Rheinische Post Kleve

An Tagen wie diesen

Dodi Lukebakio trifft dreimal, Fortunas Fans liegen sich weinend in den Armen. Das Protokoll des 3:3 beim FC Bayern.

- VON PATRICK SCHERER

MÜNCHEN Superlativ­e, wo man auch hinhört. Positiv behaftet auf der einen, negativ auf der anderen Seite. Das späte 3:3 von Fortuna Düsseldorf beim großen FC Bayern München in der Fußball-Bundesliga löst ein Feuerwerk der Emotionen aus. Dem Düsseldorf­er Dreifach-Torschütze Dodi Lukebakio fällt nur ein Wort ein, um das Spiel seines Lebens angemessen zu beschreibe­n: „Unglaublic­h“. Bayern-Präsident Uli Hoeneß hingegen spricht gar vom Gefühl, als würde „die Welt untergehen“. Es ist ein kleines Fußballwun­der, das sich da auf dem Rasen der Arena in München-Fröttmanin­g am Samstagnac­hmittag abgespielt hat. David ärgerte Goliath.

Um die Dimension dessen zu erklären, was da passiert ist, hilft ein einfaches Zahlenspie­l: Der durchschni­ttliche Marktwert eines Bayern-Spielers liegt bei etwa 35 Millionen Euro, der eines Düsseldorf­ers bei rund 1,4 Millionen. Der gesamte Spielereta­t Fortunas hat gerade mal ein Volumen von knapp über 30 Millionen Euro. Daher ist klar, dass dieser 24. November 2018 lange im Gedächtnis aller, die es mit Fortuna halten, bleiben wird. Ein Protokoll:

13.30 Uhr:

Die Stadiontor­e öffnen. Erste Fortuna-Anhänger nehmen ihre Plätze ein. Auch Vereinsleg­ende Andreas Lambertz ist vor Ort. „Lumpi“war es, der beim letzten Aufeinande­rtreffen in München den Führungstr­effer zum 2:1 erzielt hat. Am Ende heißt es 2013 aber 2:3.

14.30 Uhr:

Die Mannschaft­saufstellu­ngen werden bekanntgeg­eben. Funkel setzt auf ein 4-1-4-1 mit Dodi Lukebakio als einziger Spitze. „Es war nicht leicht, Rouwen Hennings zu sagen, dass er nicht spielen wird“, sagt Funkel später. Was keiner ahnt: Hennings wird an diesem Tag noch eine entscheide­nde Rolle zukommen.

14.56 Uhr:

Schon beim Aufwärmpro­gramm machen große Teile der insgesamt knapp 8000 mitgereist­en Düsseldorf­er Anhänger Alarm. Sie werden fast über den gesamten Tag die Hoheit über die Stimmung in der Arena behalten.

15.30 Uhr:

Schiedsric­hter Sven Jablonski pfeift das Spiel an. Fortuna hat keine Scheu, Lukebakio prüft Manuel Neuer nach nur 50 Sekunden. Es ist der einzige Schuss des 21-jährigen Belgiers, den der ehemalige Welttorhüt­er halten kann.

15.47 Uhr:

Lukebakio schlägt den Ball nach einer Ecke blind in die Mitte. Niklas Süle fängt ihn ab und erzielt das 1:0 für die Bayern.

15.50 Uhr:

Thomas Müller enteilt Marcin Kaminski und Niko Gießelmann, erzielt das 2:0. Es macht sich die Stimmung breit, dass es doch mal wieder ein ganz normaler Bayern-Tag werden könnte.

16.14 Uhr:

Jean Zimmer setzt sich im Zweikampf gegen Jerome Boateng durch. Per Seitfallzi­eher gelangt der Ball zu Lukebakio, der Sekunden vor dem Halbzeitpf­iff auf 1:2 verkürzt. „Dieses Tor war ganz entscheide­nd für uns. Das hat uns zurückgebr­acht“, sagt Fortunas Rechtsvert­eidiger Matthias Zimmermann. Mit lauten Anfeuerung­sgesängen werden die Fortuna-Spieler in die Kabine geschickt.

16.45 Uhr:

Robert Lewandowsk­i setzt sich gegen Robin Bormuth durch, legt auf Müller ab, der das 3:1 markiert. Das Spiel scheint vorentschi­eden. Doch Adam Bodzek betont: „Wir haben in der Halbzeit gesagt, auch ein 1:3 wird uns nicht umwerfen. Wir wussten, die Bayern sind verwundbar.“

16.49 Uhr:

Die Fortuna-Fans feiern sich und ihren Verein, intonieren „Wir würden nie zum FC Bayern München gehen“von den Toten Hosen. Und beweisen feine Ironie mit dem Sprechchor: „In Europa kennt euch keine Sau.“

17.04 Uhr:

Boateng spielt leichtfert­ig auf Abseits, Lukebakio nutzt den freien Raum, verlädt Neuer locker – nur noch 2:3. „Das war schon drastisch“, sagt Funkel zu Boatengs Abwehrverh­alten. Auch der Videoschie­dsrichter entscheide­t in dieser Situation mal zugunsten der Düsseldorf­er – ungewohnt.

17.19 Uhr:

Bayern-Coach Niko Kovac bringt in der Nachspielz­eit Mats Hummels für Thomas Müller. Ein Ritterschl­ag für Fortunas Leistung: Der Rekordmeis­ter will sich den Sieg ermauern.

17.20 Uhr:

90.+3 – der eingewechs­elte Hennings schickt Lukebakio. „Das war genau so gewollt. Ein toller Pass“, betont Funkel. Der Belgier läuft los. „Ich habe in diese Moment nur gedacht: Bitte mach‘ ihn rein!“, erzählt Zimmermann. Lukebakio schießt mit seinem schwächere­n rechten Fuß. Der Ball rollt zwischen den Beinen von Neuer durch ins Tor – 3:3. Die Stimmung im Gästeblock explodiert, Bier spritzt, Menschen fallen sich weinend um den Hals.

17.22 Uhr:

Ein letzter langer Ball der Bayern, Hummels kommt nicht heran, Jablonski pfeift ab. Die Fortunen rennen von der Bank aufs Feld, die Spieler liegen sich in den Armen oder erschöpft auf dem Boden. „Ich hatte brutale Krämpfe, konnte kaum mehr laufen“, erklärt Zimmermann. Bis vor den Gästeblock kommt er aber noch. Spieler und Fans feiern den Punkt wie einen Titel, besingen Fortuna als geilsten Klub der Welt.

17.47 Uhr:

Kapitän Fink strahlt und sagt: „Ich fühle einfach nur Stolz, wenn ich an mein Team denke.“

18.20 Uhr:

Lukebakio kommt aus der Kabine und sagt: „Ich muss meine Füße auf dem Boden behalten, wir sind noch nicht fertig.“

Kleiner Wermutstro­pfen: Der Mann des Tages ist nur ausgeliehe­n – ohne Kaufoption. Und solche Leistungen wie in München machen es nahezu unmöglich, dass Lukebakio auch in der kommenden Saison das Fortuna-Trikot tragen wird. Aber dieser 24. November 2018 wird für immer mit seinem Namen verknüpft sein.

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FOTO: REUTERS So sieht Glück aus: Fortunas Torwart Michael Rensing feiert mit Robin Bormuth – dahinter Mats Hummels.

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