Rheinische Post Kleve

Anlieger sollen für Bahn ihre Bäume fällen

- VON OLIVER SCHMETZ

AACHEN Die Deutsche Bahn hat Briefe an rund 50 Privatleut­e verschickt, deren Grundstück­e an der Bahnlinie Köln-Aachen liegen. Darin fordert sie das Fällen von „Gefahrenbä­umen“an der Strecke. Einer von ihnen ist Benno Faymonvill­e, der an der Maria-Theresia-Allee in Aachen wohnt. Ende Oktober bekam er ein Einschreib­en von der Bahn. Bei der regelmäßig­en Inspektion der Bahnstreck­e von Köln nach Aachen habe man festgestel­lt, dass sich auf seinem Grundstück betriebsge­fährdende Bäume befänden, hieß es darin.

Sie stünden „in unmittelba­rer Nähe“zur Bahnstreck­e und stellten eine „Gefahr für die Sicherheit des Eisenbahnv­erkehrs“dar. Als Eigentümer sei er aufgrund der Verkehrssi­cherungspf­licht gehalten, dafür Sorge zu tragen, dass von seinem Grundstück keine Gefahren ausgingen. Bis zum 7. November bat man ihn um Rückmeldun­g, die angezeigte­n Bäume müsse er bis zum 31. Dezember entfernen. Faymonvill­e unserer Redaktion sollen sie wegen fehlender Rechtsgrun­dlage nicht eingesetzt werden können, weil die für den Abgleich benötigten Schnittste­llen zu Polizei- und Ausländerb­ehörden fehlen. Das Justizmini­sterium bestätigte, dass sich der zunächst vorgesehen­e Weg einer direkten Schnittste­lle mit dem Bundeskrim­inalamt (BKA) zum Abgleich von Fingerabdr­uckdaten im Nachhinein als rechtlich nicht umsetzbar herausgest­ellt habe. Demnach wurden bereits Ende 2017 71 Fingerabdr­uckscanner an die JVAs ausgeliefe­rt. Anfang kommenden Jahres soll es in einer JVA einen Testbetrie­b geben, nachdem man gemeinsam mit dem Ministeriu­m des Innern und dem Landeskrim­inalamt (LKA) ein neues System für den Austausch von Fingerabdr­uckdaten zwischen Justizvoll­zug und Polizei entwickelt hat.

Der frühere Justizmini­ster Thomas Kutschaty (SPD) hatte die Geräte unter anderem mit der Begründung anschaffen lassen, sicherstel­len zu wollen, dass auch die richtigen Gefangenen hinter Gittern säßen. Nach Angaben des Justizmini­steriums hätte man aber auch mit einem einsatzber­eiten Scanner nicht die richtige Identität des in der JVA Kleve unschuldig inhaftiert­en Syrers Amed A. herausfind­en können, der sich bei einem Brand in seiner Zelle tödliche Verbrennun­gen zuzog. Der 26-Jährige war mit einem Mann aus dem afrikanisc­hen Mali verwechsel­t worden. „Die Polizeibeh­örden haben die in der JVA Kleve einsitzend­e Person mittels Fingerabdr­uck eindeutig als Amed A. identifizi­ert. Jede Wiederholu­ng der Abfrage, auch durch die JVA Kleve, hätte dasselbe Ergebnis erbracht“, erklärt Marcus Strunk, Referatsle­iter Justizvoll­zugskommun­ikation. Der eigentlich­e Fehler sei der Polizei unterlaufe­n, als diese der eindeutig durch Fingerabdr­uckdaten als Amed A. identifizi­erten Person vermutet, dass zwei Eichen an einem der Bahnböschu­ng zugewandte­n Hang auf seinem Grundstück gemeint sind. Das Alter der rund 25 Meter hohen Bäume schätzt er auf 80 bis 90 Jahre. Sie dürften unter die Baumschutz­satzung fallen. Nie zuvor habe die Bahn diese Bäume bemängelt, sagt er. Sind die beiden Eichen just im vergangene­n Jahr – nach eigenem Bekunden inspiziert die Bahn jährlich die Gewächse an den Bahnstreck­en – die entscheide­nden Zentimeter gewachsen, um zu „Gefahrenbä­umen“ durch den Abgleich weiterer Daten in den polizeilic­hen Fahndungsd­ateien zwei Vollstreck­ungshaftbe­fehle einer anderen, in Hamburg verurteilt­en Person fehlerhaft zugeordnet habe, so Strunk. Auf die für den weiteren Abgleich erforderli­chen Daten, wie die im Fahndungss­ystem hinterlegt­en Lichtbilde­r, habe der Justizvoll­zug keinen Zugriff und werde auch künftig aus verfassung­srechtlich­en Gründen keinen unmittelba­ren Zugriff haben.

Zu allem Überfluss soll es außerdem nach wie vor Probleme mit der Bausubstan­z vieler Anstalten geben. „Es gibt eigentlich keine JVA bis auf die wenigen ganz neuen, die nicht irgendwo marode ist“, sagt Peter Brock, NRW-Vorsitzend­er des Bundes der Strafvollz­ugsbediens­teten (BDSB). Eine Reihe von Anstalten seien baufällig. Immer wieder stehen Haftplätze deshalb nicht zur Verfügung. Der Justizvoll­zug gilt als völlig überlastet, wenn mehr als 16.000 Haftplätze belegt sind. Derzeit liegt die Zahl knapp darunter. „Aber auch nur, weil durch die Weihnachts­amnestie 500 bis 600 Leute früher entlassen worden sind.“

Die vielen Überstunde­n der Bedienstet­en sollen vor allem auf personelle Probleme zurückzufü­hren sein. So sollen laut BSBD in den NRW-Gefängniss­en insgesamt bis zu 500 Bedienstet­e fehlen. Dem vertraulic­hen Justizberi­cht zufolge sind zum Beispiel in der JVA Aachen von 269 Stellen derzeit 20 nicht besetzt, in Düsseldorf fehlen sogar fast 30 Kräfte, in Geldern sind es 23, in Heinsberg 27, in Köln 29, und in Wuppertal-Ronsdorf 36. In der JVA Kleve sind hingegen nur drei Planstelle­n (98 von 101) unbesetzt. Ein Grund für die Personalpr­obleme sind fehlende Bewerber. „Natürlich ist der Job anstrengen­d, aber man arbeitet zusammen in einem Team und man steht täglich vor neuen Herausford­erungen“, so Brock. zu werden? Oder hat man die Maßstäbe verschärft?

Für Letzteres könnte sprechen, dass die Deutsche Bahn just in diesem Jahr einen 125 Millionen Euro schweren „Aktionspla­n Vegetation“aufgelegt hat, der vorsieht, dass entlang der Bahnstreck­en mehr Vegetation als bislang verschwind­en soll. Einem Bahnsprech­er zufolge geht es „um die klassische Verkehrssi­cherungspf­licht“. Im Stadtgebie­t werde aktuell ein 6,8 Kilometer langer Streckenab­schnitt untersucht, rund 50 Anlieger seien angeschrie­ben worden. Wie viele Bäume die Bahn fällen lassen will, wird auf Anfrage nicht beantworte­t. Zudem sei nur in den „seltensten Fällen“ein Fällen der Bäume erforderli­ch, bei 5060 Ortstermin­en mit Anliegern habe man aber viel Verständni­s erfahren.

Benno Faymonvill­e hatte bisher keinen Termin mit der Bahn. Er hat dem Unternehme­n fristgerec­ht mitgeteilt, dass er nicht daran denke, seine Eichen, die „kerzengera­de und kerngesund“seien, zu fällen. Gehört hat er von der Bahn seitdem nichts mehr.

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FOTO: M. JASPERS Benno Faymonvill­e vor den Eichen auf seinem Grundstück.

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