“
Zum einen müssten kleinere Gesellschaften der Bahn zusammengeführt werden, um ein herrschendes Zuständigkeits-Chaos zu beenden. Nötig sei auch eine Trennung von Netz- und Transportgeschäft. Als Drittes schlug Hofreiter vor, sich von einigen Unternehmensteilen zu trennen: „Der Verkauf von Tochterunternehmen wie Arriva und Schenker könnte frisches Geld in die Kasse bringen, um Zukunftsprojekte anzupacken.“
Die Vorschläge wies die Eisenbahnund Verkehrsgewerkschaft (EVG) umgehend zurück. Deren Chef Alexander Kirchner, der auch im Bahnaufsichtsrat sitzt, sagte: „Die jetzt von den Grünen erhobene Forderung löst keines der augenblicklichen Probleme, damit werden vielmehr neue Probleme geschaffen.“Der EVG-Vorsitzende verwies darauf, dass es in ganz Europa kein Eisenbahnverkehrsunternehnen gebe, bei dem die Trennung von Netz- und Transportgeschäft funktioniert hätte. Er verlangte mehr Investitionen in die Infrastruktur.
Die maroden Schienen und Stellwerke machen sich immer stärker im Zugbetrieb bemerkbar. Deutschlands oberster Verbraucherschützer Klaus Müller hat deshalb den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG aufgefordert, bei Verstößen gegen die Pünktlichkeitsziele künftig Sanktionen gegen die Verantwortlichen im Konzern zu verhängen. „Der Aufsichtsrat muss endlich klare Ziele in puncto Pünktlichkeit und Qualität setzen. Werden diese Ziele nicht erreicht, muss er Sanktionen verhängen und durch eine Trennung von Netz und Betrieb mehr Wettbewerb erreicht werden“, sagte Müller. Die Bahn wird ihr Pünktlichkeitsziel im laufenden Jahr deutlich verfehlen. Am Donnerstag war bekannt geworden, dass nur jeder fünfte ICE derzeit voll funktionsfähig ist.
Der Chef des Bundesverbandes Verbraucherzentrale (VZBV) machte dafür auch die Bundesregierung verantwortlich. „Die Bundesregierung schafft es bisher nicht die Deutsche Bahn fit für die Verkehrswende zu machen“, sagte Müller. „Für Bahnreisende sind Störungen und Verspätungen schon fast der Normalzustand“, sagte der VZBV-Chef. „Das macht Bahnreisen für Verbraucherinnen und Verbraucher zur Belastung. Die Bahn ist dadurch als Verkehrsmittel wenig attraktiv.“
Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) wollte sich nicht zu den jüngsten Entwicklungen bei der Bahn äußern. Bei einer Sonderfahrt im neuen ICE 4 mit Bahnchef Richard Lutz hatte Scheuer am Dienstag Fortschritte bei der Pünktlichkeit bereits im ersten Halbjahr 2019 angemahnt. Lutz legte sich jedoch nicht auf neue Ziele fest. „Es wird Jahr für Jahr besser werden, das kann ich jedem versprechen“, hatte Lutz erklärt. Eigentlich wollte die Bahn dieses Jahr eine Pünktlichkeitsquote 82 Prozent erreichen. Dieser Wert soll jetzt erst wieder für das Jahr 2025 angestrebt werden. Pünktlich sind Züge nach Definition der Bahn, wenn sie weniger als sechs Minuten zu spät ankommen.