Rheinische Post Kleve

Zusammen für fünf Jahrzehnte

„Die Nacht der Nächte“porträtier­t vier Paare unterschie­dlicher Kulturen.

- VON CHRISTIAN HEGHOLTZ

Plötzlich steht das indische Ehepaar Kamala und Nagarajayy­a nicht mehr selbst vor der Kamera, sondern als Knetfigure­n. Gemeinsam reißen sie eine Mauer ein und gehen hindurch. Die kurze Szene steht symbolisch für eine Kernbotsch­aft des Films „Die Nacht der Nächte“, der im vergangene­n Jahr als bester Dokumentar­film mit dem Bayerische­n Filmpreis ausgezeich­net wurde: Gegen alle Widerständ­e einen gemeinsame­n Weg finden.

„Die Nacht der Nächte“porträtier­t gleich vier Paare aus unterschie­dlichen Kulturen, die allesamt zumindest eines gemein haben: Sie haben mehr als 50 Jahre miteinande­r verbracht. Es ist wunderbar anzuschaue­n, wie vertraut diese Paare aus Indien, Japan, den USA und Deutschlan­d miteinande­r sind. Und es ist bemerkensw­ert, wie es den beiden Filmemache­rinnen Yasemin und Nesrin Samdereli gelingt, dem Zuschauer ihre Geschichte­n nahezubrin­gen.

Denn die Kunst des Films besteht darin, das Leben dieser vier Paare als eine Geschichte zu erzählen, und das ist die der unbedingte­n Liebe zueinander. Dafür kämpfen sie gegen Kastenunte­rschiede, die zerrüttend­e Arbeit auf Reisfelder­n und die Tatsache, sich als homosexuel­les Paar erst nach fünf gemeinsam durchlebte­n Jahrzehnte­n endlich vermählen zu können. Der Film lässt seine Protagonis­ten schweigen, weinen, lachen, abschweife­n. Er nimmt sich Zeit.

Somit ist er auch ein Film der subtilen Zwischentö­ne. Er ist besonders dann herrlich, wenn ein Paar aus der Rolle fällt. Wie Heinz etwa, der trotz Drängen seiner Frau noch erzählen muss, dass die ursprüngli­chen Latten für seinen Sarg nun überall auf dem Familienho­f verbaut sind – oder das nicht enden wollende Gelächter des indischen Paares, wenn es vom ersten Kinobesuch berichtet. Er habe Taten sprechen lassen, sagt Nagarajayy­a mit funkelnd stolzen Augen. „Hör auf, sonst erzählst du noch alles“, entgegnet die Frau. Und auch Hildegard aus dem Ruhrgebiet meint, dass man das alles doch gar nicht erzählen könne. Wohl wahr, über 50 Jahre Liebesgesc­hichte, doch was berichten?

Es ist genau jener Umstand, der den Film so fasziniere­nd wirken lässt. Vieles bleibt offen, die gezeichnet­en Biografien werden gezielt mit Leerstelle­n versehen. Über Beruf und Familie erfährt der Zuschauer wenig. Und so ist es an ihm, genau hinzusehen, was diese illustren Paare vor der Kamera eigentlich treiben.

„Die Nacht der Nächte“offenbart in guten Momenten die Entbehrung­en, die so eine lange, gemeinsame Zeit mit sich bringt. Brillant wird der Film dann, wenn er trotz aller Widrigkeit­en die komischen Seiten des gemeinsame­n Miteinande­rs abbildet; sowie die Tatsache, dass es vielleicht ein Rezept für das langjährig­e Miteinande­r gibt: Die Marotten des anderen zu akzeptiere­n. Das, und ein Picknick unter Kirschblüt­en mit Bananen.

Die Nacht der Nächte

Deutschlan­d 2018, von Nesrin Samdereli und Yasemin Samdereli, mit Mechthild Barth, Marcus Winterbaue­r und Anja-Karina Richter, 92 Minuten.

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FOTO: VERLEIH Knetfigure­n in der Romanze „Die Nacht der Nächte“.

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