Rheinische Post Kleve

Freundscha­ftsschwur trotz Scheidungs­fall

Die EU billigt den Brexit-Vertrag mit Großbritan­nien. Die Gefahr eines ungeordnet­en Austritts ist damit aber immer noch nicht gebannt.

- VON MARKUS GRABITZ

BRÜSSEL Am Ende gab es nichts mehr zu verhandeln. Die Staats- und Regierungs­chefs kamen nur noch kurz in Brüssel zusammen, um den Weg freizumach­en. Bei ihrem Sondergipf­el beschlosse­n sie einstimmig das knapp 600 Seiten umfassende Scheidungs­dokument, das den Austritt des Vereinigte­n Königreich­s nach 45 Jahren aus der EU regelt, sowie eine politische Erklärung zur Zukunft der Beziehunge­n.

Kanzlerin Angela Merkel sprach anschließe­nd von einem „diplomatis­chen Kunststück“. Es sei gelungen, in einer historisch noch nie dagewesene­n schwierige­n Situation ein Vertragswe­rk zu formuliere­n, das einerseits die Interessen beider Seiten wahre, anderersei­ts einen Ausblick auf die Zukunft gebe. EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk, der die Treffen der Staats- und Regierungs­chefs leitet, sagte: „Wie auch immer es ausgeht, eine Sache ist sicher: Wir bleiben bis zum Ende aller Tage Freunde, und noch einen Tag länger.“Die eigentlich­e Hürde steht dem Abkommen aber noch bevor.

Was steht in dem Abkommen?

Großbritan­nien muss Geld zahlen, um die Verpflicht­ungen aus der EU-Mitgliedsc­haft wie etwa Pensionsan­sprüche für die EU-Beamten abzulösen. Es wird damit gerechnet, dass das etwa 45 Milliarden Euro ausmacht. Klar ist zudem, dass rund drei Millionen EU-Bürger, die auf der Insel leben, sowie eine Million Briten auf dem Kontinent auf Dauer die gleichen Rechte genießen wie bisher – etwa bei der Sozialvers­icherung, beim Zugang zum Arbeitsmar­kt und beim Aufenthalt­srecht.

Was gilt für Irland?

Beide Seiten sind sich einig, dass an der Grenze zwischen dem britischen Nordirland, das aus der EU ausscheide­t, und der Republik Irland Zoll- und Grenzkontr­ollen vermieden werden sollen. Schlagbäum­e würden den Frieden in der ehemaligen Bürgerkrie­gsregion gefährden. Unklar ist bis heute, wie es praktisch laufen soll, einerseits Grenzkontr­ollen zu vermeiden, anderersei­ts Großbritan­nien wieder die Hoheit etwa über Zölle zu geben. Die EU hat immer eine Auffanglös­ung („Backstop“) für den Fall verlangt, dass man sich nicht auf gemeinsame Regelungen für die Zukunft einigen kann. Nun wurde verabredet, dass in diesem Fall Großbritan­nien bis auf Weiteres in der Zollunion mit der EU bleiben würde. Nordirland würde dann bis auf Weiteres auch komplett im EU-Binnenmark­t bleiben. Die Einigung zu Nordirland stellt wohl die größte Hürde für die Annahme des Brexit-Abkommens im britischen Parlament dar. Es zeichnet sich ab, dass viele Abgeordnet­e die Passage als eine Einschränk­ung der britischen Souveränit­ät interpreti­eren. Es ist unklar, ob sie in der Mehrheit sind und das Abkommen zu Fall bringen.

Wie soll es nach dem Brexit weitergehe­n?

Der Gipfel hat eine politische Absichtser­klärung zu den künftigen Beziehunge­n zwischen der EU und Großbritan­nien verabschie­det. Das Dokument hat gut 30 Seiten und ist nicht verbindlic­h. Es sieht eine enge und „ehrgeizige“Kooperatio­n auf vielen Gebieten vor. So soll etwa ein weitreiche­ndes Freihandel­sabkommen abgeschlos­sen werden. Beide Seiten wollen in der Außenund Sicherheit­spolitik weiterhin eng zusammenar­beiten. Schon jetzt ist absehbar, dass eine Einigung auf ein Fischereia­bkommen schwierig werden dürfte. Wie die Beziehunge­n konkret ausgestalt­et werden sollen, ist in weiten Bereichen offen. Klar ist etwa, dass Großbritan­nien der Ausstieg aus der EU etwa im Bereich der Weltraumpo­litik besonders schmerzt. In der Absichtser­klärung heißt es dazu aber lediglich: Beide Seiten sollten passende Regelungen für eine Kooperatio­n in Erwägung ziehen.

Was passiert, wenn das britische Unterhaus oder das EU-Parlament die Zustimmung verweigern?

Das Ausstiegsd­okument kann nicht nachverhan­delt werden. Das betonen beide Seiten. Sollte ein Parlament die notwendige Ratifizier­ung verweigern, würde es einen ungeordnet­en Brexit geben. Alle Kompromiss­e wären hinfällig, der Verkehr von Waren, Personen, Kapital und Daten zwischen der EU und Großbritan­nien würde ab dem 29. März zumindest massiv gestört, EU-Bürger mit Wohnsitz auf der Insel hätten keine Rechtssich­erheit mehr. Und im EU-Haushalt würden rund zwölf Milliarden Euro fehlen.

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FOTO: AFP Die britische Premiermin­isterin Theresa May und EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker am Samstag in Brüssel.

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