An Tagen wie diesen
Dodi Lukebakio trifft dreimal, Fortunas Fans liegen sich weinend in den Armen. Das Protokoll des 3:3 beim FC Bayern.
MÜNCHEN Superlative, wo man auch hinhört. Positiv behaftet auf der einen, negativ auf der anderen Seite. Das späte 3:3 von Fortuna Düsseldorf beim großen FC Bayern München in der Fußball-Bundesliga löst ein Feuerwerk der Emotionen aus. Dem Düsseldorfer Dreifach-Torschütze Dodi Lukebakio fällt nur ein Wort ein, um das Spiel seines Lebens angemessen zu beschreiben: „Unglaublich“. Bayern-Präsident Uli Hoeneß hingegen spricht gar vom Gefühl, als würde „die Welt untergehen“. Es ist ein kleines Fußballwunder, das sich da auf dem Rasen der Arena in München-Fröttmaning am Samstagnachmittag abgespielt hat. David ärgerte Goliath.
Um die Dimension dessen zu erklären, was da passiert ist, hilft ein einfaches Zahlenspiel: Der durchschnittliche Marktwert eines Bayern-Spielers liegt bei etwa 35 Millionen Euro, der eines Düsseldorfers bei rund 1,4 Millionen. Der gesamte Spieleretat Fortunas hat gerade mal ein Volumen von knapp über 30 Millionen Euro. Daher ist klar, dass dieser 24. November 2018 lange im Gedächtnis aller, die es mit Fortuna halten, bleiben wird. Ein Protokoll:
13.30 Uhr:
Die Stadiontore öffnen. Erste Fortuna-Anhänger nehmen ihre Plätze ein. Auch Vereinslegende Andreas Lambertz ist vor Ort. „Lumpi“war es, der beim letzten Aufeinandertreffen in München den Führungstreffer zum 2:1 erzielt hat. Am Ende heißt es 2013 aber 2:3.
14.30 Uhr:
Die Mannschaftsaufstellungen werden bekanntgegeben. Funkel setzt auf ein 4-1-4-1 mit Dodi Lukebakio als einziger Spitze. „Es war nicht leicht, Rouwen Hennings zu sagen, dass er nicht spielen wird“, sagt Funkel später. Was keiner ahnt: Hennings wird an diesem Tag noch eine entscheidende Rolle zukommen.
14.56 Uhr:
Schon beim Aufwärmprogramm machen große Teile der insgesamt knapp 8000 mitgereisten Düsseldorfer Anhänger Alarm. Sie werden fast über den gesamten Tag die Hoheit über die Stimmung in der Arena behalten.
15.30 Uhr:
Schiedsrichter Sven Jablonski pfeift das Spiel an. Fortuna hat keine Scheu, Lukebakio prüft Manuel Neuer nach nur 50 Sekunden. Es ist der einzige Schuss des 21-jährigen Belgiers, den der ehemalige Welttorhüter halten kann.
15.47 Uhr:
Lukebakio schlägt den Ball nach einer Ecke blind in die Mitte. Niklas Süle fängt ihn ab und erzielt das 1:0 für die Bayern.
15.50 Uhr:
Thomas Müller enteilt Marcin Kaminski und Niko Gießelmann, erzielt das 2:0. Es macht sich die Stimmung breit, dass es doch mal wieder ein ganz normaler Bayern-Tag werden könnte.
16.14 Uhr:
Jean Zimmer setzt sich im Zweikampf gegen Jerome Boateng durch. Per Seitfallzieher gelangt der Ball zu Lukebakio, der Sekunden vor dem Halbzeitpfiff auf 1:2 verkürzt. „Dieses Tor war ganz entscheidend für uns. Das hat uns zurückgebracht“, sagt Fortunas Rechtsverteidiger Matthias Zimmermann. Mit lauten Anfeuerungsgesängen werden die Fortuna-Spieler in die Kabine geschickt.
16.45 Uhr:
Robert Lewandowski setzt sich gegen Robin Bormuth durch, legt auf Müller ab, der das 3:1 markiert. Das Spiel scheint vorentschieden. Doch Adam Bodzek betont: „Wir haben in der Halbzeit gesagt, auch ein 1:3 wird uns nicht umwerfen. Wir wussten, die Bayern sind verwundbar.“
16.49 Uhr:
Die Fortuna-Fans feiern sich und ihren Verein, intonieren „Wir würden nie zum FC Bayern München gehen“von den Toten Hosen. Und beweisen feine Ironie mit dem Sprechchor: „In Europa kennt euch keine Sau.“
17.04 Uhr:
Boateng spielt leichtfertig auf Abseits, Lukebakio nutzt den freien Raum, verlädt Neuer locker – nur noch 2:3. „Das war schon drastisch“, sagt Funkel zu Boatengs Abwehrverhalten. Auch der Videoschiedsrichter entscheidet in dieser Situation mal zugunsten der Düsseldorfer – ungewohnt.
17.19 Uhr:
Bayern-Coach Niko Kovac bringt in der Nachspielzeit Mats Hummels für Thomas Müller. Ein Ritterschlag für Fortunas Leistung: Der Rekordmeister will sich den Sieg ermauern.
17.20 Uhr:
90.+3 – der eingewechselte Hennings schickt Lukebakio. „Das war genau so gewollt. Ein toller Pass“, betont Funkel. Der Belgier läuft los. „Ich habe in diese Moment nur gedacht: Bitte mach‘ ihn rein!“, erzählt Zimmermann. Lukebakio schießt mit seinem schwächeren rechten Fuß. Der Ball rollt zwischen den Beinen von Neuer durch ins Tor – 3:3. Die Stimmung im Gästeblock explodiert, Bier spritzt, Menschen fallen sich weinend um den Hals.
17.22 Uhr:
Ein letzter langer Ball der Bayern, Hummels kommt nicht heran, Jablonski pfeift ab. Die Fortunen rennen von der Bank aufs Feld, die Spieler liegen sich in den Armen oder erschöpft auf dem Boden. „Ich hatte brutale Krämpfe, konnte kaum mehr laufen“, erklärt Zimmermann. Bis vor den Gästeblock kommt er aber noch. Spieler und Fans feiern den Punkt wie einen Titel, besingen Fortuna als geilsten Klub der Welt.
17.47 Uhr:
Kapitän Fink strahlt und sagt: „Ich fühle einfach nur Stolz, wenn ich an mein Team denke.“
18.20 Uhr:
Lukebakio kommt aus der Kabine und sagt: „Ich muss meine Füße auf dem Boden behalten, wir sind noch nicht fertig.“
Kleiner Wermutstropfen: Der Mann des Tages ist nur ausgeliehen – ohne Kaufoption. Und solche Leistungen wie in München machen es nahezu unmöglich, dass Lukebakio auch in der kommenden Saison das Fortuna-Trikot tragen wird. Aber dieser 24. November 2018 wird für immer mit seinem Namen verknüpft sein.