Rheinische Post Kleve

Er kehrt nie wieder

Vier Folgen noch, dann ist endgültig Schluss für „Tatortrein­iger“Bjarne Mädel. Nachruf auf ein Serien-Kleinod.

- VON TOBIAS JOCHHEIM

HAMBURG „Wuäh?“Dieser Laut zwischen „Wat?“und „Hä?“brach heraus aus Heiko „Schotty“Schotte, wann immer er überrumpel­t oder überforder­t war. Und das war der Tatortrein­iger aus der gleichnami­gen NDR-Serie häufig.

Am Dienstag ging es halb Fernseh-Deutschlan­d ähnlich, als die Runde machte, dass die einzigarti­ge Serie beendet würde, endgültig: Wieso, weshalb, wuäh? Die schlechte Nachricht ist: Das Ende ist tatsächlic­h nah. Die gute Nachricht ist: Die letzte Klappe fällt aus dem besten, ja, einzig legitimen Grund, einem inhaltlich­en nämlich – unabhängig von schnöden Quoten.

Die Autorin Mizzi Meyer ist schlicht überzeugt, dass sie nach 31 Folgen keine weiteren guten Geschichte­n finden wird für dieses Kammerspie­l: Tatortrein­iger trifft Hinterblie­bene. Der Mann, der so unerschütt­erlich Blut und Gedärme entfernt, wird umso gründliche­r erschütter­t von den Fragen, vor die ihn Bestatter und Schamanen stellen, Manager und Prostituie­rte, alte Kumpels und seine Ex-Freundin, ein Roboter und auch ein, zwei Geister.

Im Angesicht des Todes ist kein Raum für Smalltalk, schnell geht es um den Sinn des Lebens – und alles, was dazu gehört: Gefühle, Geld und Gerechtigk­eit. Lustvoll lassen die Macher ihren Schotty – eine Seele von Mensch, aber eben auch Proletarie­r –, los auf ihm fremde Milieus und die Menschen darin, homosexuel­le Zauberer etwa und vegan lebende Rollstuhlf­ahrerinnen. Das Ergebnis ist stets lustig, manchmal brüllend komisch, dazu auf angenehm lakonische Weise lehrreich, tiefsinnig, diskutabel. Eine „Tatortrein­iger“-Folge kann selbst die schweigsam­sten Pärchen wieder ins Gespräch bringen.

Bjarne Mädel (50) spielt diesen Schotty als glaubhafte­n Sympathen: Ein kleiner Mann von nebenan, der schwer schleppt und schnauft und schwitzt, der die Blicke von oben satt hat und meist doch die Größe hat, darüber zu stehen in dem Wissen: Manche Leute sind so arm, dass sie nichts haben außer Geld. Aber ein Übermensch ist er nicht, moralisch nicht und intellektu­ell schon gar nicht. Hilflos steht er etwa den Salon-Neonazis gegenüber, die Hitlers Verbrechen mit immer neuen, eloquent vorgebrach­ten historisch­en Vergleiche­n relativier­en. Für die Folge „Schottys Kampf“gab es deshalb 2013 den zweiten Grimme-Preis in Folge, als Auszeichnu­ng für „eine nochmalige Qualitätss­teigerung“der Serie, so die Jury.

Umso peinlicher, dass der NDR sein eigenes Kleinod so kriminell missachtet­e: Ohne jede Ankündigun­g waren die ersten Folgen 2011 versendet worden, über Weihnachte­n, morgens zwischen 3.30 Uhr und 5.30 Uhr. Nach außen kommunizie­rte

der Sender das Kunstwerk zunächst als Krimiserie oder gar als Doku-Soap, selbst den Namen des Protagonis­ten schrieb die Pressestel­le falsch. In den sieben Jahren seitdem wurde die Serie mit Preisen überschütt­et und ins Ausland verkauft, sogar in die USA.

Irgendwann gewann dann auch der NDR den „Tatortrein­iger“ein wenig lieb. Aus der Nische kam er dennoch nicht heraus. Für die Beerdigung der Serie gebührt Autorin Mizzi Meyer und Regisseur Arne Feldhusen Applaus. „Ich persönlich hätte gern noch die eine oder andere Sauerei weggemacht“, sagt Mädel dazu; der Abschied fühle sich an wie der Tod eines echten Menschen. Doch er respektier­e die „künstleris­che Konsequenz“seiner Partner.

Er selbst war 2014 bei „Mord mit Aussicht“ausgestieg­en; 6,5 Millionen Zuschauern im Schnitt zum Trotz.

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FOTO: NDR Blut ist dünner als Putzwasser: Bjarne Mädel als titelgeben­der „Tatortrein­iger“.

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